Behandelter Abschnitt Joh 14,15-19
Aber der Herr fügt noch viel mehr hinzu, und zwar von größter Bedeutung.
Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote; und ich werde23 den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch [ihn] kennt. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen, ich komme zu euch. Noch eine kleine Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich: Weil ich lebe, werdet auch ihr leben (14,15–19).
Die Art und Weise, ihre Zuneigung und Ergebenheit zu ihrem Meister zu zeigen, wäre durch Gehorsam. Trotz seiner Gnade verheimlicht Er ihnen nicht seine Autorität. Seinen Geboten zu gehorchen, würde also ihre Liebe viel besser beweisen als Eifer in der Arbeit oder Trauer über seine Abwesenheit; denn seine Abwesenheit, wie ernst sie auch sein mag, wird durch Gottes Güte und Weisheit zu besseren Segnungen und tieferen Wegen für die Gläubigen umgewandelt, so wie sie die Gelegenheit bietet, die verborgenen Ratschlüsse Gottes zu seiner eigenen unendlichen Herrlichkeit in Christus zu offenbaren. Ihr Platz war es, seinen Geboten zu gehorchen, wie sie Ihn liebten, während Er den Vater bitten würde, der ihnen einen anderen Sachwalter oder Fürsprecher senden würde, wie Er selbst es gewesen war, jemanden, der sich ihrer Sache annehmen und sie ausführen würde, wie es ein römischer Patron der alten Zeit für seine Klienten tat oder ein moderner Anwalt jetzt in seinem geringen Maß tut. Tröster24 scheint ein zu schwaches Wort zu sein und trennt den Geist in unangemessener Weise von unserem Herrn, der in 1. Johannes 2,1 kaum so bezeichnet werden kann, wo Tröster auf sein Wirken in der Höhe angewandt wird, wie hier auf das des Heiligen Geistes auf der Erde.
Außerdem sollte dieser andere Sachwalter, der vom Vater als Antwort auf die Bitte Christi gegeben wurde, nicht nur für eine kurze Zeit da sein, wie der Heiland hier auf der Erde. „Und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit“ (V. 16). Dies ist eine Wahrheit großen Trostes, aber auch eine sehr ernste Warnung für die Christenheit. Wer glaubt das? Sicherlich nicht die, die sich evangelischer Ansichten rühmen, aber ihren unbewussten Unglauben verkünden, indem sie regelmäßig zu Beginn jeden Jahres beten, dass Gott seinen Heiligen Geist erneut auf seine Kinder in ihrem niedrigen Stand ausgießen möge. Ist damit gemeint, dass die selbstgefällige Masse in der Christenheit (die keine solchen besonderen Bitten äußert, sondern annimmt, dass der Heilige Geist notwendigerweise und unfehlbar durch Päpste oder Älteste oder ähnliche Amtsträger wirkt) wirklich gläubiger ist? Weit gefehlt. Sie sind stolz und aufgeblasen, als würde Gott ihre Stellung stützen und gutheißen. Völlige Blindheit hält ihre Augen geschlossen, so dass sie nicht sehen können, dass ihr Zustand ein Abweichen von Gottes Willen, Wahrheit und Gnade ist. Aber auch der entgegengesetzte Pol eines Irrtums kann ein Irrtum sein; und die Annahme, dass der Heilige Geist Babylon in ihrer Verwirrung der Welt und der Kirche lenkt, wird nicht durch die praktische Leugnung der bleibenden Gegenwart des Geistes in den periodischen Bitten um eine neue Ausgießung auf uns behoben.
Es wäre gut, um ein einfältiges Auge und einen Geist der Demütigung zu bitten, damit wir aufhören, Böses zu tun, und lernen, Gutes zu tun, und dies mit einem wahrhaft zerknirschten Herzen und einem tiefen Empfinden dafür, von woher wir gefallen sind, und für das baldige Kommen Christi. Es wäre gut, uns selbst nach dem Wort Gottes zu beurteilen, nicht nur in unserem persönlichen Leben, sondern auch in unseren gemeinschaftlichen Wegen und in der Anbetung, um zu beachten, dass wir den Geist weder betrüben noch auslöschen (Eph 4,30; 1Thes 5,19), und um ernsthaft zu wünschen, dass wir „mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inneren Menschen“, wenn wir nicht auch zuerst von Ihm erleuchtet werden müssen, damit wir die Hoffnung seiner Berufung erkennen, „welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen und welches die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden“ ist (Eph 3,16; 1,18.19). Das sind die wahren Bedürfnisse, sogar dort, wo der Friede mit Gott persönlich genossen wird; denn es gibt nichts, was im Allgemeinen so wenig bekannt ist, wie das, was der Christ und die Versammlung wirklich sind; und wie können die Aufgaben oder Pflichten erfüllt werden, wo die Beziehung ignoriert oder falsch verstanden wird?
Nun, bei alledem geht es um die großen Wahrheiten, die uns in diesen Kapiteln unseres Evangeliums vor Augen stehen, die Abwesenheit Christi von der Welt, um seinen Platz als der Auferstandene im Himmel auf der Grundlage der Erlösung einzunehmen, und die Gegenwart des Heiligen Geistes, der herabgesandt wurde, um für immer bei den Gläubigen zu sein. Der Glaube zeigt sich also nicht darin, dass wir Ihm Versagen trotz unseres eigenen Versagens unterstellen und um eine erneute Ausgießung beten, als ob Er in Abscheu geflohen wäre und wieder herabgesandt werden müsste, sondern darin, dass wir uns von allem Bösen, das das Wort verurteilt, trennen und den Willen Gottes tun, soweit wir ihn erfahren, und dabei mit der sicheren Gegenwart des Geistes gemäß der Verheißung des Erlösers rechnen. Segen und Kraft folgen dem Gehorsam, so wie der Herr es hier ausdrückt. Nichts kann man sich moralisch falscher vorstellen, als in dem zu verharren, von dem man weiß, dass es falsch ist, und auf die Kraft zu warten, um dann zu gehorchen. Nicht so; zumal auch diese hohle Ausrede das besondere Vorrecht des Christen leugnet, dass er den Geist schon hat, indem er Christ ist. Und so auch die Versammlung Gottes: Wenn nicht, ist es eine andere Kirche, nicht die seine; denn nur durch die Gegenwart des Geistes ist die Versammlung wirklich und immer und in allen Dingen verantwortlich, von Ihm geleitet zu werden, von dem es sogar heißt: „der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch [ihn] kennt. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (V. 17).
