Behandelter Abschnitt Joh 14,30-31
Ich werde nicht mehr vieles mit euch reden, denn der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat. – Steht auf, lasst uns von hier weggehen! (14,30.31).
Damit deutet der Herr an, dass Er nicht mehr vieles mit ihnen zu reden hat. Er hatte eine andere Aufgabe vor sich; denn der Feind kam, jetzt charakterisiert als der Fürst der Welt, der den Sohn Gottes verworfen hatte und damit seine Gegnerschaft zum Vater und seine Unterwerfung unter Satan bewies; aber, so sehr er auch kommen mochte, er hatte am Ende nicht mehr in Christus als am Anfang. Damals hätte er den Heiland gern vom Weg des Gehorsams abgebracht, indem er Befriedigung anbot; jetzt bemüht er sich, Ihn auf diesem Weg mit Furcht und Schrecken vor dem Tod zu erfüllen, der vor ihm lag. Es war vergeblich: „Den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (18,11). In uns ist natürlich alles vorhanden, was dem Satan eine Handhabe bieten kann; in Christus hatte er nichts. So konnte es nur sein wegen der Herrlichkeit und unbefleckten Vollkommenheit seiner Person, wahrer Gott und unbefleckter Mensch; und so muss es auch für uns sein, wenn wir das ewige Leben in Ihm haben und Er unsere Sünden wegnimmt, und das alles im Gehorsam und zur Ehre Gottes, seines Vaters. Deshalb fügt Er hinzu: „aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat“ (V. 31). Es war in der Tat die Liebe des Sohnes bis zum Äußersten; es war auch der uneingeschränkte Gehorsam.
Hier beendet der Herr diesen Teil seiner Mitteilungen und kennzeichnet ihn durch die abschließenden Worte: „Steht auf, lasst uns von hier weggehen!“
Joh 15,1
Behandelter Abschnitt Joh 15,1-17
Nachdem der Wechsel des Themas auf diese Weise deutlich gemacht wurde, fährt der Herr nun fort, den Jüngern seine Gedanken in einem der Gleichnisse darzulegen, die unserem Evangelium eigen sind.
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir, und ich in euch. Wie die Rebe nicht von sich selbst aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt (15,1–4).
Damit stellt der Herr Israel als Quelle des Fruchtbringens für Gott beiseite. Schon lange hatten die Propheten die Nation als wilde Trauben tragend, als leeren Weinstock oder als nur zum Verbrennen geeignet angeprangert. Aber der Herr stellt sich selbst als der wahre und einzig gottgefällige Standard vor. Das war eine immense Wahrheit, die die Juden lernen mussten. In Israel war alles, worauf sie in Sachen Religion vertrauten. Dort war der Tempel, das Priestertum, die Opfer, die Feste; jede Verordnung, öffentlich oder privat, groß oder klein, von Gott eingesetzt. Außerhalb Israels waren die Heiden, die Gott nicht kannten. Jetzt zieht der Herr nicht nur den Schleier des hohlen Zustands des auserwählten Volkes weg, sondern macht das Geheimnis bekannt: Er ist der Weinstock – der wahre Weinstock. Er ist nicht nur eine fruchtbare Rebe, wo alle anderen unfruchtbar waren; Er ist selbst der wahre Weinstock. So haben wir das positive Objekt vor uns, die eine Quelle des Fruchtbringens. „Und mein Vater“, fügt Er hinzu, „ist der Weingärtner.“ Aber es ist noch eine andere Wahrheit nötig, die Offenbarung seines Vaters (der noch nicht vollständig als ihr Vater offenbart ist, obwohl Er es bald in seiner Auferstehung sein wird), nicht mehr als der Herr, wie einst im Weinberg der Nation, noch als der Allmächtige, der ihren Vätern bekannt war. Als Vater befasst Er sich mit den Reben des Weinstocks, der Christus selbst auf der Erde ist, Gegenstand des ganzen aktiven und wachsamen Interesses seines Vaters, der nach Frucht sucht. Aber es ist nicht Er allein; es gibt Reben an Ihm. Hier setzt ihre Verantwortung ein: Denn sie sind die Jünger des Herrn, einst nur Juden in ihrem natürlichen Zustand, von nun an berufen, für Gott Frucht zu bringen.
Und wie lauten nun die Bedingungen? „Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe“ (V. 2). Offensichtlich ist es die Regierung des Vaters über die, die den Namen des Herrn tragen. Den unfruchtbaren Bekenner entfernt Er; den fruchtbaren reinigt Er, damit er mehr Frucht bringt. Es ist der Vater, der nach dem Werk jedes Menschen richtet. Die Jünger waren in erster Linie im Blick; aber das Prinzip gilt natürlich auch für uns, jetzt, wo Israel noch deutlicher beiseitegestellt ist. Wie der Apostel uns in Hebräer 12 lehrt, züchtigt Er uns zu unserem Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Hier werden wir, wenn auch nicht weggenommen, so doch gereinigt, um mehr Frucht zu bringen. Das ist ein völlig anderer Zustand als ein Messias, der in Macht regiert, und sein Volk nichts als Wohlstand hat, Satan im Abgrund eingeschlossen und die Wüste frohlockend und blühend wie die Rose. Zweifellos ist es nicht die Vereinigung mit Christus im Himmel, auch nicht die Vorrechte der Gnade im Allgemeinen in Ihm, sondern die Aufforderung, Ihn auf der Erde in den täglichen Wegen zu allem zu machen, wenn wir wirklich Frucht bringen wollen. Er, nicht das Gesetz, ist die Regel des Lebens und die Quelle der Fruchtbarkeit; auch gibt es für den Christen keinen anderen, nicht einmal den Geist, der das Wort gebraucht, um Christus zu verherrlichen, sondern Ihn selbst.
