Behandelter Abschnitt Lk 13,22-30
Diejenigen, die den wichtigsten Platz und die Macht in Israel hatten, hatte der Herr unter dem Vorwand der Eifersucht auf das Gesetz der völligen Heuchelei und des Hasses gegen die Gnade selbst gegenüber dem Nachkommen Abrahams überführt. Unter den Gleichnissen vom Senfkorn und vom Sauerteig hatte Er gezeigt, was die äußere Form des Königreichs während seiner Verwerfung sein würde. Aber das hindert Ihn nicht daran, in der Gegenwart mit seinem Werk der Liebe fortzufahren: „Und lehrend durchzog er nacheinander Städte und Dörfer, während er nach Jerusalem reiste“ (V. 22).
Er wusste sehr wohl, was Ihm dort bevorstand, wie es am Ende dieses Kapitels auch ausdrücklich gesagt wird. Man sagt nun zu Ihm: „Herr, sind es wenige, die errettet werden?“ (V. 23). Sind die, die gerettet werden sollen – der Überrest und die zur Errettung Bestimmten –, wenige? Der Herr befriedigt solche Neugier nicht, sondern spricht sofort zum Gewissen dessen, der sich erkundigt hat: Hüte dich, dass du recht stehst vor Gott. „Ringt danach, durch die enge Tür einzugehen; denn viele, sage ich euch, werden einzugehen suchen und es nicht vermögen“ (V. 24; vgl. Mt 7,13.14).
Es geht nicht so sehr, wie manchmal gedacht wird, um die Frage zwischen „suchen“ und „vermögen“. Das würde die Betonung auf den Menschen und den Unterschied seines Zustandes legen; obwohl es wahr ist, dass Bekehrung eine mächtige Veränderung bedeutet, und dass dort, wo der Geist Gottes in der Gnade wirkt, ein wirklicher Ernst der Absicht gegeben sein muss. Aber der wichtige Punkt ist, dass die Menschen danach ringen müssen, „durch die enge Tür einzugehen.“ Die enge Pforte bedeutet Bekehrung zu Gott durch Glauben und Buße. Es ist ein Mensch, der sich nicht damit begnügt, ein Israelit zu sein, sondern das Bedürfnis nach Wiedergeburt verspürt und so auf Gott schaut, der den Herrn Jesus als Weg dazu gegeben hat. Das ist das Ringen, „durch die enge Tür einzugehen“. „Denn viele“, sagt Er, „werden einzugehen suchen und es nicht vermögen“. Das bedeutet nicht, dass sie danach trachten würden, durch die enge Tür einzugehen; denn wenn sie das täten, wäre es in Ordnung. Aber sie trachten danach, den Segen des Reiches Gottes zu erlangen, ohne aus Gott geboren zu sein; sie möchten alle Vorrechte haben, die Israel verheißen sind, ohne aus Wasser und Geist geboren zu sein (Joh 3). Dies ist unmöglich: Viele „werden einzugehen suchen und es nicht vermögen“. Denn wenn sie eintreten, dann nur durch die enge Tür der neuen Geburt. „Von da an, wenn der Hausherr aufsteht und die Tür verschließt und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, und er antworten und zu euch sagen wird: Ich kenne euch nicht, woher ihr seid“ (V. 24; vgl. Mt 25,11.12). Der Herr nimmt durch seine Verwerfung diese Stellung außerhalb von ihnen ein; sie haben Ihn verworfen, und Er hat keine andere Möglichkeit, als sie vorläufig zu verwerfen, es sei denn, Gott würde sich an der Entehrung seines eigenen Sohnes beteiligen. Aber was auch immer seine Gnade sein mag (und Er wird sehr gnädig sein), Gott zeigt sein Wohlgefallen an Christus und seinen Zorn über diejenigen, die, obwohl sie sich auf ihre eigenen Verdienste beriefen, ihre Ungerechtigkeit und ihren Unglauben und ihre Auflehnung gegen Gott bewiesen, als Er sich in Liebe und Güte in dem Herrn Jesus zeigte. „Von da an, wenn der Hausherr aufsteht und die Tür verschließt“ – es wäre für die Juden völlig vergeblich, sich darauf zu berufen, dass Jesus in ihre Mitte gekommen sei, dass der Messias in ihren Straßen gewesen sei, dass sie vor Ihm gegessen und getrunken hätten“ und Er auf ihren Straßen gelehrt habe (V. 26; vgl. Mt 7,22.23). Das war der größte Beweis für ihre Schuld. Er war dagewesen, und sie wollten Ihn nicht haben. Er hatte in ihren Straßen gelehrt, aber sie hatten ihn noch mehr als die Heiden verachtet und abgelehnt. Sie hatten auf seiner Kreuzigung bestanden, als der hartherzigste der heidnischen Statthalter seinen Freispruch wünschte.
