Behandelter Abschnitt Lk 9,18-27
Der Herr betet wieder allein, wie wir Ihn in früheren Teilen dieses Evangeliums und auch in anderen Evangelien gefunden haben. So war es bei seiner Taufe, als der Heilige Geist auf Ihn herabkam, und danach in seinem Dienst, als wir hören, dass Er sich an einen öden Ort zurückzog und dort betete. Das war, als Scharen kamen, um zu hören und geheilt zu werden, als die Kraft des Herrn da war, um erneut zu heilen. So heißt es auch, bevor Er die zwölf Apostel erwählte: „er verharrte die Nacht im Gebet zu Gott“ (Lk 6,12). Das war, nachdem die Menschen sich versammelten, um Ihn zu töten, und vor der Ernennung der Apostel und der Bergpredigt.
Jetzt steht Er im Begriff, seinen Tod anzukündigen. Das Empfinden seiner völligen Verwerfung wegen des Unglaubens des Volkes erfüllte Ihn; und der Vater war im Begriff, das direkteste persönliche Zeugnis seiner Herrlichkeit zu geben und auch zu zeigen, was für Ihn im Königreich reserviert war. Er würde Ihn jetzt als Sohn Gottes anerkennen, Er würde Ihn nach und nach als Sohn des Menschen zeigen. „Und es geschah, als er für sich allein betete, dass die Jünger bei ihm waren; und er fragte sie und sprach: Wer sagen die Volksmengen, dass ich sei? Sie aber antworteten und sprachen: Johannes der Täufer; andere aber: Elia; andere aber, dass einer der alten Propheten auferstanden sei“ (V. 18.19). Dies entlockte Petrus als Antwort auf die direkte Frage des Herrn – „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ (V. 20) – das Bekenntnis, dass Er der Christus Gottes sei.
Es ist bemerkenswert, wie Lukas hier auslässt, was Matthäus erwähnt. Tatsächlich hat auch er Ihn als den Sohn Gottes bekannt; aber das ist Matthäus eigen. Der Grund, warum es bei Matthäus steht, scheint mir, dass dies der Titel der persönlichen Herrlichkeit Christi ist, die die Freude des Christen ist. Die Versammlung Gottes erfreut sich an Christus als dem Sohn des lebendigen Gottes; Israel wird Christus als den Sohn Davids bejubeln. Die Welt, die ganze Menschheit, wird von Christus als dem Sohn des Menschen gesegnet werden; aber der Christ und die Versammlung haben ihre Freude an Ihm als dem Sohn des lebendigen Gottes. Das ist eindeutig der erhabenste und wahrhaft göttliche seiner Titel. Dieser Titel beschreibt das Innere und Persönliche.
Damit in Verbindung finden wir bei Matthäus, und nur in seinem Evangelium, die Offenbarung des Herrn Jesus, dass Er auf diesen Felsen seine Versammlung bauen würde – das heißt, auf dieses Bekenntnis zu seinem Namen. So wie Matthäus der Einzige ist, der uns seinen Namen und das Bekenntnis dazu durch Petrus nennt, so wird der Herr nur dort als der dargestellt, der im Begriff steht, die Versammlung zu bauen. All dies findet sich nicht bei Lukas. Hier sagt Petrus einfach „der Christus Gottes“.
Der Herr „aber gebot ihnen ernstlich und befahl ihnen, dies niemand zu sagen“ (V. 21). Dies ist ein bemerkenswertes Wort. Warum sollte man den Menschen vorenthalten, dass Er der Christus Gottes war? Warum diese Zurückhaltung in Bezug darauf, dass Er der Messias ist? Es war sinnlos, das vorzustellen. Einige sagten das eine, andere etwas anderes. Kein Mensch glaubte an Ihn, außer denen, die aus Gott geboren waren. Der Mensch verwarf Ihn als Menschen. Die Juden verwarfen Ihn. Die Jünger bekannten sich zu Ihm, allen voran Petrus; aber es war sinnlos, Ihn weiterhin als den Christus oder Messias Israels zu verkündigen. Er war der Gesalbte Gottes, aber in Wahrheit musste Er leiden, und deshalb führt der Herr einen anderen Titel in Verbindung mit seinem Kreuz ein: „Der Sohn des Menschen muss vieles leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet und am dritten Tag auferweckt werden“ (V. 22).
