Behandelter Abschnitt Röm 9,6-13
Zwei Dinge also hatte der Apostel in den vorangehenden Versen des Kapitels mit größter Kraft behauptet – seine brennende Liebe zu seinen Brüdern nach dem Fleisch und der daraus resultierende Kummer über ihren niedrigen Stand und ihre Gefahr; und sein Empfinden für ihre Vorrechte, die viel voller und stärker waren als die ihren, was sich vor allem in seiner Einschätzung der Herrlichkeit ihres Messias zeigte, den sie geringschätzten und sogar zu ihrem eigenen Verderben verworfen hatten. Letzteres wird zwar nicht offen gesagt, aber unmissverständlich angedeutet; denn der Apostel behandelt ihre Schwierigkeiten mit dem größten Feingefühl und sorgt sich um sie mit einer wahrhaft göttlichen Liebe. Ob der Ausdruck seines Kummers damals oder jener Herrlichkeit Christi, die sie im Unglauben ablehnten, so wurde die Frage aufgeworfen, ob die die freie Gnade, die den Heiden unterschiedslos mit den Juden gepredigt wurde, von sich aus in der direktesten Form stellte, ob eine solche Verkündigung der Gnade an jeden Menschen, ob Jude oder Grieche, mit den besonderen Verheißungen an Abraham und an seinen Nachkommen vereinbar sei? Der Israelit nahm dem Evangelium instinktiv übel, dass es seine besondere Gunststellung aufhob, und betrachtete die tiefe Sorge des Apostels um ihre Errettung durch den Glauben an Jesus als eine Anfechtung der Versprechen Gottes an ihre Nation, wie sie ihren Vätern zugesichert worden waren. Wie konnte dieses Gelöbnis sicher sein, wenn der Messias gekommen und von ihnen verworfen worden war? Wenn die Tür jetzt für den Heiden genauso offen war wie für den Juden? Wo bleibt in beiden Fällen der Wert der Verheißungen? Stand die Lehre des Apostels nicht mit der Vertrauenswürdigkeit des göttlichen Wortes an Israel in Gegensatz? Dem wird nun ganz und gar entsprochen.
Nicht aber, dass das Wort Gottes hinfällig geworden wäre; denn nicht alle, die aus Israel sind, diese sind Israel, auch nicht, weil sie Abrahams Nachkommen sind, sind alle Kinder, sondern „in Isaak wird dir eine Nachkommenschaft genannt werden.“ Das ist: Nicht die Kinder des Fleisches, diese sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Nachkommen gerechnet. Denn dieses Wort ist eine Verheißung: „Um diese Zeit will ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben.“ Nicht allein aber das, sondern auch als Rebekka schwanger war von einem, von Isaak, unserem Vater, selbst als die Kinder noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten (damit der Vorsatz Gottes nach Auswahl bleibe, nicht aus Werken, sondern aus dem Berufenden), wurde zu ihr gesagt: „Der Größere wird dem Kleineren dienen“ wie geschrieben steht: „Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst“ (9,6–13).
Die Argumentation ist ebenso schlüssig wie prägnant und klar, gestützt auf Beweise aus alttestamentlichen Tatsachen und Worten, denen ein Jude sicher nicht widersprechen konnte. Argumentierte er mit den Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob? Aus eben dieser Geschichte widerlegt der Apostel ihren ungläubigen Missbrauch aller. Das Wort Gottes behält also seine ganze Kraft. Dem Menschen allein, besonders dem Juden, wird der Fehler nachgewiesen. Ihr Einwand nahm an, dass Gott verpflichtet sei, das gesamte Menschengeschlecht in natürlicher Abstammung von Abraham zu segnen.
Das aber würde die Verheißungen für die Ismaeliten öffnen. Nicht so, ruft der Jude: Die Verheißung steht nur in der Linie Isaaks. Dann, mag der Apostel entgegnen, sei die natürliche Abstammung ein unsolides Prinzip; denn dieses umfasse die von Abraham abstammenden Araber nach dem Fleisch nicht weniger als die Juden. Sie selbst müssen daher, um die Ismaeliten auszuschließen, auf die Verheißung zurückgreifen, die an das Geschlecht Isaaks gebunden ist. Die Verheißung also, nicht das Fleisch, entscheidet. Wie die Antwort des Apostels die Wahrheit des Juden und der Beschneidung, die Gott lobt, verdeutlicht, die schon am Ende von Kapitel 2 gesagt wird, bedarf keines Beweises. Es wird also gleichermaßen von Israel und von Abrahams Nachkommen gesagt. Es ist universell wahr. Die fleischliche Abstammung allein sichert keinen inneren Segen. Der Israelit, in dem keine Arglist ist, ist in der Tat mehr als einer von Jakobs Nachkommenschaft: Alle Israeliten sind nicht Israel, noch sind Abrahams Nachkommen alle Kinder (vgl. Joh 8,37.39). Gott muss das zugestanden werden; und es gefällt ihm, Isaak zu rufen, nicht Ismael nach derselben Art. Der Ruf kommt aus der Gnade und ist untrennbar, in dem hier gemeinten beschränkenden persönlichen Sinn, von der Auserwählung. Weit davon entfernt, sie zu bestreiten, konnte der Jude den Fall nicht hören, ohne unter ihre unwiderstehliche Kraft zu kommen; denn er wollte die Söhne Ismaels nicht aufnehmen und musste daher der Notwendigkeit des Rufes Gottes, nicht der bloßen natürlichen Linie, zustimmen, um einen hinreichend gültigen Anspruch zu begründen. Und dies wird noch deutlicher durch den auffälligen Umstand, dass Isaak zwar wie Ismael auf rein natürliche Weise geboren wurde, aber aufgrund eines eindeutigen Verheißungswortes von Seiten Gottes.
