Behandelter Abschnitt Hiob 29
Dies ist der Anfang des letzten Streitgesprächs Hiob. Die Freunde waren ganz zum Schweigen gebracht; er bringt nun seine letzte Widerlegung vor; und in der Tat ist es mehr ein Appell als ein Argument, denn er erhebt sich über alles, was sie vorgebracht und angedeutet hatten.
Hier gibt er uns in den Kapiteln 29–31 eine sehr interessante Beschreibung seiner Gefühle. Das erste dieser Kapitel gibt einen Rückblick auf seine frühen Tage des Wohlstands, und wir können die große Selbstzufriedenheit sehen, die er in allem hatte, was die Gnade in ihm bewirkt hatte. Aber, ach, da war noch etwas, was nicht hätte sein sollen! Er hatte Freude an seinem guten Charakter. Er war deshalb im Geiste zu sehr ein Pharisäer. „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Menschen.“ Es war nicht anders, als dass es große Gnade in Hiob gab und dass ein einen sehr bewundernswerten Charakter behalten hatte; aber warum sollte er darüber reden? Warum sollte er darüber nachdenken? Warum sollte er nicht an die Quelle alles Segens denken? Warum sollte er sich nicht des Herrn rühmen – anstatt sich stillschweigend seiner selbst zu rühmen? Das war genau einer der Punkte, wo Gott eine Kontroverse mit ihm hatte. Und wir sehen, dass Hiob bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf den Grund dessen gekommen war, was Gott sah. Satan war völlig verschwunden. In Bezug auf die Kinder Gottes ist er völlig und für immer besiegt. Er mag den Anschein erwecken, eine Schlacht zu gewinnen, aber der Feldzug endet immer gegen ihn. Das ist im Fall Hiobs sehr ausgeprägt.
Aber das zweite dieser drei Kapitel (30) befasst sich mit seinem Niedergang; das ist das große Thema, das darin behandelt wird. Er beklagt seinen furchtbaren Zustand; und bis heute konnte er sich den Ausdruck nicht verkneifen, dass er dachte, Gott gehe schlecht mit ihm um; Er handle willkürlich. Er konnte seine Wege nicht im Geringsten verstehen; noch nahm er das Motiv auf, das Gott hatte – die gnädige Absicht. Kurzum, er hatte das Ziel des Herrn nicht erreicht, weil er mit sich selbst nicht fertig geworden war. Das ist das eigentliche Geheimnis dieser Sache.
Und das nächste Kapitel (31) – das letzte seines Appells – ist ein höchst leidenschaftliches Sich-selbst-vor-Gott-stellen und das Beklagen von Urteilen über sich selbst. Er hatte ein feines Gewissen, dass alle verschiedenen Fallstricke eines Menschen, und besonders eines Mannes von Stellung und Reichtum wie Hiob sie hatte, ihm nicht anhaben konnten; denn das vergrößert immer die Gefahr, und lässt die Schwierigkeit immer größer werden. Es gibt keinen größeren Irrtum, als anzunehmen, dass Armut die schlechteste Voraussetzung sei, um Gott zu dienen. Im Gegenteil, wenn Menschen nicht mehr arm sind und nicht mehr das Bedürfnis haben, ständig von Gott abhängig zu sein – wenn sie anfangen, unabhängig zu sein – geht es ihnen nicht gut. Denn die Welt schämt sich nicht, das so zu nennen. Es tut mir leid zu sagen, dass Christen sogar in die Sprache und den Geist der Welt fallen. Hiob ruft ernste Urteile über sich selbst herbei – er schaut sich die verschiedenen Fallstricke an – ob er in diesem oder jenem oder dem anderen schuldig geworden ist und so weiter – und das Ergebnis von alledem ist: „Die Worte Hiobs sind zu Ende“ (Kap. 31,40).
Wir hören jetzt nichts mehr von Hiob in Bezug auf die Selbstverteidigung. Wir werden einen sehr interessanten neuen Sprecher finden, zu dem ich heute Abend in Kapitel 32 ein paar Worte sagen darf.
Aber jetzt sagt Hiob erst einmal: „O dass ich wäre wie in den Monaten der Vorzeit, wie in den Tagen, als Gott mich bewahrte“ (V. 2). Nun ist es immer ein schlechtes Zeichen, wenn Menschen zurückblicken und in der Vergangenheit schwelgen. Sollen Menschen nicht wachsen? Sollen Kinder Gottes nur mit der unermesslichen Gunst Gottes beschäftigt sein? Zweifellos ist es sehr wahr, dass man dem Satan aus den Zähnen gerissen wird; aber was ist das im Vergleich mit der positiven Erkenntnis Gottes? Es ist eine große Sache für uns; aber ist die Erkenntnis Gottes nicht unendlich viel größer als das bloße Wirken der göttlichen Gnade bei der Errettung eines armen, elenden Sünders? Es ist eine bewundernswerte Sache für den Sünder, es immer zu spüren; aber es ist eine traurige Sache, wenn er darauf als das Hellste aller Dinge zurückblickt. Das bedeutet doch, dass er überhaupt keine Fortschritte gemacht hat; es bedeutet, dass er all die Jahre danach auf dieses vergangene Wirken Gottes zurückblickt. Sicherlich sollte das Leben aus Gott ein wachsender Genuss sein; und zwar umso mehr, je mehr man von Christus und von Gott weiß – ich spreche jetzt natürlich zu Christen.
