Behandelter Abschnitt Hld 2,3-17
Es wird auffallen, dass die Braut viel von dem Geliebten zu anderen spricht, während Er eher von ihr zu sich selbst spricht. Das entspricht durchaus ihrem Bedürfnis nach Vergewisserung und der Wahrheit der Dinge, wenn wir wissen, dass es Christus ist, den der Geist wirklich gemeint hat, denn Er steht über allen Bedürfnissen des Geschöpfes und bewirkt durch seine Liebe Gegenliebe. Dass Er sie liebt, muss sie wissen; und darin verweilt Er am meisten. Andere mögen es daraus erfahren, dass seine Liebe auf sie gerichtet ist: Sie erleichtert ihr Herz, indem sie anderen seine Schönheit und Vortrefflichkeit vor Augen führt.
Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; ich habe mich mit Wonne in seinen Schatten gesetzt, und seine Frucht ist meinem Gaumen süß. Er hat mich in das Haus des Weines geführt, und sein Banner über mir ist die Liebe. Stärkt mich mit Traubenkuchen, erquickt mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe!
Seine Linke ist unter meinem Haupt, und seine Rechte umfasst mich.
Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hirschen des Feldes, dass ihr weder weckt noch stört die Liebe, bis es ihr gefällt!
Horch! Mein Geliebter! Siehe, da kommt er, springt über die Berge, hüpft über die Hügel. Mein Geliebter gleicht einer Gazelle oder einem Jungen der Hirsche. Siehe, da steht er hinter unserer Mauer, schaut durch die Fenster, blickt durch die Gitter. Mein Geliebter hob an und sprach zu mir: Mach dich auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm! Denn siehe, der Winter ist vorbei, der Regen ist vorüber, er ist vergangen. Die Blumen erscheinen im Land, die Zeit des Gesangs ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube lässt sich hören in unserem Land. Der Feigenbaum rötet seine Feigen, und die Weinstöcke sind in der Blüte, geben Duft. Mach dich auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm! Meine Taube im Geklüft der Felsen, im Versteck der Felswände, lass mich deine Gestalt sehen, lass mich deine Stimme hören; denn deine Stimme ist süß und deine Gestalt anmutig.
Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben; denn unsere Weinberge sind in der Blüte! Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet. Bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen, wende dich, sei, mein Geliebter, gleich einer Gazelle oder einem Jungen der Hirsche auf den zerklüfteten Bergen! (V. 3–17).
Christus wird unter dem Bild des Apfelbaums, dem wahren Fruchtträger, beschrieben. Unter seinem Schatten hatte sie Entzücken und setzte sich nieder, und seine Frucht war ihrem Gaumen süß. Mose hat Israel nicht genützt, obwohl er als Knecht treu war. Auch der erste Bund entsprach nicht dem Bedürfnis, sondern brachte Übertretungen zum Vorschein und brachte Tod und Verderben hervor. Christus ist die Quelle alles Guten.
Doch schon zu diesem frühen Zeitpunkt spürt die Braut, dass die strahlende Zeit kommen wird. Es ist offensichtlich, dass im Lied der Lieder die Offenbarung der gegenseitigen Zuneigung zwischen dem Messias und dem Israel Gottes ist, wie sie nirgendwo sonst zu finden ist. Und dies wird umso herrlicher für das Volk Gottes sein, wenn es durch den Heiligen Geist dazu gebracht ist, seine bisherigen untreuen Zuneigungen zu verurteilen; denn Israel war in der Vergangenheit vielen Liebhabern nachgegangen (siehe Jer 3; Hes 16; Hos 1‒3). Aber ihre Wiederherstellung zur Verbindung mit dem Messias in der Entdeckung seiner treuen Liebe, trotz ihrer schamlosen Untreue zu einem solchen Liebhaber, wird umso tiefer sein. Dieses Buch liefert den nötigen Ausdruck für alles auf beiden Seiten: So gnädig ist Gott, so vollständig sein Wort, der alles von Anfang an wusste und völlig offenbart, was erst bei der Vollendung des Zeitalters verwirklicht werden wird.
