Behandelter Abschnitt Joh 14,20-21
Aber es gibt mehr als das Leben, so gesegnet es auch ist: Sie leben, weil Christus lebt, Er selbst ist ihr Leben, nicht einfach als Sohn, sondern als auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Der Geist ist die Kraft zum Sehen und Erkennen, im Gegensatz zum Fleisch und der Welt. Und hier soll Er gegeben und erkannt werden, bei ihnen und in ihnen bleiben. Eine höchst feierliche Sache ist seine Kraft, wo Christus nicht das Leben ist: unaussprechlich glückselig, wo wir durch sein Leben leben.
An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren (14,20.21).
Es geht hier nicht einfach um die Herrlichkeit seiner Person, wie in den Versen 10 und 11. Das war damals wahr und eins Sache des Glaubens. Der Herr sagte zu Philippus: „Glaubst du nicht, dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist?“ Worte und Werke bezeugten es beide. „Glaubt mir“, sagte Er zu allen, „dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist.“ Sein Menschsein behinderte oder minderte in keiner Weise seine Würde, noch sein wesenhaftes Einssein mit dem Vater; und es war und ist von größter Wichtigkeit für die Gläubigen, es unerschütterlich und anbetend festzuhalten. Der Sohn ist Gott, wie der Vater. Aber nun sollte es mehr geben und erkannt werden; unmöglich ohne seine persönliche Herrlichkeit, aber abhängig von seinem Werk und der Gabe des Geistes. Das haben wir jetzt, denn dieser Tag ist gekommen. Es ist nicht die zukünftige Herrlichkeit, sondern die gegenwärtige Gnade, die uns in die engste lebendige Verbindung mit Ihm bringt, der in die himmlische Herrlichkeit eingegangen ist, und doch hier mit uns eins ist, wie wir mit Ihm dort, durch den Geist, der gegeben wurde, damit wir alles erkennen.
In dieser Erkenntnis sind die Gläubigen – die wahren Gläubigen Gottes – schmerzlich abgestumpft, und das nicht nur zu ihrem Nachteil durch Entbehrung auf zahllosen Wegen von größter Wichtigkeit, sondern zu seiner Entehrung, dem jetzt nicht gebührend gedient wird oder der nicht angebetet werden kann, nämlich im Geist und in der Wahrheit. Der Tag der Formen und Schatten ist vorbei; das wahre Licht leuchtet jetzt nur in Christus, das seine Heiligen als verantwortlichen Lichtträger verbreiten, wenn sie das Wort des Lebens weitersagen.
Aber es gibt hier noch mehr, obwohl alles mit Ihm verbunden ist. Es ist nicht Christus, der in der Welt gegenwärtig ist und über das Land oder gar die ganze Erde herrscht. Er ist hier der Verachtete und Verworfene der Menschen, aber verherrlicht in der Höhe. „An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin“ (V. 20) – eine Beziehung und Sphäre, die unvergleichlich herrlicher ist als der Thron seines Vaters David. Sie ist nicht nur himmlisch, sondern drückt auch die unendliche Nähe zum Vater aus; und das gibt dem Christentum seinen Charakter. Seine ganze Glückseligkeit dreht sich darum, wer und was und wo Christus ist. Der Unglaube in dem Gläubigen, der mit der Welt wandelt und von der Tradition betäubt ist, behandelt alles als leblose Tatsache, nicht als Wahrheit, die durch den Geist die Seele bildet und leitet; der Unglaube in den Menschen lernt schnell, sogar die Tatsache zu leugnen und zu verspotten. Umso dringlicher ist der Aufruf an die, die aus Gnade glauben, im himmlischen Licht zu wandeln; und das umso mehr, als wir nicht nur wissen, dass Er im Vater ist, sondern dass auch wir in Ihm sind und Er in uns, wie der Herr in den bereits zitierten Worten weiterhin sagte.