Die Jünger hatten bereits die reinigende Kraft des Wortes bewiesen: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“ (V. 3). Sie hatten es empfangen und wussten, dass es von Gott kam, obwohl sie den Vater nur unvollkommen, wenn überhaupt, kannten. Doch das Wort Christi hatte in ihnen gewirkt; es hatte ihre Wege gereinigt, es hatte ihre weltlichen Gedanken verurteilt, es hatte ihre fleischlichen Begierden bloßgelegt: Die Wirkung war in ihrem Gewissen real. Judas war nun fort, so dass der Herr nicht zu sagen brauchte: „Ihr seid rein, aber nicht alle“, sondern im Gegenteil: „Ihr seid schon rein“, noch bevor der Heilige Geist als Kraft von oben gegeben wurde.
Die reinigende Wirkung des Wortes ist eine Kardinalwahrheit der Schrift, die gern vergessen wird, nicht nur von dem Katholiken, der auf Ordnungen vertraut, sondern auch von dem Protestanten, der ausschließlich vom Blut des Erlösers spricht, „das von aller Sünde reinigt.“ Gott bewahre uns, dass ein Wort gesagt wird, das dieses Blut verdunkelt oder jemanden von seinem rechtfertigenden Wert abbringt. Denn aus der Seite des Herrn floss Wasser und Blut; und wir brauchen beides. Das Blut sühnt, das Wasser reinigt. Und da das Blut ein für allemal vergossen ist und wirksam bleibt, im Gegensatz zu den unwirksamen und vielen Opfern der Juden, wird die Waschung mit Wasser durch das Wort nicht nur am Anfang angewandt, sondern ist notwendig, um die ganze Zeit zu reinigen. Wo dies nicht gesehen wird, folgt Verwirrung und die Schwächung, wenn nicht Zerstörung, der grundlegenden Wahrheit.
Doch hier besteht der Herr auf mehr – auf der Notwendigkeit und der Wichtigkeit der Abhängigkeit von Ihm, der Vertrautheit mit Ihm selbst. Das bedeutet, in Christus zu bleiben; und sein Wort lautet: „Bleibt in mir, und ich in euch.“ Es ist nicht souveräne Gnade für den Sünder, sondern sein Ruf an den Jünger; und daher ist sein Bleiben in uns als eine Sache der täglichen Gemeinschaft von unserem Bleiben in Ihm abhängig. „Wie die Rebe nicht von sich selbst aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (V. 4). Es gibt nichts Einfacheres als diese Tatsache im Äußeren, nichts Sichereres in unserer Erfahrung, als dass es innerlich so ist. Er, und Er allein, ist die Wohnung für uns in dieser Welt der Schlinge und Gefahr, in dieser Wüste, wo kein Wasser ist. Mach Ihn zum Mittel, mach Ihn zum Gegenstand, und der Saft fließt sozusagen ungehindert, und es kommen Früchte hervor. Ohne Ihn nützt keine Lehre, und alle religiöse Begeisterung scheitert; bring Ihn hinein, vertraue Ihm, und, was auch immer die Schwierigkeit oder der Schmerz oder die Schande, was auch immer die Opposition oder die Ablehnung sein mogen, Er stützt das Herz, und das Fruchtbringen folgt. Außer Ihm können wir nichts tun; mit Ihm alle Dinge. So sagte jemand, der es gut gelernt hatte: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13).
Es scheint kaum nötig zu sein, anzumerken, dass die Beziehung von Haupt und Leib in der Schrift einem ganz anderen Zweck dient und völlig herausgehalten werden muss. Die himmlische Gnade bildet diesen einen Leib durch den einen Geist, der mit dem verherrlichten Haupt vereint ist; und da hören wir nichts von Zerreißen, Verstümmeln oder Abschneiden. Es ist die Versammlung, die als Gegenstand der unfehlbaren Liebe Christi betrachtet wird, bis Er sie sich selbst in der Herrlichkeit darstellt. Die Verantwortung auf der Erde unter der göttlichen Regierung ist eine andere Sache; und diese, nicht die unfehlbare himmlische Beziehung der Versammlung, wird durch den Weinstock und seine Reben gelehrt. Daher sind calvinistische Mittel ebenso unangebracht wie die arminianischen Angriffe, die sie abwehren sollen. Niemand bezweifelt, dass das Bekenntnis scheitern kann. Das Leben ist trotzdem ewig; und in Christus gibt es nichts, was dem ewigen Leben nicht entspricht; aber das ist nicht die Lehre des Weinstocks, genauso wenig wie die Einheit des Leibes. Es ist schade, dass gelehrte Kommentatoren die Schriftstellen, die sie zu erklären versuchen, nicht mit Glauben und Sorgfalt lesen.
Die einleitenden Worte hatten das Prinzip Christi als Quelle der Frucht beschrieben, im Gegensatz zu Israel und unter der lebendigen, wachsamen Obhut des Vaters. Es war völlig verschieden von der Regierung über das Fleisch durch das Gesetz vor dem Herrn, wie in der auserwählten Nation, zu der alle Reben gehörten. Christus verdrängt hier die merkwürdigen Verbindungen. Er hatte gezeigt, dass Frucht in den Augen des Vaters so unentbehrlich ist, dass eine Rebe, der keine Frucht bringt, entfernt wird, während der, der Frucht bringt, gereinigt wird, um mehr zu tragen. Er hatte die Jünger bereits aufgrund seines Wortes für rein erklärt und sie aufgefordert, in Ihm zu bleiben, wie Er in ihnen; und das, weil sie keine Frucht bringen konnten, wenn sie nicht in Christus blieben, ebenso wenig wie die Rebe selbst, wenn sie nicht am Weinstock blieb.