Behandelter Abschnitt Apg 7,38-40
Die Parallele wird in dem, was folgt, noch weiter verdeutlicht:
Dieser ist es, der in der Versammlung in der Wüste mit dem Engel, der auf dem Berg Sinai zu ihm redete, und mit unseren Vätern gewesen ist; der lebendige Aussprüche empfing, um sie uns zu geben; dem unsere Väter nicht gehorsam sein wollten, sondern sie stießen ihn von sich und wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten zurück und sagten zu Aaron: „Mache uns Götter, die vor uns herziehen sollen; denn dieser Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat – wir wissen nicht, was ihm geschehen ist“ (7,38–40).
Mose wird in seiner Stellung als Mittler dargestellt, zwischen dem Engel des Herrn einerseits und unseren Vätern andererseits. In der „Versammlung“ suggeriert Gedanken und Verbindungen, die völlig irreführend sind. Die Kinder Israels sind in ihrer kollektiven Eigenschaft gemeint. Es hat nicht den geringsten Bezug zu dem, was im Neuen Testament die Versammlung Gottes, der Leib Christi, genannt wird, ja dies wird hier nur bemerkt, um die Seelen vor einem so schwerwiegenden Irrtum zu bewahren. Die Versammlung ist Teil des großen Geheimnisses, das zu offenbaren dem Apostel aufgetragen wurde, das Geheimnis, das von Zeitaltern und Geschlechtern verborgen war, aber jetzt den Heiligen offenbart wird. Was Gott damals durch Mose tat, war Teil seines gewöhnlichen Handelns, als Israel so bereitwillig die Verheißungen an die Väter übersah und sich zu seinem schnellen Kummer und unvermeidlichen Verderben auf seinen eigenen Gehorsam als Besitzstand seiner Segnungen berief.
Ungeheuerlich war in der Tat das Vorrecht, das nicht nur in Werken, sondern auch in Worten Gottes, die dem Menschen fortan beständig gegeben wurden, gewährt wurde. Es war nicht nur so, dass der Engel zu Mose sprach, sondern er empfing „lebendige Aussprüche, um sie uns zu geben“ (V. 38) – eine unaussprechliche Wohltat, die aber noch charakteristischer für den Größeren als Mose war, auf dessen Kommen eine neue, vollständige und endgültige Offenbarung der göttlichen Gnade und Wahrheit folgte. In der Tat bereitet das Zitat der eigenen Prophezeiung Moses in Vers 37 den Weg für neue Mitteilungen mit einer noch höheren Sicherheit. Vergeblich würde also der jüdische Unglaube den Knecht im Angesicht seines Meisters vergöttern.
Aber einerseits ist lebendig hier zu gering, wie auch in 1. Petrus 1,3; 2,5, andererseits geht lebensspendend zu weit und ist jedenfalls nicht die beabsichtigte Hinzufügung, denn damit sollen die Aussprüche selbst charakterisiert werden, nicht ihre Wirkung auf andere. Ich weiß nicht, warum Herr Humphry den Irrtum, den Kühnöl von Grotius übernommen hat, gebilligt sollte. Und warum heißt es retten? Das ist doch nur eine Veränderung, keine Übersetzung oder Erklärung, ebenso wenig wie die entgegengesetzte Herabsetzung des Sinnes durch J. Piscator und J. Alberti, als ob sie viva voce empfangen worden wäre! Leben allein ist richtig und ausreichend. Und wie behandelten die Kinder Israels den, der geehrt wurde, in jener Zeit? Sie wollten ihm nicht gehorchen sein. Wenn die Väter Moses so behandelten, war es dann verwunderlich, dass ihre Kinder den Messias nicht annahmen, von dem er prophezeite und der außerdem ein so eindrucksvolles Vorbild war? So stellt die einfache Erinnerung an die Geschichte der Schrift die tatsächliche Schuld der Juden anschaulich dar, wo jemand Ohren hatte, um zu hören. Wenn ihre Väter von alters her Mose von sich stießen, was war dann mit dem unvergleichlich geehrteren Propheten, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk, der soeben ausgeliefert wurde, um verurteilt und gekreuzigt zu werden? Dass ihr Herz sich von Gott abgewandt und Ägypten zugewandt hatte, war damals aus ihrer Aufforderung an Aaron und aus seiner schamlosen Nachgiebigkeit deutlich genug. Aber war es jetzt weniger wahr, wenn ein Räuber dem Gesalbten des Herrn vorgezogen wurde? „Da schrien wiederum alle und sagten: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber“ (Joh 18,40). „Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gebeten, dass euch ein Mann, der ein Mörder war, geschenkt würde“ (Apg 3,14). Der Unterschied zwischen den Vätern und den Kindern war nicht zu Gunsten der damals Lebenden, die immer träge waren, das gegenwärtige Geschlecht und vor allem sich selbst zu schätzen, was es den Menschen am meisten angeht, richtig zu beurteilen. Und doch ist es genau das, was der Geist Gottes in jedem Menschen bewirkt, der zu Gott kommt: Wenn es einen lebendigen Glauben gibt, dann gibt es auch wahre Reue.
