Behandelter Abschnitt Spr 10,11-21
In den unmittelbar folgenden Versen hat „der Mund“ den Vorrang vor dem guten Willen, obwohl die Arbeit oder ihre Frucht nebenbei bemerkt wird, nicht weniger ist als die Befolgung der Belehrung, wie sie in den Versen 15–17 enthalten ist.
Eine Quelle des Lebens ist der Mund des Gerechten, aber der Mund der Gottlosen birgt Gewalttat.
Hass erregt Zwietracht, aber Liebe deckt alle Übertretungen zu.
Auf den Lippen des Verständigen wird Weisheit gefunden; aber der Stock gebührt dem Rücken des Unverständigen.
Die Weisen bewahren Erkenntnis auf, aber der Mund des Narren ist drohender Unglücksfall.
Der Wohlstand des Reichen ist seine feste Stadt, der Unglücksfall der Geringen ihre Armut.
Der Erwerb des Gerechten gereicht zum Leben, der Ertrag des Gottlosen zur Sünde.
Es ist der Pfad zum Leben, wenn einer Unterweisung beachtet; wer aber Zucht unbeachtet lässt, geht irre.
Wer Hass verbirgt, hat Lügenlippen; und wer Verleumdung verbreitet, ist ein Tor.
Bei der Menge der Worte fehlt Übertretung nicht; wer aber seine Lippen zurückhält, ist einsichtsvoll.
Die Zunge des Gerechten ist auserlesenes Silber, der Verstand der Gottlosen ist wenig wert.
Die Lippen des Gerechten weiden viele, aber die Narren sterben durch Mangel an Verstand (10,11–21).
Der Mund hat beim Menschen eine ganz andere Absicht und einen ganz anderen Charakter als beim Tier, wo er ein tierisches Bedürfnis ausdrückt, das für andere harmlos oder verderblich ist. Der Mund des Menschen hat einen edleren Zweck und ist das Mittel, seine innere Natur auszudrücken, und zwar nicht in Beziehung zum Reich der Natur, über das er herrschen soll, sondern in Unterwerfung unter Gott, den er vertritt – oder leider auch falsch vertritt. Hier ist es der Mund eines Gerechten, und es wird gesagt, er sei eine Quelle des Lebens; denn das ist die Absicht Gottes für einen solchen in der Welt der Wüste. Gott sorgt nicht nur in seiner Vorsehung für ihn, wie für Hagar bei einem Wasserbrunnen in der Wüste, der einen entsprechenden Namen bekam (1Mo 16). Er erträgt es, den zu sehen, der unsichtbar ist. Er wird dadurch zu einer aktiven Quelle des Segens für andere und für die Natur, die jetzt durch die Sünde des Menschen, ihres ersten vorbildlichen Hauptes, den Makel des Todes in sich trägt, bevor der zweite Mensch (das unfehlbare und wahre Haupt) alles wiederherstellt, wie Er es sicher zur rechten Zeit tun wird. In der Zwischenzeit ist der Mund des Gerechten aus Gnade eine Quelle des Lebens. Er ist ein Zeuge Gottes in Christus; und wie er glaubt, so spricht er. Bei dem Gottlosen ist es ganz anders. Sein Mund spricht nicht nur die Gewalttätigkeit des Eigenwillens und der Gottlosigkeit aus, sondern tut noch Schlimmeres, indem er die Gewalttätigkeit, die er empfindet, verdeckt, die, wenn sie offenbart würde, zu heilsamer Vorsicht oder Zurückhaltung und ernsten Warnung führen könnte. „Hass“ wird als nächstes vor uns gebracht, das genaue Gegenteil von Gott in seiner Liebe, die Abschrift Satans in seiner Bosheit. Seine Verbindung ist so offensichtlich, dass es unnötig ist, seine Abstammung zu nennen. Er ist „wie Kain“, der aus dem Bösen war und seinen Bruder erschlug. Aber selbst in ihrer leichtesten Form erregt sie Zwietracht und ärgert sich über jede Einmischung in den Willen des Menschen, da Gott nirgends in ihren Gedanken ist. „Aber Liebe deckt alle Übertretungen zu“ (V. 12). Das ist das tiefe Empfinden der göttlichen Natur in einem Menschen Gottes. Persönlicher Groll ist