Der Apostel führt das Argument noch näher aus; denn Ismael wurde von einer Sklavin, einer Nebenfrau, geboren, Isaak von der Ehefrau. Aber was ist mit Rebekka? Sie war in keiner Weise eine Sklavin, sondern gebar Isaak Zwillingssöhne. Es ist also kein Fall denkbar, der mehr zutrifft. Doch ohne dass die Kinder schon geboren waren oder irgendetwas Gutes oder Böses getan hatten, das zwischen ihnen entscheiden konnte, offenbarte Gott seine Absicht in Bezug auf den jüngeren oder geringeren der beiden, so dass die Erwählung auf diese Weise fest und unbestreitbar stand, wo seine Autorität besessen wird.
Daher stellt der Apostel die Berufung Gottes den Werken und nicht unserem Glauben gegenüber, um den armseligen Halb-Pelagianismus solcher wie des alten Chrysostomus oder des neueren Tholuck abzuschneiden, der die Erwählung durch die vorhersehbare Überlegenheit des einen gegenüber dem anderen regeln würde. Die Sprache kann dem nicht genauer widersprechen, dem natürlichen Gedanken (nicht nur des natürlichen Menschen, sondern) des denkenden oder phantasievollen Gläubigen. Esau hatte nichts Schlechtes getan, um ihn zu disqualifizieren, Jakob nichts Gutes, um ihn zu qualifizieren; aber bevor einer der Zwillinge geboren wurde, hat Gott in Ausübung seines souveränen Willens bestimmt, dass der Größere dem Geringeren dienen sollte. Das war seine Absicht. Ihre Werke hatten nichts mit der Sache zu tun und sind ausgeschlossen, so dass alles auf dem Berufenden, Gott selbst, ruht.
Andererseits gibt es keinen Grund, der für die absolute Verwerfung spricht, die Calvin aus dieser Stelle ableitet. Mit keiner Silbe wird der Hass auf den ungeborenen Esau in 1. Mose 25 angedeutet. Der Mensch schließt vorschnell von der Erwählung des einen auf die Verwerfung des anderen. Das ist unbegründet. Von zwei, die keinen Anspruch haben, einen zu einem höheren Platz zu erwählen, bedeutet, einen Willen auszuüben; aber dem einen eine Gunst zu erweisen, bedeutet nicht, den anderen zu verdammen. Sie sind beide in Sünde geboren, wie sie auch ohne Zweifel in Sünden aufwachsen. Das ist eine Verwerfung, die sich auf die Sünden des Menschen bezieht, nicht auf die Absicht Gottes. Es ist nicht das Wort des Herrn an Rebekka, sondern durch Maleachi, der davon spricht, Esau zu hassen. Es war ganz am Ende des Alten Testaments, nachdem Esau seine unerbittliche Feindschaft gegen Israel gezeigt hatte. Die Liebe zu Jakob war also frei; der Hass hatte in Esau einen moralischen Grund.
Die Behauptung der göttlichen Souveränität, obwohl eine notwendige Wahrheit, die aus der Natur Gottes selbst entspringt, ist für den natürlichen Verstand abstoßend. Doch kein anderer Gedanke ist richtig, wenn man das Thema richtig abwägt; und jedes Schema, das der Mensch ersetzt, ist Gottes unwürdig und unwürdig für den Menschen. Die Lehre, die Gott seine Majestät abspricht, ist selbst der Unwahrheit überführt; ebenso die, die Ihn als gleichgültig gegenüber Sünde oder Elend darstellen würde. Er ist Licht; und Licht ist unvereinbar mit der Duldung der Finsternis, die im Herzen und auf den Wegen des Menschen regiert. Er ist Liebe, und Liebe ist immer frei und heilig. Zweifellos ist Er allmächtig, und Er wird die Sünde, die Ihn verachtet oder gegen Ihn rebelliert, ebenso richten wie die Vergehen, mit denen die Welt umzugehen versucht. Und was ist der universale Zustand der Menschheit, den dieser Brief sorgfältig nicht nur an dem Heiden, sondern noch mehr an dem Juden bewiesen hatte, der sich der lebendigen Aussprüche rühmte, die seine Missetat und Übertretung verdammten? Es hatte jeden Mund verstopft und die ganze Welt schuldig vor Gott gemacht.
Wenn ein Sünder durch den Heiligen Geist zu seiner eigenen Schuld und seinem Zustand vor Gott erweckt wird, gesteht er dies freimütig ein und rechtfertigt Gott, indem er sich selbst verurteilt, obwohl er um Gnade schreit, die er zu seinem anbetenden Erstaunen bereits im Evangelium verkündet findet.