Aber der Unglaube sehnt sich nach einem gegenwärtigen und sichtbaren Führer. „Mache uns Götter, die vor uns herziehen sollen; denn dieser Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat – wir wissen nicht, was ihm geschehen ist“ (V. 40). Israel war rebellisch, als Mose auf dem Berg war; und so ist der Jude jetzt, da Christus in den Himmel aufgefahren ist. Aber ist es nur der Jude? Steht der Nichtjude in der Wahrheit? Nur durch seinen Glauben ist es möglich, wie der Apostel erklärt. Ist die Christenheit nicht hochmütig, statt demütig zu sein und von Herzen zu hören? Ist sie nicht hochmütig, statt in der Güte zu verharren? Und was muss ihr Ende sein? „Sonst wirst auch du ausgeschnitten werden“ (Röm 11,22). Die Christenheit ist, ohne es zu ahnen, dem Untergang geweiht. Wenn Gott die natürlichen Zweige, die Juden, nicht verschont hat, so wird Er wird gewiss nicht die anmaßende wilde Pfropfrebe verschonen:„und so wird ganz Israel gerettet werden“ (V. 26).
Die Getauften verließen leider bald ihre eigene Gnade und verleugneten das besondere Zeugnis, für das sie zur Ehre Gottes vor der Welt verantwortlich waren. Sie wurden der Abhängigkeit von einem erhabenen, aber abwesenden Herrn überdrüssig; sie hörten auf, auf seine Wiederkunft vom Himmel zu warten und verdrängten praktisch die Gegenwart und das freie Wirken des Heiligen Geistes in der Versammlung, sie gaben ihre bräutliche Absonderung für weltlichen Einfluss und Gunst auf, und sie überschwemmten die Gnade unter einem System von Gesetz und Verordnungen: So hatte das Wort Gottes durch die Tradition wenig oder gar keine Wirkung mehr, während die Abkehr von der Wahrheit mehr und mehr zum Zustand derer wurde, die den Namen des Herrn bekannten. Die Abneigung gegen Ihn führte schnell zur Entfremdung, und das Herz wandte sich bald jener Welt zu, aus der die Gnade zu Gott herausruft und absondert. Der Mensch ist von Natur aus noch götzendienerischer als skeptisch; Unglaube ist die Mutter dieser beiden Feinde Gottes und seiner Wahrheit. Die Menschen lieben es, Götter zu haben, die vor ihnen hergehen. Der wahre Erlöser, der lästig ist, wird leicht vergessen: „Wir wissen nicht, was ihm geschehen ist“ (V. 40). Ist die Geschichte in der Wüste nicht prophetisch? „Diese Dinge aber sind als Vorbilder für uns geschehen, damit wir nicht nach bösen Dingen begehren, wie auch jene begehrten. Werdet auch nicht Götzendiener wie einige von ihnen, wie geschrieben steh? … Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf die das Ende der Zeitalter gekommen ist“ (1Kor 10,6.11).