weit weg vom Herzen. Er vergibt und vergisst gern. So wiederholt der Apostel (1Pet 4,8), dass die Liebe eine Menge von Sünden bedeckt, wie auch Jakobus seinen Brief in ähnlicher Weise abschließt. Aber auch Israel, nicht nur die Christen, sollten heilig sein; und wenn ein falscher Zeuge sich erhob und überführt wurde, wenn beide vor dem Herrn standen, dann sollten sie, statt zu bedecken, ihm das antun, was er gegen seinen Bruder tat, um so das Böse aus ihrer Mitte zu vertreiben. Jeder andere Weg ist das Werk Satans, indem er eine Schrift aufhebt und eine andere außer Kraft setzt, anstatt allen zu gehorchen. Ein menschliches Gefühl in einen solchen Fall einzubringen, ist dem Evangelium ebenso zuwider wie dem Gesetz. „Richtet ihr nicht die, die drinnen sind?“ – „Deinem Haus geziemt Heiligkeit, Herr, auf immerdar“ (Ps 93,5). Das ist ebenso unveräußerlich wie das Vorrecht der Liebe, alle Übertretungen persönlich zuzudecken. Als unser Herr auf dem Berg seine Jünger lehrte, dem Bösen nicht zu widerstehen (Mt 5,38-42), gemäß dem Gesetz der Vergeltung, galt das für den Christen in seinem persönlichen Wandel. Derselbe Herr bestand auf der schonungslosen Verurteilung des Bösen in der Versammlung. Wir alle wissen also, wie falsch es ist, 1. Korinther 5 in der Praxis zu übergehen, indem man das Ausreißen des Unkrauts in Matthäus 13,29 verbietet. Wie uneinsichtig und blind!
Wieder wird uns gesagt: „Auf den Lippen des Verständigen wird Weisheit gefunden; aber der Stock gebührt dem Rücken des Unverständigen“ (V. 13). Wie wahr ist das und wird es durch Erfahrung bestätigt! Es ist nicht nur so, dass jeder einsichtige Mensch Weisheit hat, sondern sie ist auf seinen Lippen sie zu finden. Wie sehr wird man sich selbst verraten, wenn man sie anderswo sucht! Wer würde anderswo nach Weisheit suchen, wenn er nicht (vielleicht unbewusst) seinen eigenen Weg gehen wollte? Andererseits verdient der, dem das Herz im moralischen Sinn fehlt, die Rute zu seiner eigenen Züchtigung. Wäre sein Auge einseitig, könnte er das Licht nicht wollen.
Ein anderer Segen kommt der Weisheit zu. Sie verliert nicht, was sie hat, sondern wächst durch Gnade. „Die Weisen bewahren Erkenntnis auf, aber der Mund des Narren ist drohender Unglücksfall“ (V. 14). Scharfsinn oder Originalität mag nicht die brillantesten und nützlichsten Ideen zu Gewinn machen und tut es oft auch nicht; aber Weisheit bewahrt und benutzt das, was von oben gegeben ist. Genauso wie der Mund des Narren, auch wenn er noch so geschwätzig ist, spricht er nichts von echtem Wert aus, sondern immer enthält seine Rede reichlich Elemente für Unheil und drohenden Unglücksfall.
Das nächste Verspaar scheint diese einfache Tatsache zu bestätigen, und das nicht ohne Ironie. „Der Wohlstand des Reichen ist seine feste Stadt, der Unglücksfall der Geringen ihre Armut“ (V. 15). So denken sie, und andere sagen es; doch Reichtümer haben Flügel und können wegfliegen; so haben die Armen, wenn sie fromm und zufrieden mit dem Willen Gottes sind, großen Gewinn.
Verglichen mit den Reichen haben wir nun den Stempel zum Leben: „Der Erwerb des Gerechten gereicht zum Leben, der Ertrag des Gottlosen zur Sünde.“ Der der Ertrag (es wird nicht gesagt, die Arbeit) eines Gottlosen führt zur Sünde. Wie erfreulich für den, der das Teil annimmt, wenn auch in einer verdorbenen Welt, Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen! Und wie traurig ist der Verlauf eines Einkommens, wenn es auch noch so reichlich ist, das in der Sünde endet!
