Behandelter Abschnitt Jes 28,1-2
Dieser Abschnitt, der in engem Zusammenhang mit Kapitel 29 steht, gibt uns einen klaren und in Einzelheiten gehenden Blick auf die Wege Gottes mit seinem Volk und seinem Land, insbesondere mit Jerusalem, in der Endzeit. Israel soll verwelken wie eine Blume, Jerusalem soll in schwerem Verdruss sein, aber herrlich und für immer erlöst werden. Ich hoffe, es ist deutlich zu sehen, wie unmöglich es ist, das, was der Heilige Geist hier ankündigt, als Ganzes auf irgendetwas anzuwenden, das bereits vollendet wurde. Wir müssen Raum für eine weitere und nähere Betrachtung dieser „Wehe“ des Propheten lassen.
So einfach das auch sein mag, es ist überaus wichtig. Denn auch viele Christen schauen auf den allmählichen Fortschritt (nicht nur auf das Zeugnis) des Evangeliums. Sie erwarten, dass durch den Segen des Heiligen Geistes auf das gepredigte Wort die Nationen allmählich hinzugebracht werden; dass das moralische Böse, die Untreue, jede Form von Aberglaube, der ganze Stolz und die Weltlichkeit der Menschen langsam niedergerissen werden, wenn die Kraft des Heiligen Geistes die Herzen der Menschen mit Gerechtigkeit und Frieden und Freude erfüllt und so die Welt im Allgemeinen zum Abglanz von Gottes Willen und Wegen wird. Solchen Menschen erscheint die Behauptung seltsam, dass es einen totalen Wechsel der Dispensation geben wird; dass Gott, nachdem Er uns zuerst weggenommen hat, um mit Christus oben zu sein, Israel wieder in die Vorherrschaft in ihrem eigenen Land bringen wird – nicht um sie einfach zu bekehren und in die christliche Kirche einzuführen, sondern um sie zur Umkehr zu bringen und ihren Messias zu empfangen. Dann werden sie ihre eigenen unverwechselbaren Verheißungen haben und der neue Bund wird ihnen zugutekommen, die Herrlichkeit des Herrn wird auf dem Berg Zion leuchten, sie selbst werden über alle Nationen erhaben sein, die einen Platz der bewussten, willentlichen Unterlegenheit gegenüber Israel einnehmen werden und miteinander wetteifern, wer dem Auserwählten des Herrn die meiste Ehre erweisen wird. Dies alles, mit vielen wichtigen Folgen, bringt eine so gewaltige Umwälzung in den Gedanken der Menschen mit sich, dass diejenigen, die mehr an das Wort Gottes gewöhnt sind, kaum begreifen können, welch ungeheuren Zug es auf den Glauben derer macht, die mit dem prophetischen Wort nicht vertraut sind; wie sehr es allem widerspricht, was in ihren Köpfen am meisten gehegt wird; und welch einen Todesstoß es dem versetzt, was sie liebevoll für die legitime Hoffnung der Versammlung gehalten hatten.
Wenn wir zu Gottes Wort als der einzigen Quelle der Wahrheit und sicheren Prüfung aller vorherigen Gedanken kommen, kann nichts deutlicher sein. Denn hier haben wir eine klare Vision des schrecklichen Schlags, der auf Ephraim fallen wird, was nicht nur der Name eines bestimmten Stammes ist, sondern die allgemeine Bezeichnung der zehn Stämme, die sich unter diesem führenden Stamm sammelten. Juda und Ephraim sind die beiden Hauptbezeichnungen, mit denen die Propheten ständig die beiden Häuser Israels einander gegenüberstellen. Was der Prophet hier mitteilt, ist das „Wehe“, das besonders über Ephraim, das heißt über die, die wir die zehn Stämme nennen, fallen wird. Das gibt uns die Möglichkeit, den Zeitpunkt und die Umstände seiner Erfüllung zu beurteilen, denn ein solches Gericht, wie es hier beschrieben wird, ist historisch nie über die Juden gekommen. Die anderen (d. h. Israel) wurden in die Gefangenschaft nach Assyrien verschleppt und wurden als Volk nie wieder in das Land zurückgebracht. Jesaja schrieb, als dieser furchtbare Schlag über Israel hereinbrach, und er geht weiter bis zu ihren letzten Tagen, sogar bis zu den Tagen, in denen Christus selbst, zuerst im Glauben, dann in befreiender Macht und Herrlichkeit, mit dem Überrest Judas verbunden sein wird.
Wenn wir die vergangene Geschichte des Volkes betrachten, sehen wir keine solche Verbindung Christi mit Juda, nichts, was diesem Rückgriff auf den bewährten Stein entspräche, außer bei jenen Jüngern, die in einer späteren Epoche die Synagoge zugunsten der Versammlung verließen. Die zehn Stämme wurden schon früh weggefegt, und später wurden die zwei Stämme nach Babylon verschleppt, woraus nur ein unbedeutender Überrest von Juda hervorging. Die Prophezeiung hat sich also noch nicht erfüllt; und was nicht war, muss erfüllt werden. Sicherlich kann kein Auslegungskanon sicherer und klarer sein als dieser. Die Schrift kann nicht aufgelöst werden: das Wort Gottes muss sich früher oder später bestätigen. Das Ende dieses Zeitalters ist die reife Zeit für die Erfüllung des großen Teils der Prophezeiungen. Deshalb ist die einzige Frage hier, ob irgendetwas wirklich und vollständig geschehen ist, was diesen Gerichten entspricht, die auf die zehn Stämme und Juda mit Jerusalem fallen werden. Dass es nie eine entsprechende Erfüllung gegeben hat, wird im weiteren Verlauf deutlich genug werden. Für den Gläubigen ist die Erfüllung zukünftig und gewiss.
Wehe der stolzen Krone der Betrunkenen Ephraims und der welkenden Blume seiner herrlichen Pracht auf dem Haupt des fruchtbaren Tals der vom Wein Überwältigten! Siehe, der Herr hat einen Starken und Mächtigen wie ein Hagelwetter, wie ein verderbender Sturmwind; wie ein Wetter gewaltiger, überflutender Wasser reißt er mit Macht zu Boden (28,1.2).