Behandelter Abschnitt 1Kor 1,10-16
Der Apostel beginnt danach, eines der Übel anzusprechen, das den Herrn besonders entehrt und die Gläubigen in Korinth verletzt hat. Ihr parteiischer Geist war ein großer Kummer für sein Herz. Das hinderte nicht nur den gegenseitigen Trost der Liebe in ihrer Mitte, sondern auch das Zeugnis, das sie seinem Namen vor der Welt schuldeten.
Verglichen mit dem, was danach folgte, oder sogar mit dem, was das Neue Testament an anderer Stelle offenbart, mag es nur als ein kleiner Anfang erscheinen, aber es war der Anfang eines großen Übels. Denn das Zulassen solch fleischlicher Vorlieben und die daraus resultierende Parteibildung lässt das Wirken des natürlichen Verstandes und Gefühls los, geht über in leidenschaftlichen Eifer oder Abneigung, und gut, wenn es nicht in hilfloser Irrlehre und offener Ablehnung des Herrn endet.
Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung vollendet seiet. Denn es ist mir über euch berichtet worden, meine Brüder, durch die Hausgenossen der Chloe, dass Streitigkeiten unter euch sind. Ich sage aber dies, dass jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus. Ist der Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Ich danke Gott, dass ich niemand von euch getauft habe, außer Krispus und Gajus, damit nicht jemand sage, dass ihr auf meinen Namen getauft worden seiet. Ich habe aber auch das Haus des Stephanas getauft; sonst weiß ich nicht, ob ich jemand anders getauft habe (1,10–16).
Obwohl er ein Apostel und derjenige war, der sie nicht nur in Christus unterwiesen, sondern durch das Evangelium gezeugt hatte, so spricht er sie hier doch mit jenem Namen an, der die innere Beziehung der Gläubigen bezeichnet (und am ernstesten sogar den Bekenner), uns das Zentrum der Einheit ist, so wie der Heilige Geist ihr Band ist. Durch diesen Namen, wenn überhaupt, würde seine Ermahnung in ihr Inneres eindringen. Er eifert für die Ehre ihres Herrn, dem sie durch ihre Zwietracht schadeten. Wo war das Zeugnis für die Gemeinschaft des Sohnes Gottes bei diesen Menschen in diesen gegensätzlichen Schulen mit ihren fehlgeleiteten Oberhäuptern? Er ermahnt sie deshalb, dass sie alle dasselbe redeten. Von den Gläubigen in Philippi wünschte er ernstlich, dass sie eines Sinnes seien, und zwar indem sie dasselbe denken; von ihnen, die erfahrener waren und sich in einem geistlicheren Zustand befanden, konnte er nicht anders als mehr erwarten. Noch ist es das Gleichsinntsein, das er von den Gläubigen in Rom verlangt hatte?
Hätte sich der Apostel denn mit dem gleichen einheitlichen Bekenntnis nach außen hin zufriedengegeben? Durchaus nicht. Damit beginnt er aber, nach der Weisheit des Geistes, der ihn leitete. Denn es ist gewiss unschicklich, bei Reformatoren oder Männern, die den Reformatoren in dem, was falsch war, leicht folgen können, einen inspirierten Schreiber zu kritisieren oder sich anzumaßen, dass sie schönere Unterscheidungen treffen oder die Wahrheit besser ordnen können, als Paulus. Dann fügt er hinzu, dass „nicht Spaltungen unter euch seien“, was ihr Parteigeschrei verriet; und zuletzt bittet er, dass sie „vollendet“ seien (vgl. Eph 4,12 sowie 2Kor 13,9) oder ganz geeint seien, „in demselben Sinn und in derselben Meinung“. Nicht, dass er damit genau den Willen meint, so dass es eine völlige Trennung der Seele gäbe, wobei sich das erste auf den Glauben und das zweite auf die Liebe bezieht,3 wie wichtig das alles an seinem Platz auch sein mag; denn νοῦν bezeichnet den Verstand, betrachtet als Fähigkeit zur erkenntnismäßiger Einsicht, so wie γνώμη die Meinung oder das Urteil ist, das er bildet. Er wollte, dass sie ein feines, verständiges Denken haben. Sie waren mangelhaft, wo sie stolz oder eitel waren, wie es die Menschen im Allgemeinen sind.
