Behandelter Abschnitt Lk 6,20-23
Nun aber kommen wir zu dem, was noch besser war, nicht für den Körper noch für diese Welt, sondern für die Seele in Beziehung zu Gott. „Und er erhob seine Augen zu seinen Jüngern und sprach: Glückselig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes“ (V. 20). Es gibt diesen bemerkenswerten Unterschied in der Art der Darstellung der Bergpredigt hier und im ersten Evangelium. Das Matthäusevangelium gibt sie abstrakt wieder, indem es jeden Segen für eine bestimmte Gruppe von Menschen darstellt. „Glückselig sind die Armen im Geist.“ Lukas macht daraus eine persönlichere Ansprache: „Glückselig ihr Armen“.
Der Grund dafür ist offensichtlich. Im einen Fall ist es der Prophet, der größer ist als Mose, der die Prinzipien des Reiches der Himmel im Gegensatz zu allem jüdischen Denken, Fühlen und Erwarten darlegt. Im anderen Fall ist es der Herr, der die tatsächlich versammelten Jünger tröstet, indem Er sie als so abgesondert zu sich selbst anspricht, und nicht nur sozusagen Gesetze auferlegt. Es war jetzt die Zeit der Not; denn als Er die Verheißungen in seiner Person brachte, wollten die Menschen Ihn nicht haben.
Wiederum ist es bei Lukas immer „das Reich Gottes“. „Das Reich der Himmel“ ist mehr dispensational und findet seinen perfekten Platz bei Matthäus. Lukas hält, wie immer, an dem fest, was moralisch ist. Gewiss waren die Armen im Reich des Menschen gering. Glückselig waren sie, sagte der Herr, denn ihrer ist das Reich Gottes.
Außerdem ist zu bemerken, dass es hier keine solche Fülle gibt wie bei Matthäus, wo wir die vollständigen sieben Klassen des Reiches haben, mit den überzähligen Segnungen, die den Verfolgten zugesprochen werden, sei es (1) um der Gerechtigkeit willen oder (2) um Christi willen.
Aber hier haben wir einen anderen, sehr bemerkenswerten Unterschied. Es gibt nur vier Klassen von Segnungen – nicht sieben; aber dann folgen vier Wehe, die bei Matthäus zu einer noch größeren Vollständigkeit in Matthäus 23, am Ende seines Dienstes, aufgehoben sind, aus demselben Grund der Haushaltungen, der in seinem ganzen Evangelium beibehalten wird. Lukas hingegen präsentiert sofort zuerst die Segnungen und gleich danach die Wehe. Es war nicht die Zeit der Leichtigkeit; das Gericht stand bevor. Das ergibt sich aus dem moralischen Charakter seines Evangeliums, so wie wir Mose im fünften Buch Mose, das einen ähnlichen Zweck verfolgt, finden, der dem Volk sagt, dass er ihnen den Segen und gleichzeitig den Fluch vorstellt (5Mo 28).
Der erste Segen, so wird man bemerken, ist das, was der Mensch immer für das größte Elend hält. So sehen die Armen in dieser Welt verachtet aus; aber „euer ist das Reich Gottes“. Der nächste Segen ist das Hungern jetzt, mit der Gewissheit, satt zu werden. Die dritte ist gegenwärtiges Leid – mit der verheißenen Freude (d. h. am Morgen). Schließlich: „Glückselig seid ihr, wenn die Menschen euch hassen und wenn sie euch ausschließen und schmähen und euren Namen als böse verwerfen um des Sohnes des Menschen willen“ (V. 22). Lukas, so wird man bemerken, lässt die Verfolgung um der Gerechtigkeit willen völlig aus, die bei Matthäus ihren passenden, wenn auch nicht ausschließlichen Platz findet. „Freut euch an jenem Tag und hüpft vor Freude, denn siehe, euer Lohn ist groß in dem Himmel; denn genauso taten ihre Väter den Propheten“ (V. 23). Das setzt geübten Glauben voraus, mit dem größten daraus resultierenden Segen. Dass Lukas sich aber auf die Glückseligkeit der um des Sohnes des Menschen willen Verfolgten beschränkt, stimmt schön mit den direkten Anreden in seinen vier Klassen überein. Wie die Glückseligen hier unmittelbar vor dem Herrn sind, so sind die Verfolgten hier nur um seinetwillen. Alles ist zutiefst persönlich.