Die Psalmen Davids sind in der Tat reich, aber sie offenbaren eher die Verwerfung und die Leiden des Messias (zweifellos in unendlicher Gnade) und die Schlechtigkeit, die Sünden, den Unglauben und die Not des Volkes im Allgemeinen, als die gegenseitige Liebe, die im Hohelied zum Ausdruck kommt. Noch weniger zeigen das Gesetz und die Propheten dies wie hier. Dennoch ist Zephanja 3,17 ein herrliches Wort: „Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held. Er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel.“ Dieser Vers illustriert die Haltung des Hoheliedes. Das Mitgefühl in der Trauer überwiegt in den Psalmen. Alles in der Heiligen Schrift ist vollkommen, was das Volk, den Ort und die Zeit betreffen. Und diejenigen, die von Gott gelehrt werden, finden Christus zu ihrem ewigen Gewinn und ihrer Freude überall, außer in einer solchen Entfaltung wie Prediger (die bemerkenswerte Schrift von derselben Hand, die das Hohelied einfügte), die Nichtigkeit und das Elend von allem, wo Christus nicht ist, trotz des größten Reigens von vorübergehenden Vergnügungen und Beschäftigungen mit den größten Mitteln und der Macht, sie zu genießen.
Dass der Stil sich notwendigerweise völlig unterscheidet, versteht sich von selbst: Niemand außer einem Einfaltspinsel oder einem Bösewicht würde etwas anderes erwarten oder, wenn er dazu fähig wäre, ausführen. Und doch ist in all diesen inspirierten Büchern, so lehrreich sie für den Christen auch sein mögen, das jüdische Volk dasjenige, das unmittelbar und in erster Linie im Blick ist, nicht die Versammlung der Erstgeborenen, nicht die Gläubigen, die mit allem geistlichen Segen in den himmlischen Örtern in Christus gesegnet sind, wie wir es jetzt sind.
Nach der einleitenden Beschreibung des Hohenliedes wird hier der gottesfürchtige jüdische Überrest beschrieben, wie er den geistlichen Prozess durchläuft, um die Liebe des Messias zu würdigen und fruchtbar zu machen. Und die Aufforderung in Vers 7 sollte mit einer ähnlichen in Hohelied 3,5 und 8,4 verglichen werden. In jedem Fall folgt das Kommen des Messias passend zur fortschreitenden Handlung des Buches. Die Braut nimmt es im Glauben vorweg; denn Er ist noch nicht gekommen, wie lieblich auch die Sprache ist, die seine Glückseligkeit erkennt: „Du wirst aufstehen, wirst dich über Zion erbarmen; denn es ist Zeit, es zu begnadigen, denn gekommen ist die bestimmte Zeit; denn deine Knechte haben Gefallen an seinen Steinen und haben Mitleid mit seinem Schutt“ (Ps 102,14.15). Der Herr wird sich erheben und sich über Zion erbarmen.
Es ist hier seine Stimme, die gehört wird, wie Er kommt, springend auf den Bergen, hüpfend über die Hügel. Was Er sprach und sagte, erreichte das Ohr, ja, das Herz der Braut (V. 13.14), wo wir als nächstes von „unseren“ Weinbergen hören (V. 15; vgl. Hld 2,6-11). Es folgt der erste Ausdruck einer bewussten Beziehung (V. 16). Der Fortschritt ist klar, wenn wir vergleichen, was danach kommt. Es ist vielmehr Er selbst und seine Liebe zu ihr, die bei dieser Erwähnung seines Kommens zum Vorschein kommt. Wir werden bei jeder neuen Gelegenheit mehr sehen. Doch hier haben seine Fülle der Macht, die Angemessenheit der Zeit und der Umstände und der willkommene Klang seiner Liebe zu ihr hat seinen gebührenden Platz.