Der Apostel zögert auch nicht, die Informationen zu erwähnen, die er erhalten hatte (und in der Tat waren sie zu klar und genau in ihrem Charakter, um an ihrer Richtigkeit zu zweifeln), und auch nicht, ihnen ihre vertrauenswürdige Quelle zu nennen. Der Haushalt einer gottesfürchtigen Frau könnte ein besonders gutes Mittel sein, sich zu vergewissern; so wie das auch bei anderen Frauen der Fall war. Es ist derselbe Apostel, der, wenn er törichte, mit allerlei Lüsten beladene Frauen tadelt, zeigt, wie eine Phöbe oder eine Persis, eine Priska und eine Maria, eine Evodia und eine Syntyche geschätzt und gepflegt werden sollten. Er kann hier mit voller Zuversicht über das schreiben, was er durch die Hausgenossen der Chloe gehört hatte.
Die Spaltungen waren noch innerhalb der Versammlung, sie führten noch nicht zum Verlassen, aber sie tendierten dazu, wie uns in 1. Korinther 11,18.19 ausdrücklich gesagt wird. Keine Schlussfolgerung kann weniger gut begründet sein, als dass die Trennung in Konfessionen rechtmäßig sei, während ein böser Geist im Innern die Sünde ist; denn dieses trennende Wirken ist vor allem deshalb böse, weil es die, die vorschnell unbesonnen und nicht unterwürfig sind, zu diesem schlimmsten Ergebnis führt. Es wird hier vorausgesetzt, dass die Versammlung Christus nicht durch unheilige Duldung falscher Lehre Schaden zugefügt hat oder durch irgendein solches Übel, das es zu einer Pflicht machen würde, die zu verleugnen, die den Anspruch behalten wollen, wenn sie seinen wahren Charakter verwirkt haben.
Leider scheinen die Gläubigen in Korinth weitgehend vom Parteigeist infiziert worden zu sein. „Ich sage aber dies, dass jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus“ (V. 12). Dieses letzte ist meiner Meinung nach so verständlich wie jedes der anderen; denn das Unrecht lag nicht bei irgendeinem der Genannten, sondern bei denen, die deren Namen aus ihrer eigenen Eitelkeit und aus Liebe zum Widerspruch betonten. Und das Schlimmste von allem, daran zweifle ich nicht, war jene Partei, die sich auf ihre überlegene Geistlichkeit berief. Sie hatten genug von den Menschen. Paulus, Apollos, Kephas waren unter ihrem Anspruch. Nicht die Diener, sondern der Meister war ihre Parole. Die hohen Ansprüche, besonders des Paulus, missfielen ihnen. Sie hielten sich an das eigene Gebot des Herrn: Einer ist euer Lehrer, einer euer Führer, und ihr alle seid Brüder. So tarnt sich nicht selten die Selbsterhebung unter den Christen unbewusst (und unbewusst, weil der Zustand schlecht und das Herz in der Praxis zu weit vom Herrn entfernt ist); während es offensichtlich ist, dass der, der den Herrn wirklich liebt und sich vor Ihm beugt, gerade deshalb seine Diener um ihres Werkes willen und entsprechend dem Platz ehrt, an den Er sie gestellt hat. Man sagt wahrhaftig, dass die Verderbnis des Besten das Schlimmste ist. So war es auch hier, wo das fadenscheinige Argument derer, die allem außer Christus abschwören, das einzig Richtige und Geistliche in Korinth zu sein schien, so gespalten wie die Versammlung war. Wie wichtig ist es, jetzt wie damals, gerecht zu urteilen und nicht nach dem äußeren Schein!
Es ist gut zu beachten, dass das Übel in Korinth das Gegenteil von dem war, was der Apostel in seiner Rede an die Ältesten von Ephesus meinte (Apg 20,30). Denn in dem einen Fall war es die Sünde der Jünger, in dem anderen Fall die der Häupter. Unsere einzige Sicherheit liegt in der Unterwerfung des Herzens unter Christus, die wertschätzt, was von Ihm ist, wo immer es auch sein mag, und in Abhängigkeit von Ihm wandelt, komme, was da wolle.
Ich hatte diese Überlegung angestellt, bevor ich bemerkte, dass Calvin genau in diese Verwirrung fiel. Vielleicht ist es in seinem eigenen System, das einen demokratischen Charakter hat, schwieriger zu sehen, dass die Masse der Jünger nicht weniger ihre Fallstricke hat als die, die sie führen. Es ist jedoch so sicher aus der Schrift, wie es aus der Erfahrung ersichtlich ist. Keine Sache und keine Person entgehen der Wachsamkeit des Feindes. Wie gesegnet ist es, dass alle unter dem Auge der vollkommenen Liebe unseres Herrn sind: Möge Er uns leiten können! „Ist der Christus zerteilt?“, fragt der entrüstete Apostel. Ist Er nicht das Haupt des einen Leibes, der Versammlung, zu der sie alle gehören? Es ist ein ganzer Christus, dem all die Seinen angehören und der selbst allen gehört. Daran zu denken, Ihn zu spalten, wäre ebenso unsinnig wie absurd. Sie könnten teilen, nicht Er: welch ein Widerspruch, wenn sie Ihn wertschätzten! Aber darauf folgt die weitere Frage: „Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?“ Die Frage zu stellen, sollte dem Christen die wahre Antwort gewiss und notwendig machen; doch wie viele haben seitdem beides übersehen! Einer aber ist würdig, uns seinen Namen aufzuprägen.
