Behandelter Abschnitt Lk 8,40-56
Zwei weitere Begebenheiten (die allerdings miteinander verwoben sind) schließen das Kapitel ab. Der Herr wird von Jairus, dem Vorsteher der Synagoge, um Hilfe angerufen. Er fiel „Jesus zu Füßen und bat ihn, in sein Haus zu kommen“ (V. 41). Das war die Art und Weise, in der ein Jude erwartete, geheilt zu werden: Der Messias sollte in sein Haus kommen, „denn er hatte eine einzige Tochter von etwa zwölf Jahren, und diese lag im Sterben“ (V. 42). So war der Zustand der Tochter Zion jetzt. Israel hatte bewiesen, dass kein Leben in ihnen war; aber Christus wird angerufen, und Er geht, um Israel zu heilen.
Während Er auf dem Weg ist, kreuzt eine Frau seinen Weg, die ein höchst dringendes Bedürfnis hat: „Und eine Frau, die seit zwölf Jahren Blutfluss hatte und, obgleich sie den ganzen Lebensunterhalt an die Ärzte verwandt hatte, von niemand geheilt werden konnte“ (V. 43). Es war also menschlich gesehen ein hoffnungsloser Fall. Dennoch trat sie in dem verzweifelten Gefühl, dass jetzt ihre Chance war, von hinten an Ihn heran und „rührte die Quaste seines Gewandes an; und sofort kam ihr Blutfluss zum Stillstand“ (V. 44). Der Herr wusste natürlich, was Er tat. Wenn der Glaube die Gnade und Macht Jesu in irgendeinem Maß empfindet und sich noch so schwach, zögernd und weinend an Ihn wendet, weiß Jesus das sehr wohl und sehnt sich nach dieser Seele. Sein Herz war ihr zugewandt, und Er wollte, dass sie es wusste. Sie berührt Ihn von hinten. Jesus wollte sie in seine Gegenwart bringen, von Angesicht zu Angesicht, und wollte, dass sie wusste, dass seine herzliche Zustimmung mit dem Segen verbunden war, den sie sich stehlen wollte, aber den wirklich durch die Berührung des Glaubens erworben hatte. Deshalb sagt Er: „Wer ist es, der mich angerührt hat?“ (V. 45).
Es war vergeblich, dass Petrus oder die anderen versuchten, es wegzuerklären, als alle es leugneten. Es war vergeblich zu sagen, dass die Menge drängte, und deshalb zu fragen, wer Ihn berührt habe. Vielmehr sagt der Herr, dass Ihn jemand berührt hatte. Es war nicht der Druck der Menge und auch kein Versehen. Da war eindeutig jemand, der Ihn berührt hatte. Da war die echte Erwartung des Glaubens, wie schwach dieser auch war. „Und Jesus sprach: Wer ist es, der mich angerührt hat? Als aber alle leugneten, sprach Petrus und die, die bei ihm waren: Meister, die Volksmengen umdrängen und drücken dich, und du sagst: Wer ist es, der mich angerührt hat? Jesus aber sprach: Es hat mich jemand angerührt; denn ich habe erkannt, dass Kraft von mir ausgegangen ist“ (V. 45.46). Die Menge, die sich drängte, konnte keine Kraft erfahren: So heilte Jesus nicht. Kein solcher äußerer Druck ist von Nutzen, um sein Segen zu empfangen. Aber der Mensch, der sich in der Nähe Jesu befindet und Ihn berührt, wie zaghaft es auch sein mag, wird immer Segen empfangen. „Als die Frau aber sah, dass sie nicht verborgen blieb, kam sie zitternd und fiel vor ihm nieder und berichtete vor dem ganzen Volk, um welcher Ursache willen sie ihn angerührt hatte und wie sie sofort geheilt worden war“ (V. 47). Dadurch empfing Gott die Ehre, die Ihm zustand, und ein leuchtendes Zeugnis wurde für Ihn abgelegt; aber ihr Herz musste auch gründlich wiederhergestellt werden. Sie musste lernen, was für eine Liebe Gott hat, und wie vollständig Jesus ihr in dem gewährten Segen Gemeinschaft mit sich selbst schenken würde. So wird der Geber erkannt und die Gabe unendlich wertvoll. Es war nichts Gestohlenes, sondern etwas frei Gegebenes. Deshalb sagt Er: „Tochter, dein Glaube hat dich geheilt; geh hin in Frieden“ (V. 48). Er benutzt den Begriff der Zuneigung ausdrücklich, um