Behandelter Abschnitt Apg 22,23-29
So sehr der Apostel mit den Gefühlen der Juden vertraut war, so wenig war er zu diesem Zeitpunkt auf ihre unerbittliche Eifersucht auf die Nationen vorbereitet. Und doch war es das, was ihm selbst in seinen unbekehrten Tagen nur zu bewusst war: Das Volk war jetzt da, wo er damals war. Die Veränderung in ihm war so vollständig, dass er anscheinend nicht in der Lage war, ihren Zustand zu erkennen. Christus war alles für ihn. Dass sie die Gnade Gottes, die sich über alle Sünde des Menschen erhebt, ob jüdisch oder heidnisch, so verabscheuen, ist in der Tat erstaunlich und der deutlichste Beweis dafür, dass der Mensch verloren ist. Der Hass auf die Gnade wird in keiner Weise durch Intelligenz, Gelehrsamkeit oder Religiosität gemildert. All dies war in Saulus von Tarsus vereint, und man konnte es mehr oder weniger bei einigen Juden in Jerusalem finden. Aber derselbe Hochmut der Natur und der Missbrauch der Verheißungen Gottes, der die Nation dazu veranlasst hatte, den Messias zu kreuzigen, verhärtete sie jetzt dazu, das Evangelium zu verwerfen und zu hassen, vor allem die Sendung an den Nationen nicht weniger als an den Juden.
Und als sie schrien und die Kleider wegschleuderten und Staub in die Luft warfen, befahl der Oberste, dass er in das Lager gebracht würde, und sagte, man solle ihn unter Geißelhieben verhören, damit er erführe, aus welchem Grund sie so gegen ihn schrien. Als sie ihn aber mit den Riemen ausspannten, sprach Paulus zu dem Hauptmann, der dastand: Ist es euch erlaubt, einen Menschen, der ein Römer ist, zu geißeln, und zwar unverurteilt? Als aber der Hauptmann es hörte, ging er hin und meldete dem Obersten und sprach: Was hast du vor zu tun? Denn dieser Mensch ist ein Römer. Der Oberste aber kam herzu und sprach zu ihm: Sage mir, bist du ein Römer? Er aber sprach: Ja. Der Oberste aber antwortete: Ich habe für eine große Summe dieses Bürgerrecht erworben. Paulus aber sprach: Ich aber bin sogar darin geboren. Sogleich nun standen die von ihm ab, die ihn verhören sollten; aber auch der Oberste fürchtete sich, als er erfuhr, dass er ein Römer sei, und weil er ihn gebunden hatte (22,23–29).
Die Verzweiflung der Juden wird in dieser eindrucksvollen Begebenheit deutlich. Sie wurden zum höchsten Grad der Gefühle für ihre Religion, wie sie sie betrachteten, erregt. Nur der Glaube an Jesus gibt uns die Möglichkeit, die Dinge im Licht Gottes zu sehen. Hätten sie sich an diesem Maßstab gemessen, hätten sie selbst im Staub gelegen und zugegeben, dass es mit ihnen als Volk aus war. Sie hatten nicht nur in der Gerechtigkeit versagt; sie hatten Gott, der in unendlicher Liebe zu ihnen herabkam, zurückgewiesen. Reue der tiefsten Art war das Einzige, was ihnen daher zustand. Sie hätten dann gesehen, dass es einem schuldigen Volk nicht zusteht, Gottes Wege zu beurteilen. Sie hätten gelernt, wie bewundernswert geeignet die Gnade war, jetzt, wo sie in der letzten Prüfung, die Gott durchführen konnte, verdorben waren: Der Herr war von früher her von seinem eigenen Volk verworfen, der in Liebe gekommene Sohn war verworfen, der Heilige Geist mit dem Evangelium, alles war verworfen. Es ist vergeblich, vor dem Kreuz vom Gesetz oder gar von Verheißungen zu reden. Doch Gott ist jetzt frei, die Verlorenen zu retten, die an Jesus glauben, was auch immer sie sein mögen.
Zugegeben, die Juden hatten überragende Vorrechte und einen besonderen Bund, aber die Juden waren die Ersten, die Ihn töteten, in dem alle Verheißungen ihren Mittelpunkt, ihre Sicherheit und ihre Krönung hatten. Jede Beziehung zu Gott für den Menschen auf der Erde, und wir können sagen, für Israel insbesondere, war zerbrochen und verschwunden, aber die Gnade konnte vom Himmel her leuchten und alle, die an Christus glauben, zum Himmel rufen, und genau das macht das Evangelium jetzt wieder. Es gibt ein neues Haupt und eine neue Berufung; aber alles ist in Christus oben; und folglich sind irdische Unterscheidungen, wie auch Verhinderungen, gleichermaßen verschwunden.
Als der Mensch allgemein, ob Jude oder Heide, verloren war, kam der Sohn des Menschen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Dies geschieht durch das Evangelium für die, die glauben; und die Mission des Paulus, die sowohl die höchste als auch die weiteste ist, war vor allem für die heidnische Welt. Für diese himmlische und unterschiedslose Aufgabe war er wirklich geeignet, als er erwachte, um zu sehen, dass sein intensiver jüdischer Eifer nun im Licht nicht nur des Kreuzes, sondern der himmlischen Herrlichkeit Christi beurteilt wurde. Er war der Apostel der Unbeschnittenen. Es war daher ein Fehler, sich besonders vor den Juden in Jerusalem zu stellen, wie zuvor beim Herrn in der Vision.
Aber es gibt noch ein anderes interessantes Element in diesem Abschnitt. Der Oberste hatte den Befehl gegeben, den Apostel durch Geißelung zu untersuchen, damit die Ursache des Geschreis gegen ihn herausgefunden werden konnte. Paulus greift zu einer ganz natürlichen Ausrede, um dem Schmerz und der Schmach zu entgehen; denn es war ein schwerwiegender Gesetzesbruch, dass er, ein Römer und unverurteilt, zur Geißelung gefesselt werden würde. Nichts kann auch ruhiger sein als die Art und Weise, in der er es vorbrachte. Es gab keine Aufregung, noch weniger die kleinste Annäherung an die Behauptung des Rechts, die damals nicht unbekannt war, aber in unseren Tagen die Menschen extrem im Griff hat. Der Oberste sagt es dem Hauptmann, der sich erkundigt und erfährt, dass Paulus, obwohl er selbst sich das Bürgerrecht erkauft hatte, ein geborener Römer war. Das machte natürlich jedem Gedanken an Folter ein Ende, und der Befehlshaber hatte Angst, weil er ihn gefesselt hatte. Aber war das die gewohnte Erhabenheit der christlichen Wahrheit, auf der der Apostel stand? Wo finden wir eine Annäherung an sie in seinen Briefen? Und wo leuchtet die himmlische und leidende Gnade so wie in diesen? Das gegenwärtige Einssein mit Christus hebt alle unsere natürlichen Zustände auf: Jude oder Grieche, Skythe oder Barbar, Sklave oder Freier, was macht das schon aus? Christus ist alles, wie Er in allen ist, die sein sind.
Es scheint, dass das, was den Obersten und den Hauptmann alarmierte, das Fesseln des Paulus mit den Stricken war. Das war ein großes Vergehen gegen einen römischen Bürger. „Weil er ihn gebunden hatte“ (V. 29), verstehe ich zu diesem Zweck, denn auf gewöhnliche Weise scheint es, dass er nicht völlig losgelassen wurde.