Behandelter Abschnitt Jer 10
Deshalb ruft dieses Kapitel sie auf, das Wort zu hören, das der Herr zum Haus Israel spricht: „Lernt nicht den Weg der Nationen, und erschreckt nicht vor den Zeichen des Himmels, weil die Nationen vor ihnen erschrecken. Denn die Satzungen der Völker sind Nichtigkeit; denn Holz ist es, das einer aus dem Wald gehauen hat, ein Werk von Künstlerhänden, mit dem Beil gefertigt. Er schmückt es mit Silber und mit Gold; mit Nägeln und mit Hämmern befestigen sie es, dass es nicht wankt; sie sind wie eine gedrechselte Palme und reden nicht; sie werden getragen, denn sie gehen nicht. Fürchtet euch nicht vor ihnen; denn sie können nichts Böses tun, und Gutes zu tun steht auch nicht bei ihnen. Gar keiner ist dir gleich, Herr; du bist groß, und groß ist dein Name in Macht. Wer sollte dich nicht fürchten, König der Nationen?“ (V. 2‒7).
Ihre Götzen sind nichts; der Einzige, den sie fürchten müssen, ist Gott selbst. Und hier sieht man, dass der Prophet Jeremia nicht nur ein Prophet für die Nationen war, sondern der Herr selbst wird „König der Nationen“ genannt – eine weitere Besonderheit des Buches Jeremia. Die Nationen haben in dieser Prophezeiung ihren Platz in einem breiten Rahmen; und ich darf hier anmerken, dass dies auch die wahre Bedeutung dieses Namens Gottes in Offenbarung 15,3 ist. Manche Übersetzungen haben „König der Heiligen“, doch es muss „König der Nationen“ heißen.
Es gibt in der Schrift keinen solchen Begriff wie „König der Heiligen“. Die Beziehung, die der Herr Jesus zu den Heiligen hat, ist nicht die des Königs, sondern des Hauptes oder des Herrn. Er ist niemals König, außer in Bezug auf Israel oder auf die Nationen.2
Es ist nicht so, dass Er nicht Herr über sie ist. Er ist Herr, ganz sicher, genauso wie Sara zweifellos recht hatte, als sie ihren Mann mit diesem Begriff ansprach. Es ist klar, dass der Geist Gottes so denkt und ihre Ehrfurcht (1Pet 3,6) für die Rücksichtnahme auf andere aufzeichnet, aber dennoch wäre es eine sehr arme und elende Sache gewesen, wenn Abraham für sie nichts anderes als der Herr gewesen wäre. Nein, Abraham war ihr Ehemann, und Abraham hatte Pflichten gegenüber Sara, statt dass Sara nur Pflichten ihm gegenüber hatte. Es ist eine sehr dürftige Art, Beziehungen zu betrachten, wenn wir nur eine Seite davon sehen, und zwar die, die uns passt. Nein, die Beziehung schließt immer moralische Pflichten ein, und die Beziehung des Herrn Jesus zu den Heiligen ist nicht nur eine Beziehung der Autorität, was vollkommen richtig ist, sondern vor allem der Liebe, der Fürsorge, der Pflege, sogar wie ein Mensch sein eigenes Fleisch liebt.
Nun, das ist bei einem König nicht der Fall. Ein König ist nicht dazu verpflichtet, alle seine Untertanen wie sein eigenes Fleisch zu behandeln. Ein König muss nicht jedem Untertan in seinem Reich einen Erbanteil zukommen lassen. Es wäre lächerlich, das zu erwarten. Ein König gibt aber seinen eigenen Söhnen und Töchtern einen würdigen Anteil. Das ist ganz richtig und angemessen, wegen der familiären Beziehung der engsten Art, und so ist es auch zwischen Christus und den Heiligen. Wenn ich die Versammlung nur auf eine Nation, auf ein Volk reduziere, stelle ich nur eine entfernte Verbindung zwischen ihr und Christus her, statt der größten Innigkeit, die nach den Ratschlüssen Gottes besteht.
So mindern du und ich nach meinem Urteil die besondere Glückseligkeit des Christen, wenn man nur an die Beziehung eines Königs zu einem Volk denkt, statt an die Beziehung eines Hauptes zu seinem Leib. Wenn ich zu Christus als dem Bräutigam meiner Seele und der Versammlung aufschauen kann; wenn ich Christus nicht nur als meinen Herrn, sondern als das Haupt ansehen kann, von dem jedes Glied seine Nahrung bezieht, und auf den ein Anspruch der Abhängigkeit besteht, für es zu denken und für es zu sorgen und es zu führen und zu leiten – eine solche Ansicht bringt das größtmögliche Vertrauen in meine Liebe zu Ihm; und je einfacher der Glaube ist, desto größer ist die Kraft, die die Gläubigen erfüllt.
Wenn ich dagegen das Christentum nur zu einer entfernten Beziehung mache – die eines Volkes zu einem König –, opfere ich sein erlesenstes Element. Es ist klar, dass ich die Verteidigung gegen fremde Feinde suchen darf, aber in meinen eigenen Angelegenheiten muss ich mich größtenteils selbst bewegen. Der König denkt nicht viel an mich oder an euch, und das können wir auch nicht von ihm erwarten. Ich habe keinen persönlichen Anspruch auf die Nähe zum Thron, und diese Unterscheidung versteht jeder. Aber in göttlichen Dingen hat sie böse Folgen. Der Gedanke der Entfernung zu Christus passt gut zu der Vorstellung, dass wir frei sind, unsere Pläne nach eigenem Gutdünken zu gestalten, dass es uns überlassen ist, unsere eigenen Regierungsformen in der Gemeinde zu tragen.
2 Die Formulierung in Offenbarung 15,3 ist ein Zitat aus Kapitel 10,7. Alle alten Abschriften haben das wahre Wort, nämlich „König der Nationen“. Ich erwähne dies nur am Rande. Es ist wichtiger, dies als Unterscheidung in Schottland zu beachten als in England, denn dort ist die Vorstellung, dass der Herr Jesus der König der Kirche oder der König der Heiligen ist, äußerst weit verbreitet, und zwar seit die Versammlung der Geistlichen in Westminster sich diesem Irrtum verschrieben hat. Meiner Meinung nach ist das ein Irrtum von äußerst herabsetzendem Charakter. Er verfälscht die gegenwärtige Beziehung des Herrn Jesus Christus zu seinen Heiligen.↩︎