So ist es immer. Religiöse Vorrechte, wenn sie missbraucht und aufgegeben werden, lassen die, die sie genießen, schlimmer zurück als zuvor, schlimmer als die, die sie nie genossen haben. Deshalb wird der Messias zu ihnen sagen: „Ich sage euch, ich kenne euch nicht, woher ihr seid; weicht von mir, alle ihr Übeltäter! (V. 27). Gott ist nicht mit bloßen Formen zufrieden: Es muss das geben, was seinem Wesen entspricht. Das bewahrheitet sich immer, wenn das Licht Gottes aufleuchtet. Das Evangelium bedeutet nicht, dass Gott nun das gutheißt, was im Widerspruch zu Ihm selbst steht. Auch bei der Vergebung der Sünden durch den Glauben begegnet Er dem, was Ihm selbst widerspricht, bringt aber das, was Ihm selbst entspricht, durch seine eigene Gnade hervor. Er hält immer an seinem eigenen Grundsatz fest, dass die, die „mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit suchen, ewiges Leben“ haben, und niemand anderes (Röm 2,7).
Die, die Ihm „mit Ausharren in gutem Werk“ gefallen, werden bei Ihm sein, und niemand außer ihnen. Wie dieses geduldige Ausharren in guten Werken zustandekommt, ist eine andere Sache, und auch, wie die Menschen erweckt werden, die danach zu suchen. Sicherlich kommt es nicht von ihnen selbst, sondern von Gott. Bekehrung besteht im Wesentlichen aus Misstrauen gegen sich selbst und der Hinwendung zu Gott. Das hatten die Juden nicht, und trotz all ihres hohen Anspruchs auf die Religion waren sie nur Arbeiter der Ungerechtigkeit (vgl. Mt 8,11.12). „Dort“ – nicht bei den Heiden – „wird das Weinen und das Zähneknirschen sein“, wenn ihr Abraham und Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sehen werdet, euch selbst aber ausgestoßen. Aber das ist nicht alles – das Bild wäre nicht vollständig, wenn sie nicht sehen, dass auch andere hereingebracht werden. Es sind nicht nur die Juden, die von ihren Vätern ausgeschlossen werden, wenn die Zeit der Herrlichkeit kommt; sondern „sie werden kommen von Osten und Westen und von Norden und Süden und im Reich Gottes zu Tisch liegen (V. 29) – das heißt, die weiteste Sammlung der Heiden – „im Reich Gottes zu Tisch liegen.“ So war es offensichtlich: „Und siehe, es sind Letzte, die Erste sein werden, und es sind Erste, die Letzte sein werden“ (V. 30). Solche waren die Heiden; sie waren aus Gnaden berufen, die Ersten zu sein. Und „es gibt Erste, die Letzte sein werden“. Das waren die Juden. Sie hatten den frühesten und wichtigsten Platz in der Berufung Gottes inne; aber sie verzichteten aus Selbstgerechtigkeit darauf und verwarfen entsprechend ihren Messias. Die Heiden würden nun hören, wenn die natürlichen Kinder des Reiches, wie wir sagen können, hinausgeworfen werden würden. Die Gnade würde siegen, wo das Fleisch und das Gesetz völlig versagt hatten, und sie würden sich selbst schaden und Gott entehren.