Behandelter Abschnitt Joh 15,12-17
Der Herr nennt nun einen besonderen Charakter der Frucht, der immer kostbar ist, aber hier in der Beziehung der Jünger zueinander, so wie wir vorher die Beziehung Christi und des Vaters zu ihnen hatten.
Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe. Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört habe, euch kundgetan habe. Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe, damit, um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er euch gebe. Dies gebiete ich euch, dass ihr einander liebet (15,12–17).
Die Liebe zueinander ist das ausdrückliche Gebot des Herrn an seine
Jünger. Es geht nicht um die allgemeine moralische Pflicht, den Nächsten
zu lieben, sondern um die gegenseitige Liebe der Christen, deren Maßstab
seine eigene Liebe zu ihnen ist. Die Natur des Falles schließt die Liebe
Gottes aus, die ihnen in ihrer Schuld, Feindschaft und Schwäche
entgegenkam, als sie noch Objekte der souveränen Gnade waren. Sie waren
nun aus Gott geboren und daher aus Liebe; denn Liebe, wie sie von Gott
kommt, der Liebe ist, ist die Energie der neuen Natur. Daher ist dies,
was immer der Herr sonst noch gebieten mag, sein Gebot: Er hat sie
geliebt und möchte, dass sie sich untereinander entsprechend lieben. So
sagt Paulus den Thessalonichern, dass er es nicht nötig habe, ihnen
darüber zu schreiben, denn sie seien zwar noch jung in göttlichen
Dingen, aber sie seien von Gott gelehrt, einander zu lieben (1Thes 4,9).
Das war auch der vorzüglichere Weg, den er den Gläubgen in Korinth
zeigte, die zu ihrem Schaden eher mit Macht als mit Liebe beschäftigt
waren, bestenfalls mit der Darstellung des Sieges des Herrn in seiner
Schöpfung über den Satan als mit der inneren Energie, die seine Gnade
gegenüber uns selbst oder anderen zur Ehre Gottes genießt (1Kor 13). Bei
den Gläubigen in Rom wiederum wird die Liebe wiederholt angemahnt, als
diejenige, die ungeheuchelt sein soll, und die auch, wo immer sie ist,
das Gesetz praktisch erfüllt hat, ohne daran zu denken (
Aber jeder Gläubige, der mit dem Neuen Testament vertraut ist, wird sich daran erinnern, welch große Rolle sie im ersten Brief unseres Evangelisten einnimmt. Nicht dass die Liebe Gott ist, sondern Gott ist die Liebe, wie Er das Licht ist; und wer liebt, der ist aus Ihm geboren und erkennt Ihn. Denn die Menschen haben alle Wissen erworben, wie vorher einige Macht ausgeübt haben; aber es geht um das Leben im Sohn Gottes, und der Heilige Geist wirkt in diesem Leben kraft der Erlösung, und die, die das Leben haben, wie sie im Licht wandeln, so wandeln sie auch in der Liebe. Und auch was die Erkenntnis betrifft, gibt es keine wahre Erkenntnis außer in dem, der wahr ist, in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben: Jeder Gegenstand außerhalb von Ihm ist ein Götze, von dem wir uns fernhalten müssen, sei es Wissen, Macht, Stellung, Liebe, Wahrheit oder irgendetwas oder irgendjemand anderes. Denn wer den Sohn leugnet, der hat den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater. Und wie der Vater uns eine über alle Maßen große Liebe geschenkt hat, indem Er uns schon jetzt zu Kindern Gottes gemacht hat, so kennzeichnet die Liebe zu den Brüdern die, die aus dem Tod in das Leben übergegangen sind. Das alte Gebot ist das Wort Christi, dass wir einander lieben sollen, aber es ist auch ein neues Gebot, weil es in ihm und in uns wahr ist. Lebt Christus in mir, so lebe ich durch den Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat; und dieses Leben zeichnet sich nicht nur durch Gehorsam aus, sondern auch durch die Liebe, die ihm entspringt.