So verblendend ist der Einfluss, wo man zulässt, dass der erste Mensch den Platz des zweiten einnimmt. Apostel und andere sind gestorben, ja, gekreuzigt worden, aber Christus allein ist für uns, auf Ihn sind wir getauft worden, nicht auf die Zwölf, noch weniger auf andere Menschen.
Ganz anders war die Treue des Apostels zu Christus. Deshalb scheut er sich nicht, Gott seinen Dank dafür auszudrücken, dass er in Korinth so wenige persönlich getauft hatte: Das ist ein unmöglicher Gegenstand des Dankes, wenn die Taufe das Mittel der neuen Geburt ist, denn in diesem Fall müsste er, der Gott und die Menschen liebte, sich umso mehr freuen, je mehr er taufte. Andererseits wird die christliche Taufe als unser Begräbnis mit Christus in den Tod, als das festgesetzte äußere Zeichen der Unterwerfung unter den, der für uns gestorben und auferstanden ist, wirklich geachtet.
Ihre feierliche Bedeutung ergibt sich aus der objektiven Wahrheit, die sie bedeutet, nicht aus der Stellung oder der Macht des Täufers, noch aus irgendwelchen Eigenschaften des Getauften, was auch immer der Wille des Herrn in Bezug auf beides sein mag. Aber der Apostel stand unter der guten Hand des Herrn, die Dinge so zu ordnen, dass Paulus tatsächlich nur einige wenige von den vielen Korinthern getauft hatte, die, nachdem sie das Evangelium gehört hatten, glaubten und sich taufen ließen (Apg 18,8): Hätte er tatsächlich die Masse getauft, hätte das vielleicht eine greifbarere Entschuldigung für diejenigen gegeben, die seinen Namen in Korinth betroffen haben. Aber es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die, die er taufte, zu denen gehörten, die dem Herrn dort vergleichsweise treu geblieben waren.
Es darf hier erwähnt werden, dass Professor Olshausen es als einen überraschenden Umstand bemerkt, dass der Apostel nicht über die Bedeutung der Taufe selbst argumentiert hat, um sein Argument zu stützen, sondern vielmehr über die Vorsehungsgeschichte der Tatsachen, soweit es ihn betraf. Dekan Alford führt auch den letzten Satz von Vers 16 als wichtig gegen die an, die die absolute Allwissenheit der inspirierten Schreiber zu jedem Thema, das sie behandeln, behaupten.
Scheinen die beiden Geistlichen mit genug Ehrfurcht zu schreiben? Beide vergaßen, wenn sie ernsthaft wüssten, was es zu glauben gilt, dass der Heilige Geist Paulus inspiriert hat. Weiß Er nicht besser als jeder andere, wann er dieses Thema behandelt, wann jenes? Und was die inspirierten Schreiber betrifft, so kenne ich keinen nüchternen Gläubigen, der ihre Allwissenheit behauptet, sondern die dessen, der sie eingesetzt hat, um die Wahrheit zu vermitteln. Es ist üblich, aber falsch, von ihrer Unfehlbarkeit zu sprechen; weil offensichtlich niemand als unfehlbar bezeichnet werden kann außer Gott.
Die wahre Aussage der Inspiration ist nicht, dass der Schreiber allwissend oder unfehlbar wurde, sondern dass der Heilige Geist sein Schreiben so lenkte, dass es die Wahrheit ohne Beimischung von Irrtümern und vollkommen nach seinem eigenen Plan vermittelte. Daher konnte er völlig folgerichtig hier eine gezielte Erinnerung an einen bestimmten Punkt zurückhalten, oder einen eindeutigen Befehl des Herrn in einem anderen Punkt, wie in Kapitel 7.
3 Es scheint keinen Grund für die merkwürdige Vorstellung von Estius und anderen zu geben, dass ἐγὼ δὲ χριστοῦ die eigentliche Empfindung des Apostels im Gegensatz zu der Verirrung der Korinther sei.↩︎