alle ihr Angst und Unruhe zu vertreiben. Was für eine Freude bedeutet es für sie danach, zu wissen, dass sie nicht nur die Barmherzigkeit, die ihr Körper brauchte, von Gott bekommen hatte, sondern dass der Retter, Gott, der Herr, der ihre Krankheiten heilte, der ewig gepriesene Arzt, zu ihr gesprochen hatte, ihr seine eigene Zusage gegeben hatte, sie getröstet hatte, als ihr Herz völlig verängstigt war, sich ihr gegenüber sogar solch liebevoller Ausdrücke bediente, ihren Glauben, so schwach er auch sein mochte, anerkannte und sie schließlich mit einer Botschaft des Friedens entließ. „Während er noch redet, kommt einer von dem Synagogenvorsteher und sagt zu ihm: Deine Tochter ist gestorben, bemühe den Lehrer nicht. Als aber Jesus es hörte, antwortete er ihm: Fürchte dich nicht; glaube nur, und sie wird gerettet werden“ (V. 49.50). Das war der wirkliche Zustand Israels: nicht nur krank, sondern tot. Aber Jesus hat das Geheimnis der Auferstehung in sich. Er ist jeder Not gewachsen und kennt sowohl die Not des Mädchens als auch seine eigene Macht unendlich besser als sie. Er kam nicht herab, um zu tun, was andere hätten tun können. Ein Engel mag sich am Teich von Bethesda um einen Mann bemühen (Joh 5), der zu gebrechlich ist, um sofort in das Wasser zu gelangen. Der Sohn macht lebendig, wen Er will.
Und die Juden, die lange im Unglauben rebellierten und lange danach trachteten, seinen Namen zu vernichten, der sich durch eine solche Behauptung Gott gleich machte, werden dennoch den verachteten Messias als ihren Herrn und ihren Gott anerkennen, und die vertrockneten Gebeine werden wieder lebendig (Hes 37); und ganz Israel wird endlich gerettet, blühen und knospen und die Fläche der Erde mit Früchten erfüllen (Jes 27,6)! Davon ist das kranke und nun gestorbene Mädchen das Unterpfand; und Er, der ihrem Vater dann gebietet, sich nicht zu fürchten, sondern zu glauben, wird das Unterpfand einlösen, das Er vor langer Zeit gegeben hat. „Als er aber in das Haus kam, erlaubte er niemand hineinzugehen, außer Petrus und Johannes und Jakobus und dem Vater des Kindes und der Mutter. Alle aber weinten und beklagten sie. Er aber sprach: Weint nicht, denn sie ist nicht gestorben, sondern sie schläft. Und sie verlachten ihn, da sie wussten, dass sie gestorben war. Er aber ergriff sie bei der Hand und rief und sprach: Kind, steh auf! Und ihr Geist kehrte zurück, und sofort stand sie auf; und er befahl, ihr zu essen zu geben. Und ihre Eltern gerieten außer sich; er aber gebot ihnen, niemand zu sagen, was geschehen war“ (V. 51‒56).
Der Geist der Verachtung damals wie auch heute war nur eine kleine Kostprobe von dem, was sein wird; aber solche können keinen dauerhaften Anteil an der Segnung haben. Denn während viele aus Israel, die im Staub der Erde schlafen, erwachen werden, wird es bei einigen zu Schande und ewiger Verachtung sein, so sicher wie bei anderen zu ewigem Leben (Dan 12,2). Denn es sind nicht alle Israeliten, die zu Israel gehören. Aber von dem, in dessen Augen die jungfräuliche Tochter Zion nicht tot war, sondern schlief, wird das Wort der gnädigen Kraft ausgehen, und sie wird auferstehen. Und Er, der sie endlich aus ihrem Todesschlaf auferweckt, wird für sie sorgen und sie stärken für das große Werk, zu dem Zion berufen sein wird. Es war jedoch nur ein vorübergehendes Handeln der Macht damals. Die Zeit für eine größere Entfaltung war noch nicht gekommen; und Jesus beauftragte sie, niemandem zu sagen, was geschehen war. Wenn Er selbst nicht aufgenommen wurde, wenn sein Wort abgelehnt wurde, war es vergeblich, seine Macht zu verkünden; Unglaube würde sie nur in schlimmeres Übel verwandeln.