Dann folgt die praktische Prüfung: „Es ist der Pfad zum Leben, wenn einer Unterweisung beachtet; wer aber Zucht unbeachtet lässt, geht irre“ (V. 17). Denn nicht nur die Belehrung zu hören, sondern sie auch zu beachten, ist von großem Wert; wohingegen die „Zucht“ für unsere mannigfaltigen Fehler zu verabscheuen und somit zu vernachlässigen, der Weg ist, der in die Irre führt, man weiß nicht wie weit.
Als Nächstes hören wir die noch ernstere Warnung vor heuchlerischer Bosheit, ihrem Charakter und ihrem natürlichen Ausgang, und Gottes Urteil darüber, was immer die Menschen sagen. „Wer Hass verbirgt, hat Lügenlippen; und wer Verleumdung verbreitet, ist ein Tor“ (V. 18). So sagt Er, der die Nieren und Herzen erforscht, was wir nicht können und deshalb von seinem Wort profitieren müssen. Böswillige Lügen, wenn sie aufgedeckt werden, beweisen also den Hass, der zugedeckt wurde, und das Aussprechen von Verleumdungen beweist den Toren. Der göttliche Ausspruch beugt sich nicht der trügerischen Höflichkeit der Gesellschaft, sondern spricht so, dass alle Gläubigen es hören können, sei es zum Trost oder zur Ermahnung.
Ferner werden wir vor übermäßigem Reden gewarnt, wie unser Herr eitle Wiederholungen im Gebet wie die Heiden und lange Gebete in der Öffentlichkeit wie die Juden anprangerte. Es ist gut, zu allen Zeiten aufzupassen und sich zu enthalten, außer bei zwingender Pflicht. „Bei der Menge der Worte fehlt Übertretung nicht; wer aber seine Lippen zurückhält, ist einsichtsvoll“ (V. 19). Lasst uns also nicht versäumen, den Herrn zu bitten, eine Wache vor unseren Mund zu stellen und die Tür unserer Lippen zu bewachen, wie es in Psalm 141,3 heißt. Unsere böse Natur ist allzu bereit, auf den Mund unseres Nächsten zu achten, zur Schande des Glaubens und der Liebe.
Die Zunge des Gerechten, so heißt es in Vers 20, ist wie edles Silber. Das ist treffend und eindrucksvoll. Wir hätten denken können, dass andere Metalle nicht weniger gut geeignet wären. Manche Zunge, die nicht rechtschaffen ist, schneidet wie der hellste und schärfste Stahl. Aber wie das Silber in den heiligen Verbindungen auf die Gnade und das Gold auf die göttliche Gerechtigkeit hinwies, so ist das Silber im Gebrauch unter den Menschen besonders geeignet, Wunden zu sondieren, ohne zu rosten oder zu eitern. So ist die Zunge der Gerechten, immer mit Gnade und Salz gewürzt. Daher die Aufforderung des Apostels für den Geistlichen, jemanden, der von einem Fehltritt übereilt wurde, wiederherzustellen (Gal 6,1); der ungeistliche ist geneigt, streng zu sein, der fleischliche wäre unvorsichtig und würde das wahre Urteil übelnehmen.
Der folgende Vers 21 vervollständigt und beschreibt den positiven Segen. „Die Lippen des Gerechten weiden viele“. Auf einer anderen Seite hören wir: „aber die Narren sterben durch Mangel an Verstand“ (V. 21). Das Brot, das Jesus vermehrte und durch seine Jünger austeilte, speiste die Menge, und zwar am Ende mehr als am Anfang; und das ist es, was der Gerechte in Ihm für viele in ihren vielen Bedürfnissen und auf tausend Arten findet. Sie sind berufen, Ihn zu bezeugen, und ihre „Lippen“ werden ebenso gewiss „viele weiden“. Genauso sicher werden die Toren, die nicht an Ihn glauben, obwohl sie mit ihren Ohren hören, aus Mangel an Verstand sterben. Sein Fleisch, das der Sohn des Menschen uns zu essen gibt, und sein Blut, das wir trinken, ist die kostbarste Gnade auf seiner Seite und die notwendigste Wahrheit auf unserer; aber daraufhin gingen viele seiner Jünger zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm. Wie wahr und traurig ist es zu sagen, dass Narren aus Mangel an Verstand sterben! Es ist das verkehrte Herz, unempfindlich sowohl für seine eigene Sündhaftigkeit als auch für die Güte Gottes, der in Christus in alle Tiefen hinabstieg, um die Verlorenen um jeden Preis zu retten.