Behandelter Abschnitt Röm 2,1-4
Der Beweis der menschlichen Verderbtheit und Not ist noch nicht vollständig. Es gibt noch einen anderen Charakter des Bösen, der im Gegensatz zu der Beschreibung im letzten Vers von Kapitel 1 steht und in den Augen Gottes höchst anstößig ist. Die Menschen verurteilen andere und tun doch dasselbe und verurteilen sich damit selbst. Wie kann das in irgendeiner Weise das Gericht Gottes aufhalten oder gar abmildern? Es war und ist üblich unter spekulativen Menschen, Moralisten und dergleichen. In Wahrheit ist es keine geringe Verschlimmerung zu sagen: „Wir sehen“ stellt uns, die wir nichtsdestoweniger Ungerechtigkeit praktizieren, bloß, von dem gerechten Richter aller zu hören, dass „unsere Sünde bleibt“ (vgl. Joh 9,41). „Das Angesicht des Herrn ist gegen die, die Böses tun“ (Ps 34,17), und das Richten dessen, was sie selbst leben, an anderen, rechtfertigt ihr eigenes gerechtes Verhängnis. Sie mögen sagen, was sie wollen, Gottes Urteil ist gemäß der Wahrheit über die, die solche Dinge tun. Gott wird, ja muss, Realität haben, und das Gewissen weiß es. Statt offener Sympathie mit anderen, die sündigen, mögen sie es als Unrecht verurteilen; aber wenn sie dasselbe tun, wie können dann solche moralischen Lappalien oder die, die sich ihrer schuldig machen, vor Gott bestehen?
Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe. Wir wissen aber, dass das Gericht Gottes nach der Wahrheit ist über die, die so etwas tun. Denkst du aber dies, o Mensch, der du die richtest, die so etwas tun, und verübst dasselbe, dass du dem Gericht Gottes entfliehen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? (2,1–4).
Die Wahrheit ist, dass die Philosophie Gott nicht kennt und sein Gericht so leicht vergisst, wie sie seine Liebe niemals begreifen kann. Sie ist selbstzufrieden und hat den Menschen zum Inhalt, nicht Gott. Daher werden seine verschwenderische Güte und seine Geduld verachtet, und sein Ziel in allem ist eine Lektion, die nie gelernt wird.
Buße ist das Werk Gottes in dem Menschen auf der moralischen Seite. Sie ist untrennbar mit der neuen Natur verbunden und fließt aus der Kraft des Geistes, wie auch der Glaube an Jesus. Sie ist keineswegs die Vorbereitung des Glaubens, sondern seine Begleitung und Frucht. Dennoch meine ich damit nicht den Glauben, der im Hinblick auf das unendliche Werk Christi ausgeübt wird. Es mag noch ein sehnsüchtiges und hoffnungsvolles Schauen auf Ihn sein; und zusammen mit dieser Erwartung des Guten von Ihm, nach Gottes Wort wendet dieses Wort das Auge des Gewissens nach innen, und der nun bekehrte Mensch richtet sich selbst und seine Wege vor Gott. Dies vertieft sich auch, anstatt abzunehmen, wenn die Person in der Gnade und in der Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus wächst.
Es gab schon immer Reue, die ebenso wahrhaftig wie der Glaube in Menschen gewirkt wurde. Und obwohl dies unter dem Gesetz eine gesetzliche Form angenommen haben mag, ist die Reue jetzt in keiner Weise unnötig, sondern wird unter dem Evangelium umso tiefer gewirkt. Verschiedene Lehrmeinungen haben einen falschen Schluss gezogen, die eine aus Kapitel 2,4, die andere aus 2. Korinther 7,10. Auf der einen Seite denkt man, dass die Wahrnehmung der Güte Gottes Buße ist; auf der anderen Seite, dass es gottgefällige Traurigkeit über die Sünde ist. Die Schrift sagt in beiden Fällen nichts dergleichen und deutet an, dass Buße zwar immer eine Sinnesänderung voraussetzt, aber viel weiter geht und eine Gewissenssache im Licht Gottes und kein rein intellektueller Vorgang ist. So wie die Güte Gottes zur Buße führt, so bewirkt auch die Traurigkeit Ihm entsprechend Reue.
Es gibt so etwas wie Traurigkeit zur Buße, so wie es Buße zur Errettung gibt. Es ist also ein viel tieferer Umgang mit der Person, als viele vermuten. Das Selbst wird ohne Vorbehalt gerichtet, und der Wille entspricht ganz dem neuen Menschen. Das Leid Gott entsprechend mag noch einen Kampf haben: Wenn man wahrhaftig Buße tut, ist das Böse innerlich verabscheut, und man ist davon frei geworden: „Denn nach meiner Umkehr empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis gebracht worden bin, schlage ich mich auf die Hüften. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden, denn ich trage die Schmach meiner Jugend“ (Jer 31,19).