Behandelter Abschnitt Joh 1,30-31
Beachte jedoch, dass der Täufer nicht von den „Sünden“ der Welt spricht. Welch ein verhängnisvoller Irrtum sucht die Menschen heim, wenn sie es wagen, die Wahrheit Gottes nach menschlicher Art zu handhaben! Nicht nur in Predigten oder Büchern findet man diesen häufigen und schweren Fehler. Die feierlichen Liturgien des Katholizismus und des Protestantismus sind hier gleichermaßen falsch. Sie verändern und verfälschen unbewusst das Wort Gottes, wenn sie sich direkt auf diese Schriftstelle beziehen. Wenn die Apostel Paulus und Petrus von den Gläubigen sprechen, zeigen sie, dass der Herr selbst ihre Sünden am Kreuz getragen hat. Ohne dies könnte es in der Tat weder einen gesicherten Frieden für das Gewissen noch eine gerechte Grundlage für die Anbetung Gottes geben, entsprechend der Wirksamkeit des Werkes Christi. Der Christ wird ermahnt, freimütig in das Allerheiligste einzutreten durch das Blut Jesu, das zugleich seine Sünden gereinigt und sich ihm genähert hat; aber das gilt nur für den Gläubigen. Ganz im Gegensatz dazu steht der Zustand des Ungläubigen, jedes Menschen von Natur aus. Er ist weit entfernt, in Schuld, in Finsternis und im Tod. Die Sprache der Liturgien verwirrt dies alles, und zwar nach der Praxis ihres Gottesdienstes; denn die Welt wird als die Kirche behandelt und die Kirche als die Welt. Wäre Christus das Lamm, das die Sünden der Welt wegnimmt, so stünden alle Menschen vor Gott als solche, denen vergeben ist, und könnten daher wohl freimütig herzutreten und anbeten; aber so ist es nicht. Das Blut ist nun für die Sünde der Welt vergossen, so dass der Evangelist hinausgehen und das Evangelium predigen und allen, die glauben, die Vergebung von Gott zusichern kann. Doch alle, die sich weigern, müssen in ihren Sünden sterben und werden nur umso schrecklicher gerichtet, weil sie die Botschaft der Gnade abgelehnt haben.
Aber Gott vergisst hier nie die persönliche Würde des Herrn Jesus. Deshalb fügt Johannes der Täufer hinzu:
Dieser ist es, von dem ich sagte: Nach mir kommt ein Mann, der den Vorrang vor mir hat, denn er war vor mir.8 Und ich kannte ihn nicht; aber damit er Israel offenbart werde, deswegen bin ich gekommen, mit [ejn] Wasser taufend (1,30.31).
Es gibt hier keinen Hinweis auf sein Gericht als Messias, wie in anderen Evangelien, die andererseits über ein solches Zeugnis seiner Herrlichkeit schweigen. Zweifellos rief auch Johannes die Menschen in Israel zur Umkehr im Hinblick auf das nahende Königreich auf. Doch hier geht es einzig und allein um die Offenbarung Jesu an Israel. Das ist in der Tat ein fesselndes Thema dieses Evangeliums. Die Tatsache, dass der Täufers Jesus zuvor nicht kannte, machte sein Zeugnis umso ernster und nachdrücklicher von Gott aus; und was auch immer die innere Überzeugung sein mochte, die er hatte, als der Herr zur Taufe kam, hinderte das weder das äußere Zeichen noch das Zeugnis, das er für seine Person und sein Werk gab, wie er es bis dahin getan hatte. Daher lesen wir:
8 Es ist interessant und lehrreich zu bemerken, dass Johannes den Pharisäern gegenüber schweigt (V. 27), was die frühere Ewigkeit Christi als Grund für seinen Vorrang vor sich selbst betrifft, obwohl er nach Ihm geboren wurde (vgl. V. 15 und 30).↩︎