Behandelter Abschnitt Apg 22,17-22
Die bemerkenswerte Vision, mit der Paulus begann, war bei weitem nicht die einzige; wir erfahren hier von einer weiteren bei seiner Rückkehr nach Jerusalem. 2. Korinther 12,1-4 spricht auch in allgemeinerer Weise davon. Was aber in Jerusalem geschah, berichtet er nun selbst in Einzelheiten.
Es geschah mir aber, als ich nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, dass ich in Verzückung geriet und ihn sah, der zu mir sprach: Eile und geh schnell aus Jerusalem hinaus, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen. Und ich sprach: Herr, sie selbst wissen, dass ich die an dich Glaubenden ins Gefängnis warf und in den Synagogen schlug; und als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand auch ich dabei und willigte mit ein und verwahrte die Kleider derer, die ihn umbrachten. Und er sprach zu mir: Geh hin, denn ich werde dich weit weg zu den Nationen senden.
Sie hörten ihm aber zu bis zu diesem Wort und erhoben ihre Stimme und sagten: Weg von der Erde mit einem solchen, denn es geziemt sich nicht, dass er am Leben bleibt! (22,17–22).
Der Vorfall in Jerusalem ist geistlich gesehen sehr interessant, weil er die völlige Leichtigkeit und Vertrautheit vermittelt, in der die Schrift die Beziehung des Knechtes zum Meister darstellt. Es wäre leicht gewesen, den Bericht zu verschweigen, wenn er nicht von großer Bedeutung und allgemeinem Wert gewesen wäre. Die entsprechende Aussage hatte die erschütterndste Wirkung auf die Juden, die bis dahin zugehört hatten. Das erregte zuhöchst ihre Empörung. Dennoch legte der Apostel es klar dar, wie wir sehen, um die Richtung seiner Arbeit als Apostel der Heiden ohne Einschränkung zu rechtfertigen. Wir können ganz sicher sein, dass er natürlich eine ebenso große Abneigung hatte, auf das Wort des Herrn hin einen solchen Auftrag zu erfüllen, wie die Juden davon hören mussten. Traditionell war der Jude alles in der Sache der Religion; dieses ganze Empfinden und der Grund dafür wurde im Kreuz Christi umgestürzt. Wie wahr, wie der Apostel in seinem zweiten Brief an die Korinther schreibt: „das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat“ (2Kor 5,17.18)! Die Kraft eines solchen Dienstes zeigt sich besonders darin, nicht in Jerusalem zu bleiben, sondern hinauszugehen zu den Nationen, wo immer sie auch sein mögen. Denn wir sind weder Israeliten noch die verlorenen Schafe dieses Hauses. Wir sind nicht das Volk, sondern im Vergleich dazu nach dem Gesetz „Hunde“. Jetzt aber ist alles anders. Es ist das Evangelium, und alle Dinge sind neu geworden. So wie die Mission unseres Apostels dem Himmel gilt, so ist auch seine Ausrichtung auf die Nationen.
Kein Wunder, dass er selbst vor der Gegenwart des Herrn zurückschreckte; aber so soll Paulus in seiner Trance im Tempel von Jerusalem lernen. „Eile“, sagte der Herr, „und geh schnell aus Jerusalem hinaus, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen“ (V. 18). Das war sehr schmerzlich für das Herz des Apostels, andere hatten schon vor dem Christentum ähnlichen Kummer erlebt. Mose kannte es in frühen Tagen, obwohl die Halsstarrigkeit der Juden damals wie nichts war im Vergleich zu dem, wie sie am Kreuz erwiesen wurde. Und danach tranken Jeremia und andere der Propheten genug von diesem Kelch, um die Bitterkeit und den Kummer zu spüren. Aber Paulus war in der Liebe zu Israel so bemerkenswert wie Mose, und er schmeckte die Bitterkeit der Juden vielleicht mehr als irgendeiner ihrer Propheten. In göttlicher Hinsicht war er umso besser geeignet, als Botschafter Christi zu den Nationen gesandt zu werden. Hätte er Israel weniger geliebt, wäre er nicht so geeignet gewesen für die neue und himmlische Mission. In allem muss er über der Natur stehen, um die Gnade in irgendeinem Maß richtig zu vertreten.