Und so ist es auch hier. Der Herr hatte es in Johannes 13 als ein neues und kennzeichnendes Gebot niedergelegt, das Er ihnen gab. Hier wiederholt Er die Liebe zueinander nach dem Muster seiner Liebe zu ihnen. Wie rein und grenzenlos war sie! Glauben wir dies als seinen Willen über uns? Lieben wir so, als ob wir Ihm glaubten und seine Liebe schätzten? Kann irgendetwas hohler, gefährlicher oder ekelerregender sein als die höchsten Worte mit niedrigen und widersprüchlichen Wegen? Der Gnostizismus fraß das Herz der frühen Christenheit aus, wo es nicht in Aberglauben und Formalität verfiel, und wurde immer dunkler und kälter; und derselbe Geist ist jetzt noch zerstörerischer, weil er reichlicheres Material hat, und verhärtet sich im Unglauben sogar zum Agnostizismus. Einander zu lieben, nicht bloß die, die gleich denken, am allerwenigsten die, die in irgendeinem verhältnismäßig kleinen und äußeren Punkt gleich denken, sondern die zu lieben, die Christus angehören, trotz zehntausend Dingen, die unserer Natur zu schaffen machen, ist von aller Wichtigkeit zusammen mit der Wahrheit, und wie sie hier bewahrt wird, einander zu lieben, wie Er uns geliebt hat. Er erfreut sich der Liebe bis zum Tod. „Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde“ (V. 13). Die Liebe Gottes in Jesus ging unendlich weit darüber hinaus; aber dann steht sie notwendigerweise allein, und es ist angemessen, dass sie es tut. Wir sollen unser Leben für die Brüder hingeben, wie wir an anderer Stelle gelehrt werden. Aber wo ist der Wert einer solchen Lehre, wenn wir darin versagen, uns täglich mit dem Herzen um die gemeinsamen Nöte und Leiden der Kinder Gottes zu kümmern (1Joh 3,17.18)? Der Herr verbindet die Liebe sogleich mit dem Gehorsam, ohne den sie nur Selbstgefälligkeit ist und Ihn nicht in ihr oder vor sich hat. „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete“ (V. 14). Es ist nicht die Versöhnung der Feinde, von der Er spricht, sondern warum Er uns seine Freunde nennt. Gehorsam ist der Charakter und die Bedingung. Er sagt hier auch nicht, wie Er als unser Freund dasteht, wenn wir Feinde sind, sondern Er nennt uns seine Freunde, wenn wir das tun, was Er seinen Jüngern auferlegt.
Ist das alles? Weit gefehlt. Er behandelt uns als Freunde entsprechend seiner vollkommenen Liebe, denn Er führt uns in seine Geheimnisse ein, statt uns nur unsere Pflicht vorzustellen. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört habe, euch kundgetan habe“ (V. 15).
Abraham, der in alter Zeit Freund Gottes genannt wurde, genoss diese Intimität mit seinem allmächtigen Beschützer inmitten der verdammten Völker, unter denen er lebte, ein abgesonderter und beschnittener Fremder; und so ist es mit den Seinen jetzt, dass der Herr in noch großzügiger Gnade handelt; denn was hat Er zurückbehalten? In einem anderen Sinn ist es unser Rühmen, seine Knechte zu sein, wie jemand sagte, der vorzüglich abgesondert war für das Evangelium Gottes. Aber nichtsdestoweniger – in der Tat, sehr viel wahrhaftiger – begreifen wir die freie Mitteilung seiner Liebe und schätzen sie und handeln danach, wenn wir gewohnheitsmäßig gehorsam sind, wie wir es bei Joseph im Alter oder später bei Daniel sehen können. Es sollte, es ist im Prinzip, das hochgeschätzte Vorrecht der Versammlung, auf diese Weise seine Gedanken zu kennen und durch sie das verworrene Netz des menschlichen Lebens oder sogar die wechselnden Geschicke der Welt zu deuten; aber praktisch müssen wir im Gehorsam geübt werden und beständig sein, wenn das Vorrecht eine lebendige Realität und nicht ein bloßer Anspruch sein soll. Die Christenheit hat es aufgegeben, hält es für nichts als Anmaßung und begnügt sich damit, nach dem Augenschein und nicht nach dem Glauben zu wandeln, indem sie ihr Vorrecht verleugnet.
Aber Gott ist treu, und es gibt die, die im Gehorsam gegenüber seinem Wort auf das eingehen, was Er bekanntgemacht hat, und den Segen finden. Zweifellos ist die Verantwortung nicht weniger groß als das Vorrecht; und deshalb müssen die Seinen mit der Gnade, die allem zugrundeliegt, ermutigt werden. Deshalb fügt Er hinzu: „Ihr habt nicht mich auserwählt, sondern ich habe euch auserwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingehet und Frucht bringet und eure Frucht bleibe, damit, um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er euch gebe. Dies gebiete ich euch, dass ihr einander liebet“ (V. 16.17).
