Behandelter Abschnitt Joh 3,14-16
Wir haben gesehen, dass die Himmelfahrt des Herrn auf seinem Herabkommen vom Himmel beruht, und dass beides aus seiner Person als Sohn des Menschen, der im Himmel ist, hervorgeht und zu Ihm gehört. Aber der Herr schließt daran an, indem Er das mächtige Werk darlegt, das Er für die Sünder zu tun gekommen ist, damit sie das ewige Leben haben – zwar aus Gnade, aber auf der Grundlage der göttlichen Gerechtigkeit.
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, [nicht verloren gehe, sondern] ewiges Leben habe. Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe (3,14–16).
Die neue Geburt war bereit erforderlich, damit der Mensch das Reich Gottes sehen oder in es hineingehen kann. Aber so ist auch das Kreuz eine Notwendigkeit, wenn der schuldige Mensch Vergebung von Gott empfangen und zugleich für Ihn leben soll. Sie sind beide gleichermaßen unabdingbar (vgl. 1Joh 4,9.10). Und allein Christus konnte als Sühnung für unsere Sünden gesandt werden. Der Herr veranschaulicht die letztgenannte Wahrheit durch die bekannte Begebenheit in der Wüste, wo Gott Mose in seiner Not um die schuldigen Israeliten, die von den feurigen Schlangen gebissen wurden und überall starben, anwies, eine kupferne Schlange auf eine Stange zu setzen, damit jeder, der hinschaute, am Leben blieb.
Das war das Bild von Ihm selbst, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht wurde, einsgemacht im göttlichen Umgang mit den Folgen unseres Bösen im Gericht am Kreuz. Unmöglich, dass die Sünde anders angemessen gesühnt werden konnte. Es muss dadurch geschehen, dass Gott sie in jemandem richtet, der fähig ist, das zu ertragen, was Gott eigenhändig an Ihm vollzog, und es muss im Menschen, im Sohn des Menschen, geschehen, um für den Menschen wirksam zu sein. Wäre es jedoch ein anderer als Jesus gewesen, wäre es für Gott anstößig und für den Menschen nicht wirksam gewesen, denn Er allein war der Heilige, und bei keiner Opfergabe wurde eifriger darauf geachtet, dass sie ohne Makel war. „Es ist hochheilig“, sagt das Gesetz vom Sündopfer. Adam fiel, und alle anderen Menschen wurden in Ungerechtigkeit geformt und in Sünde gezeugt.
In Ihm allein, von der Frau geboren, war keine Sünde, nicht nur hat Er keine Sünden begangen, sondern in Ihm ist keine Sünde. Darum war für Ihn ein Leib bereitet wie für niemand anderes, als der Heilige Geist auf die Jungfrau Maria kam und die Kraft des Höchsten sie überschattete. Darum wurde auch das Heilige, das geboren wurde, Sohn Gottes genannt; nicht nur Sohn Gottes, bevor Er vom Vater gesandt wurde, sondern, als das Wort in der Gnade so Fleisch wurde, vollkommener Mensch, aber nicht weniger wahrhaftig Gott. Denn es gab keinen anderen Weg, wenn der verzweifelte Fall des Menschen vor Gott behoben werden sollte. Er konnte nur durch Versöhnung gerecht werden, und der Sohn des Menschen war das einzig passende Opfer. Denn das Blut von Stieren und Böcken ist nicht in der Lage, Sünden wegzunehmen, wie sehr solche Opfer auch im Voraus über die Not des Menschen und den Weg Gottes belehrend sein mögen. „Darum, als er in die Welt kommt, spricht er: ,Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet; an Brandopfern und Opfern für die Sünde hast du kein Wohlgefallen gefunden. Da sprach ich: Siehe, ich komme (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben), um deinen Willen, o Gott, zu tun‘“ (Heb 10,5-7, zitiert aus Ps 40,7.8).