Man kann sich kaum einen auffälligeren Gegensatz in Stellung und Beziehung vorstellen als den zwischen Christus und den Seinen, wie er hier beschrieben wird, und dem Messias und seinem Volk, den die damals Anwesenden nicht aus der Tradition der Ältesten, sondern aus den alten Aussprüchen Gottes entnommen hatten. Aber Gott ist souverän, obwohl immer weise und niemals willkürlich. Alle seine Wege sind gut und herrlich, da sie sich alle um Christus, sein Ebenbild und ihren Mittelpunkt, drehen, der für den Himmel und die Erde der wichtigste Gegenstand vor Ihm ist. Auf der Erde war und ist die Regierung das Ziel; im Himmel regiert die Gnade, zunächst litt Er jedoch zu seiner Ehre, doch Er war moralisch und unendlich dem Bösen überlegen, das nach und nach durch das göttliche Gericht behandelt wird und verschwindet. Zwischen der Erniedrigung des Kreuzes und der Wiederkunft nimmt der Sohn den Platz ein, wie Er jetzt im Vater bekannt ist, wir in Ihm und Er in uns.
Kein alttestamentlicher Gläubiger wusste oder konnte so sprechen; noch dämmerte je eine Erwartung davon in einem einzigen Herzen in früher Zeit. Kein Gläubiger wird im Friedensreich jemals eine solche Beziehung von Christus oder von denen, die dann auf der Erde sind, kennen. Sie ist ganz und gar und notwendigerweise ein Teil dessen, was Gott jetzt zur Ehre des Herrn wirkt; und wie der Glaube Ihn in einer solchen Höhe göttlicher Intimität betrachtet, so anerkennt der Glaube die unvergleichliche Gnade, die uns in Christus versetzt hat. Sie lässt uns die große Verantwortung empfinden, dass Christus in uns ist. Was kann unsere Nähe mehr verdeutlichen als eine solche Einsmachung des neuen Lebens und der neuen Natur, und dies in der Kraft des Geistes? Wahrlich, „wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm“ (1Kor 6,17). Die Vereinigung ist gerade so viel wirklicher und dauerhafter als die natürliche Einheit, da der Geist mächtiger, näher und beständiger ist als das Fleisch. Wenn wir aber so mit Ihm und in Ihm durch den Geist eins sind, ist Er in uns durch denselben Geist.
Es gibt also sowohl das höchste Vorrecht als auch die größte Verpflichtung. Wir müssen uns hüten, das zu trennen, was der Herr hier zusammenfügt. Wenn wir das Leben im Sohn haben, müssen wir uns daran erinnern, dass Christus in uns lebt und dass wir Ihn und nicht uns selbst zeigen sollen. Zweifellos erfordert dies ein wahres, tiefes und beständiges Selbstgericht und den Glauben, der das Sterben Jesu immer im Leib umherträgt. Dabei hilft Gott uns durch Prüfungen aller Art, damit das Leben Jesu auch in unserem sterblichen Leib offenbar wird. So kommt die christliche Praxis nur aus dem christlichen Prinzip und Vorrecht hervor. Alles ist von Christus durch den Heiligen Geist in uns. Wie tröstlich, dass unsere Pflicht als Christen unsere Glückseligkeit voraussetzt! Wie demütigend, dass die Gabe des Geistes unser Versagen unentschuldbar macht!
Aber es gibt inzwischen, und besonders damit verbunden, dass Christus in uns ist, noch nicht die Regierung der Erde durch Christus, der gerecht und in Macht regiert, sondern die moralische Regierung in uns im Gehorsam, die eine zweifache Form annimmt. „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren“ (V. 21). Dem oberflächlichen menschlichen Verstand mag es seltsam erscheinen, dass unser Herr davon spricht, dass das Halten seiner Gebote ein Beweis dafür ist, Ihn zu lieben; aber es ist zutiefst wahr. Die Bösen, die Ungehorsamen, die Leichtsinnigen verstehen es nicht, aber die Weisen, auch die, deren Weisheit nicht endet, obwohl sie mit der Furcht des Herrn beginnt. Das einfältige Auge ist voller Licht. Das Verlangen, seinen Willen zu tun, findet und weiß, was es ist. So hat das liebende Herz seine Gebote und hält sie; und indem es Ihn liebt, zieht es die Liebe des Vaters, der den Sohn ehrt und sich nicht auf seine Kosten erhöhen will. Der Gehorsam, der aus der Liebe entspringt, ist also der Zustand des Jüngers, der die Liebe Jesu und die Offenbarung seiner selbst an uns hier auf der Erde ermöglicht.