Behandelter Abschnitt Joh 19,12-15
Daraufhin suchte Pilatus ihn freizulassen. Die Juden aber schrien und sagten: Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich selbst zum König macht, spricht gegen den Kaiser. Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus hinaus und setzte sich auf den Richterstuhl an einen Ort, genannt Steinpflaster, auf Hebräisch aber Gabbatha. Es war aber Rüsttag32 des Passah; es war um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Siehe, euer König! Sie aber schrien: Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn! Pilatus spricht zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als nur den Kaiser (19,12–15).
Wie ohnmächtig ist der Kampf, das Richtige zu tun, wo jemand die Welt liebt, die eigenen Sünden nicht richtet und die Gnade nicht bekannt ist! Die Juden durchschauten Pilatus, wie er sie durchschaute. Wie trostlos, Christus nicht zum ewigen Leben zu haben! Pilatus zog die Freundschaft der Welt dem Sohn Gottes vor, wie die Juden keine Schönheit in Ihm sahen, die sie bewundern sollten; und beide trugen ihren Teil dazu bei, Ihn zu kreuzigen. Pilatus mag versuchen, Jesus freizulassen, er mag ein- und ausgehen, er mag mit Jesus sprechen und Hohn über die Juden ausschütten. Aber das letzte Wort des abtrünnigen Unglaubens geht über ihre Lippen und verschließt den Mund des Pilatus, der in der Treue zum Kaiser nicht hinter den Juden stehen wird. Jetzt ist alles vorbei. Der Fürst der Welt kommt, und obwohl er nichts in Christus findet, stirbt dieser, verworfen von den Menschen, verlassen von Gott, der Gerechte für unsere Sünden; niemals hat es solchen Hass und solche Ungerechtigkeit wie von Seiten der Welt Ihm gegenüber gegeben; aber auch niemals solche Liebe und Gerechtigkeit wie von Seiten Gottes der Welt gegenüber durch Ihn.
Das Christus ablehnende Wort war gefallen. Ihre Treue zum Römer war eine Lüge, ihre ungeheure Schuld, sich des Messias und Gottes selbst und all ihres Glaubens und ihrer Hoffnung zu entledigen. Die Juden verabscheuten die Unterwerfung unter den Kaiser; sie erkannten weder sein Recht noch ihre eigene Sünde an, die der Anlass für seine Oberherrschaft war. Aber sie verabscheuten den Messias mehr, nicht ihre Idee, sondern die Wirklichkeit nach Gott. Sie hatten mit Jesus weder einen Gedanken noch ein Gefühl, weder ein Wort noch einen Weg noch eine Absicht gemein; und dies, weil Er ihnen Gott in Gnade vorstellte, weil Er den Menschen in vollkommener Abhängigkeit und Gehorsam gegenüber Gott offenbarte, und ihr Wille mit schlechtem Gewissen beides verwarf. Daher war das Kreuz für sie am abstoßendsten. „Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus bleibe in Ewigkeit, und wie sagst du, dass der Sohn des Menschen erhöht werden müsse? Wer ist dieser, der Sohn des Menschen?“ (12,34). Und doch war das Gesetz klar genug, dass der Messias von den Menschen, besonders von den Juden, verworfen werden und jenen Tod des Fluches sterben sollte, die schreckliche Sünde des Menschen und doch Gottes Sühnungsopfer für die Sünde. Aber der Wille, beherrscht von Satan, um einem gegenwärtigen Zweck zu dienen, in Verfolgung der Begierden und Leidenschaften des Menschen, machte sie blind für sein Wort und für ihre eigene selbstmörderische Verdorbenheit; denn schon bald waren sie im Begriff, ihre Aufsässigkeit gegenüber dem Kaiser zu beweisen und die Römer kommen und ihren Platz und ihre Nation wegnehmen zu lassen, aber nicht, bevor sie Jerusalem mit dem Schauspiel ihrer eigenen Strafe erfüllt hatten, bis kein Platz mehr für weitere Kreuze war, und Holz versagte, sie zu machen: so Josephus.
32 Kein Sachverhalt im Evangelium ist unter frommen und gelehrten Menschen heftiger und mit größeren Differenzen diskutiert worden als der von παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Verbindung mit Johannes 18,28, der einen modernen oder nichtjüdischen Leser auf den ersten Blick zweifellos zu der Annahme veranlasst, dass der Herr das Passahfest gefeiert und sein eigenes Abendmahl am Tag vor der von den Juden befolgten Zeit eingesetzt haben muss. Andererseits ist es nicht weniger offensichtlich, dass der Herr nach den drei synoptischen Evangelien das Passahfest mit den Jüngern zur regulären Zeit, am 14. Nisan, gefeiert hat. Daher hat es nicht an jenen gefehlt, die es gewagt haben, den Bericht des Johannes zu verwerfen, während eine noch größere Zahl dem gegenteiligen Irrtum verfallen ist und die früheren Evangelisten so behandelt hat, als ob sie das Mahl mit dem Passahfest verwechselten. Nicht wenige, wie Dekan Alford, geben die Frage in ihrer Verzweiflung auf, da sie für uns unlösbar ist. Die Wahrheit ist, dass alle diese streitenden Parteien mit dem Irrtum beginnen, die offensichtliche und sichere Tatsache zu vergessen, dass die Juden den Tag vom Abend bis zum Abend zählen, und dass es daher ein Irrtum ist, anzunehmen, dass der Herr an einem Tag das Passah mit den Jüngern nahm und am nächsten Tag litt [Neander, Meyer, Godet, Weiss, El-Licott, Westcott, Sanday]. So wäre es nach unserer westlichen Denkgewohnheit, aber nicht so nach den Juden, die im Gesetz erzogen wurden. An unserem Donnerstag aßen sie, und an unserem Freitag litt Er; für die Juden aber war es ein und derselbe Tag. Daher hatten die Juden, die zu sehr mit dem Scheinprozess und der Verurteilung unseres Herrn beschäftigt waren, noch Zeit, das Passah zu essen, wenn sie sich in der Zwischenzeit nicht gesetzlich verunreinigten. Mit der Vorbereitung des Passahs ist nicht der 13., sondern der 14. Nisan gemeint. Es war der Tag vor dem Sabbat des Passah, der bei dieser Gelegenheit ein doppelter war und daher von besonderer Heiligkeit. Daher sagt Matthäus, wenn er von diesem Sabbat spricht, ἥτις ἐστὶν μετὰ τὴν παρασκευὴν, wie Markus erklärt, παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον, oder Sabbatvorabend. Dies scheint schlüssig, um die Aussagen des vierten Evangeliums mit denen der anderen drei zu vereinbaren. Die schmerzliche Tatsache ist der Unglaube, der so viele gelehrte und sogar gottesfürchtige Personen zu einer so voreiligen und unvorsichtigen Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift verleitet hat. Hätten sie an dem inspirierten Charakter der heiligen Schriften festgehalten, hätten sie zumindest Irrtum und Respektlosigkeit vermieden, wenn sie die Schwierigkeit nicht ausräumen konnten.↩︎