Behandelter Abschnitt Jes 6,1-4
Dieses Kapitel eröffnet eine ganz andere Szene. Es geht nicht um das Gesetz, sondern um die Offenbarung des Herrn. Nicht, dass die Menschen auch nur einen Deut besser wären; in der Tat wurde erst durch das Kommen Christi sieben Jahrhunderte später vollends offenbart, was der Mensch war und ist. Das Gesetz bewies, dass der Mensch nicht nur sündig ist, sondern die Sünde liebt; das Kommen Christi bewies, dass er das Gute hasst – er hasst Gott selbst, der sich in der ganzen Reinheit und Demut, in der Gnade und Wahrheit Jesu offenbart hat. Es war also nicht nur so, dass der Mensch selbst versagte und schuldig war; sondern als jemand da war, der in jeder Hinsicht der Liebe und Huldigung und Anbetung würdig war, die vollkommene Darstellung des Menschen für Gott und Gottes für den Menschen. Er war ein Licht, das dem Menschen so verhasst und unerträglich war, dass er nicht ruhen konnte, bis es ausgelöscht hatte, soweit er es bewirken konnte. Dennoch befinden wir uns auf einem spürbar auffallend anderen Boden; und zwar deshalb, weil es um die Offenbarung des Herrn geht und nicht nur um die Verantwortung Israels. In beiden Kapiteln wird das Volk gerichtet, aber die Prinzipien des Gerichts sind völlig unterschiedlich.
Der Prophet erhielt diese Vision der Herrlichkeit und diesen feierlichen Auftrag nicht in der Blütezeit Ussijas, sondern in dem Jahr, in dem der einst wohlhabende und jetzt von Aussatz befallene Sohn Davids seinen letzten Atemzug tat. Dennoch sah „das Jahr, in dem König Ussija starb“, ganz anders aus als „das Jahr, in dem König Ahas starb“ (Jes 14,28). Doch im ersteren kam die Vision, die dem Propheten die allgemeine Unreinheit des Volkes Gottes vollständig offenbarte; im letzteren gab es einen Ausspruch über den Feind, der ihre südwestliche Flanke bedrängte. Im ersten Jahr kam auch Pekach auf den Thron Israels, der mit den Nationen den tödlichsten Plan schmiedete, um die Linie und Hoffnung des Messias zu zerstören. Dann aber sah Jesaja den Herrn auf seinem Thron sitzen, der hoch und erhaben war, und die bloßen Umrisse seiner Herrlichkeit erfüllten den Tempel.
Im Todesjahr des Königs Ussija, da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron, und seine Schleppen füllten den Tempel. Seraphim standen über ihm; jeder von ihnen hatte sechs Flügel: Mit zweien bedeckte er sein Angesicht, und mit zweien bedeckte er seine Füße, und mit zweien flog er. Und einer rief dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit! Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen von der Stimme der Rufenden, und das Haus wurde mit Rauch erfüllt (6,1–4).
Keine herrlichere Vision war jemals für menschliche Augen sichtbar: Doch wenn die anwesenden brennenden Engel die Fülle der Erde als Schauplatz seiner Herrlichkeit umfassten, war seine Heiligkeit ihre erste Sorge und ihr wichtigstes Rufen. Aktivität ist auch bei den geflügelten Seraphim weder alles noch das meiste. Nicht alle sechs Flügel brauchte jeder zum Flug, sondern nur zwei: „Mit zweien bedeckte er sein Angesicht, und mit zweien bedeckte er seine Füße“, in Ehrfurcht vor Gott und Scham vor sich selbst, in beidem die Ehrfurcht, die ihnen in seiner Gegenwart gebührt.