Segen kommt immer vom Herrn Jesus und der Gnade, die in Ihm ist. Gehorsam folgt auf solch unverdiente Gunst und sollte ihr auch folgen, denn im Gehorsam liegt gewiss frischer Segen. Aber das Herz muss sich von unserem Gehorsam oder seinem Segen zum Segensspender wenden, wenn es neuen Gefahren und deutlichem Bösen entgehen will; die Quelle der Kraft ist nie anders bekannt als in Ihm, und die Gnade, die gesucht und gefunden wurde, rettet und segnet. Daher war es von größter Wichtigkeit, wenn die göttlichen Regierung den Gläubigen vorgestellt wird, dass sie sich immer an Ihn und seinen souveränen Willen erinnern würden, als die Quelle all dessen, was sie charkaterisierte. Nicht sie wählten Christus aus, sondern Er wählte sie aus. Es ging auch nicht nur darum, ihren Meister zu kennen und Ihm zu folgen. Er hat sie berufen25 oder gesetzt, dass sie hingehen und Frucht bringen sollten, und ihre Frucht sollte bleiben. Obwohl sie Apostel waren, waren sie seine Freunde, um Ihm umso mehr zu gehorchen.
So wird, während die Verantwortung unangetastet bleibt, die Gnade als die Quelle all dessen gezeigt, was gesucht und gut gemacht wird; und ferner die Verbindung von beidem mit der Abhängigkeit vom Vater, der allein zum Erfolg führt, was immer sie im Namen Jesu erbeten haben sollten. Je tiefer und größer der Segen, desto notwendiger ist das Gebet; aber dann sollte der Charakter und die Zuversicht des Gebets mit dem Empfinden der Gnade in Christus und der unerschütterlichen Absicht des Vaters zunehmen, seinem Namen Ehre zu machen, in dem sie sich mit ihren Bitten Ihm nähern. Sein Name kann durch den Glauben daran den Schwächsten stärken, und so wird der Vater in dem Sohn verherrlicht, der Ihn verherrlicht. Misstrauen oder Nachlässigkeit ist ebenso ausgeschlossen.
Es ist kaum nötig, viele Worte zu sagen, um die Darlegung Calvins und anderer zu widerlegen, die dies zu einer Frage der Erwählung und Ordination zum Apostelamt machen und folglich die bleibende Frucht so verstehen, dass die Versammlung bis zum Ende des Zeilalters Bestand haben wird, da die Frucht der apostolischen Arbeit auch in ihren Nachfolgern fortgesetzt wird. Die hier gebotene Liebe ist demnach auf die gegenseitige Zuneigung unter den Amtsträgern beschränkt. Zweifellos ist ein freier und unverdächtiger Fluss liebevollen Vertrauens wesentlich für einen guten Zustand, und unter denen, die arbeiten, besonders, da der Mangel daran hier am beklagenswertesten ist; aber der Herr beschränkt seine Worte nicht auf die Apostel oder sogar auf solche, die ihnen im öffentlichen Dienst seines Namens folgen.
Einander zu lieben, ist also das neue und wiederholte Gebot Christi an die Seinen. Zu lieben ist die positive und richtige und beständige Ausübung der neuen Natur, wie sie durch das Wirken des Geistes in Christus gewirkt wird, nicht immer brüderliche Freundlichkeit in der Ausübung, aber die Liebe versagt nie. Aber gerade diese Zuneigung, die hier auf der Erde fremd ist, setzt die, in denen sie gefunden wird, dem direkten Wirken Satans aus – einem Mörder und Lügner von Anfang an. In dem Bewusstsein, dass Selbstlosigkeit in der Zuneigung entsprechend Gott eine Unmöglichkeit für die Natur ist, betrachten die Menschen jeden Beweis dafür als bloße Heuchelei, die im Christen zu verachten und zu verabscheuen ist. Denn wie könnte er sich von anderen unterscheiden?
25 Bestimmt deutet auf etwas anderes hin, das dem Abschnitt und dem Zusammenhang fremd ist. In Apostelgeschichte 1,22 wird das gleiche Wort bekanntlich in die Autorisierte Fassung eingeschoben, da es im Griechischen kein Gegenstück hat, das es impliziert.↩︎