Behandelter Abschnitt Mt 5,17-48
Im folgenden Teil kommen wir auf ein sehr wichtiges Thema zu sprechen. Wenn es diese neue Art von Glückseligkeit gab, die den Gedanken Israels nach dem Fleisch so fremd war, in welchem Verhältnis stand dann das Gesetz zu Christi Lehre und dem neuen Zustand der Dinge, der eingeführt werden sollte? Kam das Gesetz nicht von Gott durch Mose? Wenn Christus etwas einführte, was selbst für die Jünger so unerwartet war, was würde diese Wahrheit mit dem zu tun haben, was sie zuvor durch Gottes inspirierte Diener empfangen hatten und wofür sie seine eigene Autorität hatten? Schwäche die Autorität des Gesetzes ab, und es ist klar, dass du das Fundament zerstörst, auf dem das Evangelium ruht. Das Gesetz war nämlich ebenso sicher von Gott wie das Evangelium. Daraus ergab sich eine äußerst wichtige Frage, besonders für einen Israeliten: Was hat die Lehre Christi über das Reich der Himmel mit den Vorschriften des Gesetzes zu tun?
Der Herr eröffnet dieses Thema (V. 17–48) mit diesen Worten:
Denkt nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen (5,17).
Das hätten sie vielleicht denken können, weil Er etwas einführte, das in beiden nicht erwähnt wird. Doch Er fährt fort: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern um zu erfüllen.“ Ich nehme dieses Wort „erfüllen“ in seinem weitesten Sinn. In seiner eigenen Person erfüllte der Herr das Gesetz und die Propheten, in seiner eigenen Art, in gerechter Unterordnung und Gehorsam. Sein Leben hier unten zeigte zum ersten Mal seine Schönheit ohne Makel. Sein Tod war die feierlichste Bestätigung, die das Gesetz je empfangen konnte, denn den Fluch, den es über die Schuldigen aussprach, nahm der Retter auf sich. Es gab nichts, was der Retter nicht auf sich genommen hätte, damit Gott nicht entehrt würde.
Die Worte unseres Herrn rechtfertigen jedoch, denke ich, eine weitere Anwendung. Es ist eine Ausdehnung des Gesetzes oder der gerechten Forderung (δικαίωμα), die seinem moralischen Element den größten Umfang gibt, so dass alles, was Gott darin ehrt, in seiner vollsten Kraft und Ausdehnung zum Vorschein kommt. Das Licht des Himmels fiel nun auf das Gesetz, und das Gesetz wurde ausgelegt, nicht von schwachen, versagenden Menschen, sondern von einem, der keinen Grund hatte, sich auch nur einem Punkt seiner Forderungen zu entziehen und dessen Herz voller Liebe nur an die Ehre und den Willen Gottes dachte. Der Eifer für das Haus seines Vaters verzehrte Ihn, und Er stellte das wieder her, was Er nicht wegnahm. Wer außer Ihm konnte das Gesetz so auslegen – nicht wie die Schriftgelehrten, sondern in einem himmlischen Licht? Denn das Gebot Gottes ist überaus ausgedehnt, ob wir es nun als das Ende aller Vollkommenheit im Menschen oder als die Summe davon in Christus betrachten.