Der Herr hatte hier die Gegenwart des Heiligen Geistes bei den Gläubigen vor sich und versicherte ihnen nicht nur, dass sie ewig sein sollte, sondern erklärte auch, warum die Welt keinen Anteil an Ihm haben konnte, während die Menschen den Messias zwar objektiv, aber äußerlich und vergeblich für das ewige Leben sehen und erkennen konnten. Aber mit dem Geist, wie Er jetzt gegeben wurde, was konnte die Welt gemeinsam von Ihm haben? Er könnte nur durch seine Gegenwart bei den Gläubigen außerhalb der Welt Sünde, Gerechtigkeit und Gericht beweisen (Joh 16,8). Aber Er ist nicht etwas, das man sehen oder erkennen kann, und die Welt hat keinen Glauben, sonst wäre sie nicht die Welt; wohingegen die Gläubigen, die Christen, sich fortan dadurch auszeichnen würden, dass sie Ihn kennen, unsichtbar wie Er ist, „denn Er bleibt bei euch und wird in euch sein“ (V. 17). Nicht, dass man mit Euthymius Ziegenbart, dem viele Gläubige seiner Tage bis zu den unsrigen folgten, denkt, dass sein Bleiben in Jesus, der unter ihnen war, die Bedeutung ist; sondern dass Er, wenn Er gegeben war, bei ihnen bleiben sollte, anstatt einen kurzen Aufenthalt zu machen, wie der des Herrn; ja, dass Er nicht nur bleiben, sondern in ihnen sein würde, was der Messias nicht sein konnte, wiewohl Er mit ihnen verkehrte. Es sollte eine neue, besonders innige Gegenwart Gottes in und bei den Gläubigen sein, im Gegensatz zur Welt, die Christus verworfen hatte. Und es gibt kein sichereres Zeichen und keine sicherere Vorbereitung für den endgültigen Abfall in seiner vollständigen Form als die ungläubige Abkehr von Gott, die die Gläubigen und die Welt miteinander verbindet: sei es in einer päpstlichen Annahme der Sanktion des Geistes oder in einem protestantischen Unglauben an seine Gegenwart. Letzteres kann man verstehen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, mit dem Tod um sich herum und in ihrem Innern zu leben, was sie dazu veranlasst, nach dem Geist zu rufen, als ob Er weg wäre, anstatt alles aufzugeben, was Ihn betrübt und die Offenbarung seines gnädigen Wirkens behindert.
Aber, sagte der Herr, „Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen, ich komme zu euch“ (V. 18). Nicht durch seine zukünftiges Kommen, sondern durch die Gabe des Geistes. So würde Er sie in seiner eigenen Abwesenheit trösten. „Noch eine kleine Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich: Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (V. 19). Nichts könnte ihren Gedanken und Erwartungen an den Messias Israels, der von allen Augen gesehen wurde, obwohl Er seinem eigenen Volk auf der Erde besonders nahe war, mehr entgegenstehen. Jetzt sollten sie Ihn durch den Heiligen Geist sehen, den die Welt verworfen und verloren hatte und nicht mehr sehen würde, außer im Gericht. Und die Gläubigen sollten Ihn nicht nur sehen, sondern in demselben Leben leben, in dem Christus in ihnen lebt, wie der Apostel Paulus sagt (Eph 3,17), oder wie der Herr hier sagt: „Weil ich lebe, sollt auch ihr leben.“ Christus ist ihr Leben, und zwar in der Kraft der Auferstehung, auf die die zukünftige Zeitform hinweisen kann.
23 Es ist von Interesse und sogar bedeutend, den Unterschied von ἐρωτάω, wie es von Christus mit dem Vater verwendet wird, und αἰτέω von den Jüngern zu beachten. Nirgends sagt die Schrift von Ihm den letzten oder flehentlichen Ausdruck, außer in Marthas Mund (Joh 11,22), deren Glaube zwar echt, aber gering war. Christus verwendet ἐρωτάω, wenn er zum Vater spricht, wie die Jünger αἰτέω zu Ihm verwenden, und beide Wörter zu Christus. Das Wort ἐρωτάω wird auch im Sinn von verhören oder befragen verwendet.↩︎
24 Sprachlich ist es schwer, um nicht zu sagen unmöglich, sich den griechischen Begriff Tröster vorzustellen. Sowohl seine Struktur als auch sein Gebrauch weisen auf einen zur Hilfe Gerufenen hin, so wie eine verwandte, aber andere Form einen Tröster bezeichnet. Dies mag ein Sachwalter sein; aber er ist weit mehr und wird für jede Schwierigkeit und Not gerufen. So ist der Sachwalter, und zwar in unendlicher Weise, als eine göttliche Person. Zu trösten ist nur ein kleiner Teil seiner Funktionen. Beistand könnte genügen (wie in 1Joh 2,1; siehe auch: Exposition of the Epistles, S. 56 ff.)↩︎