Behandelter Abschnitt Ps 1
Die Psalmen sind in fünf Bücher oder Bände eingeteilt, und zwar nicht nur durch äußere Merkmale, sondern auch durch innere Unterscheidungen, die sehr aufschlussreich sind. Das erste schließt mit Psalm 41, wo ein Schluss offensichtlich ist; das zweite mit Psalm 72, wobei die letzten drei Verse den Abschluss markieren; das dritte mit Psalm 89, der Vers 52 endet; das vierte mit Psalm 106, wobei Vers 48 den Schluss bildet; das fünfte bis zum Ende von allem (Ps 107-150). Die inneren Merkmale, die diese fünf Bücher unterscheiden, werden im weiteren Verlauf deutlich werden.
Es gibt keinen Teil der Schrift, der offensichtlicher von Gott inspiriert ist, keinen, der häufiger vom Heiligen Geist im ganzen Neuen Testament zitiert wird, keinen, der für den Gläubigen wichtiger ist, um ihn durch die göttliche Unterweisung zu verstehen, damit er sich einerseits an der Wahrheit erfreuen kann, die für die Zuneigung notwendig, fruchtbar und stärkend ist, und andererseits, um sich von falschen Anwendungen fernzuhalten, die jeden rechten Sinn für unsere eigentliche Beziehung als Christen verdunkeln und sogar zerstören könnten. Die letztere Gefahr ist keine bloße Befürchtung; in der Tat hat sie seit dem zweiten Jahrhundert, wenn nicht sogar seit dem ersten, verheerendes Unheil angerichtet; sie ist in unseren Tagen nicht weniger weit verbreitet und unter den Protestanten fast ebenso weit verbreitet wie unter den Katholiken und anderen, die sich als Vertreter der alten katholischen Kirche bekennen. In kaum einer Frage ist sich die Christenheit so einig wie in der Annahme, dass die Psalmen die passendste Hilfe für den christlichen Trost und Hingabe darstellen und der beste, weil göttlich gewollte, Ausdruck des kirchlichen Gottesdienstes sind. Ein schlichtes böses Ergebnis dessen, was man fälschlicherweise Vergeistigung nennt, ist die Handhabung, die sie dem Judaismus oder Aberglauben gibt. Wenn Juda und Israel, wenn Zion und Jerusalem auf die Versammlung hinweisen, schließen die Menschen logischerweise daraus, dass die gerechte Vernichtung der Feinde, der Bösen und so weiter, das Amt der unchristlichen und unheiligen Inquisition und die Bestrafung der Ketzer bis hin zum Tod rechtfertigt.
Doch darf man mit Fug und Recht annehmen, dass kein Gläubiger sie
jemals privat und öffentlich so gebraucht hat, ohne sich mit unlösbaren
Schwierigkeiten gegenübergestellt zu sehen, denen zu entgehen er sich
ständig dem Übel der „Anpassung“ und Verdrehung des Wortes Gottes
aussetzt (vgl.
Es liegt mir fern zu sagen, dass die Psalmen nicht richtig sind. Es war das, was die Gläubigen in Israel von alters her kennzeichnete; es wird wieder so sein in ihrer Mitte, wenn die frühere Herrschaft noch herrlicher sein wird am Tag des Herrn, das Reich für die Tochter Jerusalems. Wir aber, die wir inzwischen aus Juden und Heiden herausgerufen sind und den einen Leib Christi bilden, haben das Vorrecht und die Pflicht, seine Gnade zu zeigen, der für uns gelitten und uns ein Beispiel hinterlassen hat, damit wir seinen Schritten folgen. Wir sind nicht Juden, auch wenn viele von uns es einst waren, sondern Glieder seines Leibes, der von der Welt verworfen und zur Rechten Gottes erhöht ist und der das Evangelium zu seinen Feinden sendet, alle Zeit unserer Berufung. Die Gemeinschaft mit Ihm ist also das Christentum; und daher machen und singen die Versammlung und der Christ als Gegenstände und Kanäle der Gnade und angetrieben durch den auf uns ruhenden Geist der Herrlichkeit und Gottes ihre eigenen geeigneten Psalmen, Lobliedern und geistlichen Lieder (1Kor 14,15; Eph 5,19; Kol 3,16). Denn es ist nachweisbar, dass damit christliche Kompositionen gemeint sind und keineswegs die Psalmen Davids.
Ist damit gemeint, dass die Psalmen für den Gläubigen nicht äußerst wertvoll sind? Wenn sie göttlich inspiriert sind, was sie in der Tat sind, wie könnte es anders sein? Kein Teil der Bibel erinnert mehr an den Messias; und auch hier geht es nicht so sehr um Fakten und Lehren, sondern um seine und Israels Erfahrungen in allen Lebenslagen, um seine innersten Empfindungen nicht nur für sein Volk, sondern für und gegenüber Gott selbst. Die Psalmen schildern nicht selten sein Eintreten in irdische Leiden, die denen seiner eigenen gleichen, abgesehen von denen, in denen niemand anderes zu finden ist als Er selbst, der für unsere Sünden leidet; und in beiden seine absolut vollkommenen Zuneigungen und Ausdrücke, nicht bloß die von Mose, David, Asaph oder irgendeinem anderen. Das ist eine unschätzbare Wohltat für uns, die wir, abgesehen von dem, was jeden persönlich betrifft, unseren irdischen Weg der Prüfung und der Not haben und sein Mitgefühl auf diese innige Weise kennen, wie es Israel eines Tages tun wird. Aber sie ist geprägt und bestimmt durch die durchgängig zugrundegelegte Beziehung zum Juden und erhebt sich keineswegs zur Entfaltung dessen, was eindeutig himmlisch ist, wie in den Evangelien und im Neuen Testament im Allgemeinen.
