Behandelter Abschnitt 2Kor 2,1-4
Der Apostel erklärt nun ausführlicher seine Beweggründe, warum er nicht vorher nach Korinth ging. Sie hätten aus 1. Korinther 4 deutlich genug erkennen müssen, warum das so war. Aber das Fleisch schätzt niemals die Motive des Geistes; und der Feind hat Freude daran, die Gläubigen zu verwirren, wenn er bei denen versagt, die ihnen um Jesu willen dienen. Nun aber, da die Gnade begonnen hatte, in den Korinthern zu wirken, ändert sich die Sprache entsprechend. Der Apostel hatte damals gefragt, ob er mit einer Rute oder in Liebe und einem Geist der Sanftmut kommen sollte. Hier, nachdem er bereits erklärt hatte, dass er sie verschonen wollte, weil er noch nicht nach Korinth gekommen war, schließt er mit Worten an, die zeigen, wie weit er davon entfernt war, über ihren Glauben zu herrschen, wie manche aus seiner Drohung mit einer Rute hätten schließen können.
Ich habe aber bei mir selbst dies beschlossen, nicht wieder in Traurigkeit zu euch zu kommen. Denn wenn ich euch traurig mache, wer ist es auch, der mich fröhlich macht, wenn nicht der, der durch mich traurig gemacht wird? Und ebendies habe ich [euch] geschrieben, damit ich nicht, wenn ich komme, von denen Traurigkeit habe, deren ich mich freuen sollte; indem ich euch allen vertraue, dass meine Freude die von euch allen ist. Denn aus vieler Bedrängnis und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen, nicht um euch traurig zu machen, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich überreichlicher zu euch habe (2,1‒4).
Es ist ein Irrtum, dass diese Worte einen früheren Besuch in der Trauer implizieren, und daher einen zweiten, dazwischenliegenden und nicht aufgezeichneten, der sich vom ersten unterscheidet. Das Werk begann, wie in Apostelgeschichte 18 beschrieben. Der nächste Besuch, von dem die Schrift spricht, war in Apostelgeschichte 20,2.3, nachdem beide Briefe geschrieben worden waren – der erste aus Ephesus (1Kor 16,8) und der zweite aus Mazedonien –, aber ob von Philippi (wie die traditionelle Vorstellung ist) oder von einem anderen Ort, wie Thessalonich, geht nicht daraus hervor. Die Überlieferung ist sicher falsch in der Behauptung, dass der erste auch aus Philippi kam, wie es auch beim zweiten der Fall sein mag. 2. Korinther 12,14.21 und 13,1 deuten keineswegs auf die Tatsache hin, sondern auf die Absicht eines zweiten Besuchs, der wegen ihres Zustands aufgeschoben wurde, und in der Hoffnung, dass die Verzögerung Anlass zum Eingreifen der Gnade geben würde, und so die Notwendigkeit züchtender Strenge seitens des Apostels gegenüber vielen in der Versammlung erspart bliebe. In der Tat scheint 2. Korinther 13,2 eindeutig darauf hinzuweisen, dass er nicht wirklich ein zweites Mal gewesen war: „Ich habe zuvor gesagt und sage zuvor, wie das zweite Mal anwesend und jetzt abwesend“ und so weiter.
Meines Erachtens gibt es keinen Hinweis darauf, dass er einmal gegangen war, um Missstände zu korrigieren und Zucht zu üben. Er war bestrebt, eine solche Notwendigkeit zu vermeiden, und deshalb ging er, statt wie vorgesehen zu gehen, um Titus zu treffen, trotz der Arbeit, die ihn am meisten reizte, damit er wisse, wie es seinem ersten Brief in Korinther ergangen war.
In Wirklichkeit war er nicht dort gewesen; dies war das dritte Mal, dass er die Absicht hatte zu gehen; und es war das Aufschieben des Besuchs, als er beabsichtigt war, was den Vorwurf der Leichtfertigkeit aufkommen ließ. Die Veränderung war auf ihr Versagen zurückzuführen und in keiner Weise auf das seine. Im Gegenteil, er zog es in seiner Liebe zu ihnen vor, grob missverstanden zu werden, und so beschloss er, anstatt es anderen zu erklären, dies für oder mit sich selbst, um nicht im Kummer zu ihnen zurückzukehren.