Der Herr gibt sich gerade diesen Titel im Allgemeinen selbst. So heißt es bei Matthäus: „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ (16,15). Petrus bekennt Ihn dann wirklich als den Christus der Juden, doch auch als den „Sohn des lebendigen Gottes.“ Der Herr deutet an, dass sie den ersten Titus fallen lassen müssen. Es war sinnlos, darüber zu reden, es war zu spät. Hätte das Volk Ihn angenommen, hätte Er als Messias regiert. Aber moralisch gesehen, konnte das nicht sein. Einerseits war der Mensch ungläubig, böse und verloren, andererseits war es nach dem Ratschluss Gottes, dass Jesus am Kreuz sterben und in einer neuen Schöpfung auferstehen sollte, in der Er die Menschen zu seinen Mitmenschen haben würde. Wäre Jesus nicht gekreuzigt worden, hätte das bewiesen, dass der Mensch nicht ganz so böse ist, wie Gott gesagt hatte. Aber da der Mensch nach dem Wort Gottes wirklich zutiefst böse ist, war es eine moralische Gewissheit, dass der Mensch den Herrn Jesus kreuzigen würde, und so hat es Gott durch seine Propheten vorausgesagt.
Der Herr erinnert die Jünger nun daran, dass die frühere Verkündigung als der Christus enden muss. Er würde als Sohn des Menschen sterben. Er hatte seinen Tod immer vor Augen. Es war der feststehende Ratschluss Gottes, des Vaters, und die feststehende Absicht des Sohnes. Er kam, um zu sterben. Er kam nicht nur in diesem Bewusstsein, sondern mit vollem Herzen der Erfüllung des Willens Gottes hingegeben, koste es, was es wolle, wie es auch seinen eigenen Tod und seine Verwerfung kostete. Durch diesen seinem Tod vollbrachte Er die Sühnung für unsere Sünden.
Hier aber wird sein Tod einfach als Ablehnung seitens der Menschen gesehen: „Der Sohn des Menschen muss vieles leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet und am dritten Tag auferweckt werden“ (V. 22). Gottes Anteil an der Sache, entweder als Gericht über unsere Schlechtigkeit oder als Einleitung der Erlösung, wird nicht erwähnt. Sicherlich war es damals und dort, wie es immer bestimmt war. Doch manchmal wird in der Schrift die eine Seite der Wahrheit vorgestellt, manchmal die andere. Er wird von den Obersten der Juden verworfen. Es war eine traurige und demütigende Tatsache, dass sie ihren eigenen Messias verwarfen, der, wie Er selbst hinzufügt, „am dritten Tag auferweckt werden“ würde.
Dieses Leiden des Sohnes des Menschen macht sofort den Weg für den Jünger klar: „Er sprach aber zu allen: Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf und folge mir nach“ (V. 23). Es ging keineswegs um den Genuss irdischer Dinge. Das wäre alles passend und zeitlich angebracht im Reich, wenn Er als Christus und Sohn des Menschen regiert, wie es die Propheten als Hoffnung vorgestellt haben. Dort finden wir jede Art von Beweis für Gottes Wohltätigkeit, und das Herz der Menschen werden mit Freude erfüllt werden. Aber das ist nicht der Charakter des Christentums. Das Kreuz zeigt uns unseren wahren Weg. Wenn Christus gelitten hat, kann der Christ nicht erwarten, über seinem Meister zu stehen. Christus ging ans Kreuz; wenn also jemand Ihm nachfolgen will, „so verleugne er sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf und folge mir nach. Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erretten. Denn was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst aber verliert oder einbüßt?“ (V. 23–25).
