Was nun, sollten wir sündigen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind? Das sei ferne! (6,15).
Vers 15 stellt eine neue Frage. Sie lautet nicht mehr wie in Vers 1: „Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme?“ Das ist der Haupteinwand gegen die Gnade für Christen, die gerade aus dem Verderben des ersten Menschen befreit wurden. Moralische Entspannung wird befürchtet, wenn dort, wo die Sünde im Übermaß war, die Gnade noch darüber hinausgeht. Ihm wurde mit Gegenfragen begegnet, die beweisen, dass die Gnade nicht nur aus einem Motiv heraus gegen die Sünde hilft, sondern den Gläubigen durch jene entscheidendste und letzte Waffe, nämlich den Tod, von ihr befreit. „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch darin leben? Oder wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus Jesus getauft worden sind, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe auf den Tod ... Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde. … So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebend in Christus Jesus. Also herrsche nicht die Sünde“ (V. 2–4.7.11.12). Das ist das Argument des Apostels als Antwort auf die erste Frage.
So wird seine zweite Frage nicht durch unseren Tod mit Christus beantwortet. Dass wir nicht länger in der Sünde leben können, wird durch die Tatsache, dass wir der Sünde mit Christus gestorben sind und deshalb nicht in ihr verharren sollen, schlüssig widerlegt. Dieses ganze sündige Leben des ersten Adam ist für uns abgeschlossen, sowohl für die Zukunft in der Auferstehung als auch für die Gegenwart in dem Teil, das wir mit Christus für uns haben. Der gestorbene und auferstandene Christus ist das Beispiel für den Glauben; sein Tod ist das Prinzip der gegenwärtigen Befreiung von der Herrschaft der Sünde. Aber brauchen wir nicht eine mächtige Quelle, die uns auf dem Weg des Herrn antreibt, ermutigt und stärkt? Zweifellos brauchen wir das; und das ist nichts anderes als die Gnade. Nichts anderes kann den Gläubigen davon abhalten, seine Glieder als Werkzeuge der Ungerechtigkeit der Sünde darzustellen, nichts anderes kann ihn befähigen, in Übereinstimmung mit jener ein für alle Mal erfolgten Hingabe seiner selbst an Gott und seiner Glieder als Werkzeuge der Gerechtigkeit an Gott zu handeln, die für den Christen charakteristisch ist. Wir sind unter der Gnade, der Kraft zur Heiligkeit, wie der Jude unter dem Gesetz war, der Kraft der Sünde, die er so langsam fühlte und bekannte. Und deshalb soll die Sünde, die bisher das auserwählte Volk absolut beherrscht hat, nicht über den Christen herrschen. Dürfen wir denn sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz stehen, das verurteilt, sondern unter Gottes freier, unverdienter Gnade, die keine Sünde zurechnet, sondern rechtfertigt und rettet? Fern sei es von uns. Ist es so, dass wir unsere Freiheit nutzen wollen oder können? Was könnte noch niederträchtiger sein? Wenn ich durch Christus so befreit bin, wofür, für wen, soll ich meine Freiheit gebrauchen?