So hat sich der Mensch Christus Jesus, der Sohn Gottes, ja, Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit, herabgelassen, einmal für die Sünden zu leiden, der Gerechte für die Ungerechten, damit Er uns zu Gott führe. Dadurch war es möglich, denn Gott konnte die Sünde nicht leichtnehmen, so gewiss Er auch den Sündern verzeihen kann und es tut; auch Er konnte nicht in Übereinstimmung mit sich selbst oder seinem Wort oder dem wirklichen Segen dem Geschöpf verzeihen, sondern nur durch das am Kreuz vergossene Blut. Und deshalb sagte der Herr hier zu Nikodemus, der das Gesetz kannte, wenn er auch die Propheten wenig kannte: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden.“ So hat Er vom Fluch des Gesetzes erlöst, indem Er für uns zum Fluch wurde. Es ist nicht ein lebendiger Messias, der über sein Volk auf der Erde regiert, sondern Er, der von ihnen verworfen wurde, Sünder und Verlorene, als die sie sich jetzt erwiesen; es ist Jesus Christus und der Gekreuzigte, in jenem Charakter oder Titel, der Ihn mit dem sündigen Menschen verbindet: oder, wie Er hier selbst sagt, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ Durch Ihn allein, der so dargestellt wird, kommt man zu Gott, da alle seine Sünden auf seinem Kreuz gerichtet und getragen wurden. Daher hat man durch den Glauben an Ihn das ewige Leben. Der Gläubige blickt von sich weg auf den Herrn Jesus.
Aber das allein könnte einen Mensch, obwohl er im Glauben auf Christus schaut, ohne Freiheit und Frieden lassen, so wahrhaftig gesegnet er bis jetzt auch sein mag. Daher offenbart der Herr eine andere Wahrheit. „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Es ist nicht mehr die elende und absolute Not des schuldigen Menschen, sei er Jude oder Heide. Jetzt offenbart sich die souveräne Liebe Gottes, die sich nicht auf irgendwelche Grenzen beschränkt, wie sie das Gesetz oder der Mensch unter dem Gesetz in Betracht gezogen hatte, sondern frei und vollständig in die Welt hinausgeht, in der Er unbekannt und verhasst war, und das nicht in der Schöpfung oder in der Barmherzigkeit der Vorsehung, sondern so, dass Er seinen Sohn, seinen Einziggeborenen, gab, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“
Es ist Gnade bis zum Äußersten. Es geht hier nicht um eine Notwendigkeit. Es gab keine moralische Notwendigkeit, dass Gott seinen Sohn geben würde; es war seine Liebe, keine Verpflichtung seinerseits, noch ein Anspruch des Menschen. Welches Bedürfnis auch immer der Mensch in diesem Zustand hatte, es wurde durch das Werk des Sohnes des Menschen auf dem Kreuz reichlich erfüllt, und darin wurde die Sühnung oder Versöhnung für die Sünden derer, die glauben, vollbracht. Aber es gibt unvergleichlich mehr in dem eingeborenen Sohn, der von dem Gott der Liebe nicht für das auserwählte Volk, sondern für die Welt gegeben wurde. So offenbart sich die göttliche Liebe ebenso vollkommen wie seine gerechte und heilige Forderung beim Richten der Sünde; und dies in Christus, dem eingeborenen Sohn Gottes, dem leidenden, aber nun verherrlichten Sohn des Menschen, beides auch in dem ewigen Leben, das der Gläubige in Ihm hat, entfaltet und genossen.
Die große Wahrheit ist dargelegt: Der sündige Mensch brauchte nicht nur ein angemessenes Sühnopfer sowie eine neue Geburt, sondern Gott liebte die schuldige, verlorene Welt der Heiden nicht weniger als die der Juden, und Er liebte so sehr, „dass Er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ In dem Sohn Gottes treffen sich beide Linien der Wahrheit, denn Er ist Fleisch geworden und gekreuzigt. Daher leuchtet das wahre Licht, das ewige Leben wird geschenkt, die Liebe Gottes wird erkannt, die Erlösung ist vollbracht, das Heil ist gekommen. In Ihm und durch Ihn ist jetzt mehr, als wenn das Reich in Macht aufgerichtet würde, auf das jene warteten, deren Erwartungen durch das Alte Testament gebildet und begrenzt waren. „Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst. Wahrheit wird sprossen aus der Erde, und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“ (Ps 85,11.12), so weiß man doch sicher: „die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“, und dass die Gerechtigkeit in Ihm, der auf dem Thron erhöht und in Gott selbst oben verherrlicht ist, aufgerichtet und dargestellt wird. In den hellen Tagen des Himmels auf der Erde wird Er sein Volk und die Welt gerecht richten und die Bösen zuvor ausrotten; denn die Lebendigen müssen bei seinem Kommen von Ihm gerichtet werden, wie auch die Toten am Ende des Reiches, bevor Er es Gott zurückgibt (1Kor 15).