Die Wahrheit kommt zum Vorschein. Alles hängt nun vom ewigen Leben ab. Es geht nicht mehr um ein langes Leben auf der Erde. Das war und ist für den Juden schön und gut. Aber das Kreuz Christi ist das Begräbnis aller jüdischen Gedanken. Wenn also ein Mensch darauf bedacht ist, sein Leben jetzt zu erretten, wird er es verlieren. Er mag es in einem niederen Sinn erretten, aber er wird es in einem tieferen Sinn verlieren. Er mag es in dieser Welt erretten, aber er wird es für die Ewigkeit verlieren. Wenn ich bereit bin, es im niederen Sinne zu verlieren, werde ich es im besten – im ewigen – Sinn erretten. Der Tod Christi bringt alles auf den Punkt: Alles wird dann zur folgenschweren Frage des ewigen Lebens und der Erlösung. Daran haben die Juden nicht gedacht. Sie sehnten sich nach einem großen König, der sie auf den Gipfel der irdischen Größe erheben würde. Das Christentum zeigt uns den, um den sich alles dreht, der selbst gekreuzigt wurde; und wer dem Gekreuzigten nachfolgt, kann dem Kreuz nicht entkommen. Jeder Christ muss sich selbst verleugnen, und das nicht nur einmal, sondern er muss täglich sein Kreuz aufnehmen und Ihm nachfolgen. „Denn wer irgend sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit und der des Vaters und der heiligen Engel“ (V. 26). Darin liegt der Ernst der Sache. Wenn wir uns des Verworfenen und seiner Worte schämen, wird Er sich in der Herrlichkeit unserer schämen. Wir haben Christus nicht persönlich, aber wir haben Ihn durch den Glauben an seinen Namen und auch als Prüfstein der Wahrheit unseres Herzens, und wir haben seine Worte.
Ein Mensch könnte sich auf die Worte Moses und der Propheten berufen; aber diese würden jetzt nichts nützen. Ein Mensch, der sich nur an die Worte des Gesetzes und der Propheten klammern würde, unter Ausschluss des Neuen Testaments, könnte nicht gerettet werden. Wenn Gott Christus völlig offenbart, muss ich vorwärtsgehen und mich dem unterwerfen, was Gott gibt. Die Juden halten an der Wahrheit der Einheit Gottes fest, um die Wahrheit von dem Vater, dem Sohn und dem Heiligem Geist zu leugnen. Wahrer Glaube schätzt nun alles, was Gott gibt. Der Glaube ist nicht echt, wenn jemand nicht das wertschätzt, was Gott für die gegenwärtige Zeit gibt. Daher ist der Test die Wahrheit, die von Gott für den aktuellen Moment frisch gegeben wird, und nicht nur das, was von früher bekannt war. Unglaube ist immer falsch; er nutzt das, was traditionell ist, um zu leugnen, was neu offenbart wurde. „Denn wer irgend sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit“ (V. 26). Hier finden wir die eigentliche Herrlichkeit des Sohnes des Menschen. Es ist ein verworfener Mensch, der in die Höhe erhoben worden ist. Doch Er wird in seiner eigenen Herrlichkeit kommen, und in „der des Vaters und der heiligen Engel.“ Dass Er ein Mensch war, berührte überhaupt nicht seine Rechte als Gott. Die Engel waren Ihm als Mensch alle unterworfen, Er hatte einen Titel über ihnen, weil Er Gott war; und Er hatte einen Titel gewonnen, der ihnen überlegen war, weil Er am Kreuz gestorben ist. So hat Gott dem Herr Jesus durch einen doppelten Titel nicht nur alle Menschen, sondern auch die Engel als Mensch unterstellt. „Ich sage euch aber in Wahrheit: Es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes gesehen haben“ (V. 27). Dies war ein helles Zeugnis, das dazu bestimmt war, die zu stärken, die dazu bestimmt waren, im Zeugnis Gottes und in der Versammlung voranzugehen und Führung auszuüben. Die Rede ist von Petrus, Jakobus und Johannes, denen ein Anblick des Reiches Gottes gewährt wurde, bevor es in Macht kommt.