Zu jener Zeit wäre sein Besuch für alle ein Schmerz gewesen – für ihn ganz gewiss – beim Anblick der Gläubigen, die durch Parteieifer gespalten, durch fleischliche Lüste verstrickt, mit der Welt tändelnd, sich mit Götzendienst beschäftigend, unwürdig kommunizierend, unordentlich in der Versammlung und – zumindest stillschweigend – die fundamentale Lehre verleugnend, und nicht weniger sicher für sie, wenn er ihr Gewissen überführte und ihren Zustand so behandelte, wie er es verdiente. Gnädigerweise hatte er daher seinen Besuch aufgeschoben, bis er seinen ersten Briefes abgeschickt hatte, in dem er das Licht Gottes auf all diese Übel und mehr geworfen hatte, von denen ihn hauptsächlich der Bericht, nicht ein neuer Besuch, in Kenntnis gesetzt hatte. Die gute Nachricht, die er von der Wirkung seiner Briefe erhalten hatte, öffnete sein Herz und zeigte die tiefe Zuneigung, die er für sie hatte, trotz ihrer schweren Fehler. Denn er ist überzeugt, dass ihr Kummer der seine war, wie auch seine Freude die ihre war. Was für eine wundersame Kraft gibt es in Christus, um Gemeinschaft in der Trauer über das Böse, in der Freude der Gnade, über das Ich und seinen trennenden Charakter und seine Folgen herzustellen! Sein Wunsch war das Glück der Gläubigen. Kein Wunder, dass er davor zurückschreckte, dorthin zu gehen, wo und wann sein Besuch ein Kummer sein musste: „Denn wenn ich euch traurig mache, wer ist es auch, der mich fröhlich macht, wenn nicht der, der durch mich traurig gemacht wird?“ (V. 2). Das heißt, niemand außer ihnen konnte sein Herz zufriedenstellen. Welch eine Liebe und auch Zartheit! Er spricht die Gläubigen in diesem Satz persönlich an: „Und ebendies habe ich euch geschrieben, damit ich nicht, wenn ich komme, von denen Traurigkeit habe, deren ich mich freuen sollte; indem ich euch allen vertraue, dass meine Freude die von euch allen ist“ (V. 3)
Daraus wird deutlich, dass es nicht nur das Zufügen, sondern auch das Empfangen von Leid ist, von dem der Apostel spricht, wie es in der Tat immer Gott in seiner Versammlung entspricht, was auch immer es in der Welt sein mag. Sein Motiv, als er schrieb, war die Beseitigung dessen, was sie wie ihn schmerzen würde, damit er und sie sich bei seinem Kommen gemeinsam freuen könnten, da Christus die Quelle ist, der nichts dulden kann, was Gott in seinem Tempel, den die Gläubigen bilden, zuwider ist. Und die Umstände wie auch die inneren Empfindungen des Apostels waren hervorragend geeignet, das Ergebnis herbeizuführen. „Denn aus vieler Bedrängnis und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen, nicht um euch traurig zu machen, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich überreichlicher zu euch habe“ (V. 4). Es war eine sehr reichliche Liebe, aber kaum mehr als zu anderen, wie manche meinen.
Es gibt vielleicht keine Stelle, an der das Feingefühl und die Treue des Apostels mehr zum Vorschein kommen, als bei der Behandlung des Falles, der sein Herz so tief schmerzte, angesichts der Entehrung, die dem Herrn in Korinth angetan wurde. Denn wenn es verriet, wie tief das ungerichtete Fleisch eines Christen ihm Mühe machte, so hatte es auch den niedrigen Zustand der Versammlung aufgedeckt und ihn zu einer besonderen Prüfung für den gemacht, der sie liebte, und zu einer besonderen Gefahr für die, die sonst entfremdet waren. Dennoch wirkten die Gnade und die Wahrheit, die in Christus gekommen waren, durch den Heiligen Geist so mächtig in diesem gesegneten Diener, dass sogar die leichtfertigen Korinther ebenso entschieden zur Buße wie zur Aktivität in der Zucht erweckt wurden; und so weit wurde die Gemeinschaft zwischen ihnen und dem Apostel wiederhergestellt. Es ist zu bezweifeln, dass sie, als er ihnen gebot, den Bösen aus ihrer Mitte zu entfernen, nicht anders konnten, als sich zu beugen und den alten Sauerteig auszufegen, damit sie ein neuer Teig seien, wie sie ungesäuert waren. Das Passahopfer Christi ist untrennbar mit dem Fest der ungesäuerten Brote verbunden, das wir hier auf der Erde feiern sollen. Wir können uns nicht vor der Verantwortung drücken, wenn wir das Vorrecht genießen. Aufrichtigkeit und Wahrheit müssen den Gläubigen auszeichnen.
Aber wenn die Gläubigen in Korinth erst in letzter Zeit erweckt wurden, um mit Ehre und heiligem Zorn über einen solchen Frevel in Gottes Tempel zu empfinden und zu handeln, so bestand jetzt die Gefahr einer starken Reaktion. Strenge entspricht so wenig Christus wie Oberflächlichkeit oder Gleichgültigkeit; und die, die einen so kraftvollen Aufruf brauchten, um sie zu erwecken, den verletzten Namen des Herrn zu verteidigen, waren jetzt zu einem Extrem von gerichtlicher Strenge geneigt, so weit entfernt von der Gnade des Apostels, wie zuvor von seiner Sorge um Heiligkeit. So wurde die Gemeinschaft des Herzens von der anderen Seite her gefährdet.