Wie wenig schätzten die, die sahen oder wussten, wie Paulus die Nationen evangelisierte, die Empfindungen, mit denen er das Werk begonnen hatte! „Und ich sprach: Herr, sie selbst wissen, dass ich die an dich Glaubenden ins Gefängnis warf und in den Synagogen schlug“ (V. 19). Sein Herz sehnte sich nach Israel, sein brennendes Verlangen war es, in ihrer Mitte zu wirken. Als der Herr ihm gesagt hatte, er solle sich aus Jerusalem entfernen, weil die Juden von ihm kein Zeugnis über Christus annehmen wollten, tritt er sogar dafür, dass gerade er der Mann sei, der nach Jerusalem gehen solle, dass sie selbst wüssten, wie er den Weg gehasst habe, wie er die Gläubigen in jeder Synagoge eingesperrt und geschlagen habe. Mehr noch, er beschwört die schrecklichste Geschichte des Verfolgungseifers als den krönenden Grund, den Juden predigen zu dürfen, und als einen Grund, warum sie ihn sicher willkommen heißen müssen, wenn auch keinen anderen Prediger des Evangeliums. „Und als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand auch ich dabei und willigte mit ein und verwahrte die Kleider derer, die ihn umbrachten“ (V. 20). Es ist offensichtlich, dass Paulus all das dazu nutzte, um unter den Juden zu arbeiten. Aber Er, der das Herz gemacht hat, wusste es am besten, weit besser als Paulus, und Er sagte zu ihm: „Geh hin, denn ich werde dich weit weg zu den Nationen senden“ (V. 21).
So wurde das entscheidende Wort gesprochen: Was auch immer das Empfinden des Paulus sein mochte, er erfährt nun den Willen des Herrn bezüglich seiner Arbeit. Es hieß jetzt nicht nur: „Eile und geh schnell aus Jerusalem hinaus“, sondern: „Ich werde dich weit weg zu den Nationen senden.“ Kein Israelit war eifriger bemüht, den Juden das Evangelium zu bringen; kein Diener plädierte ernster bei seinem Meister dafür. Die Freiheit, mit der er sich an sie wendet, ist für uns eine ständige Lektion über die Freiheit, in die uns das Evangelium bringt. „Wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit“ (2Kor 3,17). Auch wir sollten lernen, dass das Evangelium keine Unsicherheit für den Weg und den Dienst zulässt. Das wahre Licht leuchtet. Christus ist sowohl der Weg als auch die Wahrheit und das Leben, und Er ist nicht wahrhaftiger der Weg zum Vater als bei Paulus gegenüber den Nationen. Das Evangelium ist himmlisches Licht, das in das Herz und auf den Weg hier auf der Erde scheint.
Zu Beginn dieses Buches hatten wir in Petrus ein schönes Beispiel für ein durch Blut gereinigtes Gewissen (Apg 3,13.14). Das war so vollständig, dass er die Juden offen beschuldigen konnte, den Heiligen und Gerechten verleugnet zu haben. Hatte er sich nicht selbst dieser Sünde schuldig gemacht, und zwar auf eine direktere Weise als jeder andere? Ja; aber diese war nun völlig ausgelöscht durch das Blut, das von jeder Sünde reinigt; und er war sich so sehr bewusst, dass sie vor Gott verschwunden war, dass er ohne Erröten die Juden der gleichen Sünde beschuldigen konnte, ohne einen Gedanken an sich selbst, außer an die unendliche Barmherzigkeit ihm gegenüber.
In ähnlicher Weise ist der Apostel Paulus in dem Vers, den wir zuletzt vor uns hatten, ein weiteres Beispiel dafür, wenn möglich noch rührender und nicht weniger lehrreich. In seinem Wunsch, ihnen das Evangelium zu predigen, sagt er zum Herrn: „sie selbst wissen, dass ich die an dich Glaubenden ins Gefängnis warf und in den Synagogen schlug; und als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, stand auch ich dabei und willigte mit ein und verwahrte die Kleider derer, die ihn umbrachten“ (V. 19.20). Nicht eine Spur der Schuld bleibt auf seinem Gewissen. Wie Petrus es in der Predigt vor anderen bewiesen hatte, so erklärt er, Paulus, öffentlich vor demselben Volk, wie er es persönlich vor dem Herrn ausgebreitet hatte als den Grund, auf dem er als Zeuge zu seinen Brüdern nach dem Fleisch gesandt zu werden wünschte. Aber der Herr wusste alles ganz genau. Paulus war sein auserwähltes Gefäß, nicht für Jerusalem, sondern weit weg zu den Nationen. Sein Verstand war völlig geläutert; aber die Meinung des Herrn allein ist vollkommen richtig und weise; und so wurde es hier bald bewiesen. Sie gaben ihm dieses Wort zu Gehör und erhoben ihre Stimme und sprachen: „Weg von der Erde mit einem solchen; denn es geziemt sich nicht, dass er am Leben bleibt!“ (V. 22).