Daher bemüht sich P. Horne vergeblich, und zwar sowohl zu seinem eigenen Schaden als auch zum Schaden aller, die von solchen Gedanken beeinflusst werden, den Geist der Verwünschung von Rache in vielen Psalmen abzuschwächen. Er sagt, dass „das Ärgernis“ darüber sofort aufhört, wenn wir den Imperativ in das Futur umwandeln und nicht „sie sollen verflucht werden“ und so weiter lesen, sondern „sie werden verflucht werden“ und so weiter, wozu das Hebräische ebenso fähig ist. In dieser ungerechtfertigten Kühnheit folgt er Dr. Hammond, wie letzterer zweifellos von anderen geführt wurde. Auch die Kirchenväter sind nicht schlechter als die Presbyterianer oder die Kongregationalisten. Er ist gezwungen, zuzugeben, dass das Neue Testament die Befehlsform beibehält, anstatt sie in das Futur zu ändern. Dies versucht er zu begründen und damit den Eindruck wegzuerklären, dass es sich nur um eine feierliche Bestätigung des gerechten Gerichts Gottes handelt. Aber die Kritik ist so schlecht wie die Lehre; und die Ausdrucksweise steht zweifellos im Hebräischen wie im Englischen und in allen anderen Sprachen. Es ist der Unterschied im göttlichen Handeln, der alles klärt, ohne dem Text Gewalt anzutun. Wenn Gott Feinde richtet, wie in alten Zeiten und bald wieder, dann hat sein Volk in gewissem Maß Anteil daran. Heute zeigt Er souveräne Gnade, und ein anderer Geist des Handelns zeigt ihnen, wie es das das Neue Testament in Bezug auf den Christen und die Versammlung schlüssig beweist. Für all das sind die Psalmen ein göttlich reicher Schatz für den Gläubigen. Der Geist Christi spricht immer darin, auch wenn es nicht Christus persönlich ist, außer in solchen wie Psalm 2; 8; 16; 18; 22; 40 und so weiter.
Psalm 1
Das Buch beginnt mit dem schönen Bild des in Abhängigkeit und Gehorsam gesegneten Menschen. Sein Charakter ist so ausgeprägt wie seine Glückseligkeit. Er ist nicht im Rat der Bösen gewandelt, noch stand er auf dem Weg der Sünder, noch saß er auf dem Sitz der Spötter (V. 1). Mit dem Bösen in irgendeiner Form hatte er keine Gemeinschaft. Aber, positiv (V. 2), das Gesetz des Herrn ist seine Freude, und darüber denkt er Tag und Nacht nach. Das ist keineswegs unvereinbar mit Galater 3,10. Denn nicht „aus Gesetzeswerken“ war der Grundsatz seiner Stellung vor Gott: Alle solche sind und waren sie „verflucht.“ Diese haben nie Buße getan und nie geglaubt. Diejenigen, die gläubig sind, werden mit dem gläubigen Abraham gesegnet, denn sie sind wirklich seine Söhne. Weder im Alten noch im Neuen Testament ist ein Mensch kraft des Gesetzes bei Gott gerechtfertigt; wie die Propheten nur weniger deutlich beweisen als die Apostel. Keiner außer denen, die im Glauben auf den Messias schauten, wandelte untadelig in Gottes Vorschriften. Noch offensichtlicher ist es so bei den Christen. „Das Gesetz“ bedeutet hier, wie gewöhnlich in den Psalmen und anderswo, das damals offenbarte Wort Gottes. Dies ist immer die Freude des Gläubigen, wie auch seine Richtschnur: Nur die, die von der Lehre abweichen, vernachlässigen es.
Daher sehen wir in Vers 3 das Thema in der gerechten Regierung Gottes; und darauf weist das Buch als die Regel hin. Es gibt Leben, Fruchtbarkeit zur rechten Zeit, bleibende Schönheit und unfehlbaren Wohlstand. Dies wird sich erst im Königreich offenbaren; jetzt kann es nur in moralischer Hinsicht wahr sein.
Der Gegensatz erscheint in der zweiten Strophe dieser Verse. Die Gesetzlosen sind wertlos und verschwinden unter Druck. Das Neue Testament fügt das göttliche Gericht als Verbrennung durch unauslöschliches Feuer hinzu. Wenn das Gericht kommt (und das Buch der Psalmen als Ganzes betrachtet es), wird der gegenwärtige gemischte Zustand einer offensichtlichen Trennung und einer Vollstreckung von Gottes Gericht auf der Erde vor der endgültigen für die Ewigkeit Platz machen. Dies ist kein Geheimnis für den Glauben, der vor jenem Tag in seine Gedanken und seinen Willen eintritt. „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gottlosen wird vergehen“ (V. 6).
Offensichtlich beschreibt der Psalm also eher im Geist denn als Tatsache den gerechten Israeliten, verglichen mit der bösen Masse. Es ist also der Geist Christi in dem gerechten Überrest, nicht Christus persönlich, obwohl Er der einzige absolut Gerechte war. Damit ist schon im Ansatzpunkt die liebgewonnene und eingefleischte Täuschung des Volkes widerlegt, dass jeder Jude einen guten und wahren Rechtsanspruch vor Gott habe. Im Gegenteil, nicht alle sind Israel, die aus Israel sind (Röm 9,6). „Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch ist die äußerliche Beschneidung im Fleisch Beschneidung; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben; dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist“ (Röm 2,28).