Behandelter Abschnitt Spr 1,7-9
Das Buch beginnt mit dem Grundprinzip der Gottesfurcht, aber dies in der besonderen Beziehung, die zu seinem Volk Israel besteht. Es ist also „die Furcht des Herrn“. Denn so wie Er sich ihnen zu erkennen gab, so waren sie berufen, diesen Namen als ihr besonderes Vorrecht zu schätzen. Der Herr war Gott in Israel, obwohl Er allein der wahre Gott und der Herr der ganzen Erde war. So wie der Herr Gott war, der durch die Propheten sprach und Wunder nach seinem Wort tat, so rief das Volk in einer großen Krise mit dem Heidentum: „Der Herr, er ist Gott! Der Herr, er ist Gott“ (1Kön 18,39). Der Gebrauch des abstrakten Begriffs und des Beziehungsnamens hat nicht das Geringste mit eingebildeten Legenden oder verschiedenen Schriftstellern zu tun; er ist höchst lehrreich für die doppelte Wahrheit, die dargelegt wird.
Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis; die Narren verachten Weisheit und Unterweisung. Höre, mein Sohn, die Unterweisung deines Vaters, und verlass nicht die Belehrung deiner Mutter! Denn sie werden ein anmutiger Kranz für dein Haupt und ein Geschmeide für deinen Hals sein (1,7–9).
In Psalm 111,10 wird die Furcht des Herrn als der Anfang der Weisheit erklärt, wie hier der Erkenntnis. Beides ist gleichermaßen wahr und jedes an seinem Platz wichtig, obwohl die Weisheit die höhere der beiden ist, da sie auf der Erfahrung des göttlichen Wortes und der göttlichen Wege aufbaut, was „Wissen“ nicht unbedingt voraussetzt.
Derjenige, der für die Belehrung des Lesers schrieb, war in beidem überragend, obwohl in seinem Fall eine außerordentliche göttliche Gunst in der Mitteilung und der kühnste Eifer in der Verbesserung der Möglichkeiten ohne Parallele vorhanden war. In diesem allgemeinen Teil des Buches wird „Weisheit“ eingeführt: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, und die Erkenntnis des Heiligen ist Einsicht“ (Spr 9,10). Das gibt der moralischen Seite in beiden ihren gerechten Vorrang; und so ist es auch in Hiob 28,28, wo dieses Kapitel, das durchweg von großem Interesse ist, mit den Worten schließt: „Und zum Menschen sprach er: Siehe, die Furcht des Herrn [Adonai, nicht Jahwe], ist Weisheit, und vom Bösen weichen ist Verstand.“ Er wird als der souveräne Herr gefürchtet, der das Böse nicht im Geringsten duldet.
Aber sogar dort, wo nach äußerer Erkenntnis gestrebt wird, welch ein Schutz liegt in der Gottesfurcht! Sicherlich würde man sich an den Schöpfer erinnern, nicht nur in den Tagen der Jugend, sondern auch in denen des Alters. Wer, der die geringste wirkliche Kenntnis von Gott hat, könnte das Geschöpf mit dem verwechseln, der sie geschaffen hat? Für ihn verkündet der Himmel die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung zeigt das Werk seiner Hände. Wenn er das Licht sah, wenn es schien, oder den Mond, der in der Helligkeit wandelt, so war es nur, um den Gott, der droben ist, zu besitzen und anzubeten, es sei denn, ein getäuschtes Herz hätte ihn abgewandt, dass er seine Seele nicht erlösen konnte, noch sagen: Ist nicht eine Lüge in meiner rechten Hand? Wie, mit Ihm vor Augen, die Schöpfung verleugnen für eine ewige Materie unter dem Schicksal oder Zufall? für einen desolaten Pantheismus, wo alle Menschen und Dinge Gott sind, und keiner wirklich Gott ist, wo es weder Sünde noch ihr Gericht gibt, noch Gnade und Wahrheit mit ihrer Glückseligkeit in Christus für den Glauben zum ewigen Leben? Wo alles, was unseren Sinnen erscheint, Maya (Illusion) ist und der teuflische Ersatz, aber der wirkliche Tod der Hoffnung, Nirwana (Auslöschung) ist? Wie wahr ist es: „Die Narren verachten Weisheit und Unterweisung“ (V. 7)!
Was waren wiederum seine letzten Worte an seine Richter,1 derer sich die Westler rühmen? „Es ist jetzt Zeit zu gehen – für mich zu sterben, für euch zu leben; aber wer von uns in einen besseren Zustand geht, weiß niemand außer Gott.“ Welch ein Gegensatz zum Apostel! „Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn“ (Phil 1,21). Gewissheit auf göttliche Gewähr, und der tiefste Genuss überall und immer, dessen Anfang die Gottesfurcht in Christus ist, die Kraft Gottes und die Weisheit Gottes.
1 Ich setze Sokrates zu seinem Besten, ohne auf seine letzten Worte an seine Freunde einzugehen: „Crito, wir schulden dem Asklepius einen Hahn; bezahle ihn also und vernachlässige ihn nicht.“ Und dies war das Ende des besten, weisesten und gerechtesten aller Männer, die Platon kannte.↩︎