Aber selbst für Hiob ließ Gott sich nie ohne Zeugnis – und Gott begegnete immer denen, die wirklich mit Ihm wandelten. Wer kann daran zweifeln, dass Henoch mit Gott wandelte, und glaubst du, dass Henoch auf den ersten Blick zurückblickte, den er von Gott hatte, und sagen würde, dass er Gott dadurch kannte? Nein, weit gefehlt, und Schande über alle Menschen, die eine solche Sprache sprechen. Ich leugne nicht, dass es die Sprache mancher Christen ist, aber das ist das Traurigste jetzt – dass Christen vergessen, was es heißt, ein Christ zu sein. Sie denken nur an den Moment, ein Christ zu werden, und sie scheinen zu denken, dass das die große Sache ist. Zweifellos überschreiten sie die Grenze, aber sie gehen sicher nicht in die Helligkeit darüber hinaus. Wo ist das Fest; wo ist die Freude des Vaters; wo ist das beste Gewand und all die anderen Begleiterscheinungen (Lk 15)? Ist das nichts? Nun, das war danach. Und das ist es, was uns in einem Bild den positiven Ort des Segens präsentiert. Die „Gnade, in der wir stehen“ (Röm 5,2) – nicht bloß die Gnade, die uns gerettet hat, sondern die Gnade, in der wir stehen. Es ist ein fortwährender Ort der Gnade, den wir mehr und mehr genießen können, je mehr wir von Gott lernen und uns selbst beurteilen. Aber genau hier hat Hiob versagt. Hiob bewunderte sich selbst. Und so blickt er zurück. „O dass ich wäre wie in den Monaten.“ Gott wollte es viel besser machen. Es ist wahr, dass Hiob durch eine sehr harte Prüfung ging, aber das war alles zu seinem Besten (Röm 8,28); und mehr als das, es war zu deinem Besten und zu meinem Besten und zum Besten jedes Gläubigen, der jemals von diesem Buch profitiert hat, seit Gott es aufgeschrieben hat. Es war zum Segen für alle gedacht. Es war nicht dazu gedacht, dass vielleicht ein anderer Mensch das Gleiche durchmachen sollte. Gott hat seine Verwaltung des Guten; Gott hat seinen Vorrat an Gnade; Gott hatte Gefallen daran, dass einer einen sehr breiten Rücken haben sollte, um die Prüfung zu ertragen. Wir haben von der Geduld Hiobs gehört; aber gerade daran ist er zerbrochen, so dass er zuletzt sogar im Blick auf Gott ungeduldig wurde. Und der Grund dafür war, dass er noch kein völlig zerbrochener Mann war – er war sich selbst überlassen, damit er mehr über sich selbst kennenlernte.
Oh, wie selten findet man heute noch ein Kind Gottes, das so ist, wie jeder Gläubige Gottes sein sollte; aber sogar unter Christenmenschen ist das eine seltene Sache. „wie in den Tagen, als Gott mich bewahrte, als seine Leuchte über meinem Haupt schien und ich bei seinem Licht durch die Finsternis wandelte; wie ich war in den Tagen meiner Reife“ (V. 2b‒4a). Das ist ja seltsam – „meiner Reife“. Kein Weiterkommen mit Gott in seiner Reife oder in seinem hohen Alter! Worum ging es Hiob? „als der Allmächtige noch mit mir war, meine Knaben rings um mich her“ (V. 5). War Er damals nicht bei ihm? Das ist es, was er nicht sah und nicht wusste. „Wen er liebt, den züchtigt er“ (Heb 12); und das ist eine der großen Lehren aus dem Buch Hiob. Ich gebe zu, es war eine schreckliche Züchtigung. Und da haben sich die Freunde geirrt; es war so schrecklich, dass sie dachten, es sei eine Vergeltung, und dass es unmöglich sei, dass ein Mensch so extrem leide, wenn er nicht extrem böse gewesen war. Und was es noch schlimmer machte, war, dass er so gut aussah, und deshalb dachten sie, er müsse ein Heuchler sein. Da lagen sie völlig falsch; und die Folge war, dass sie tiefer hinabsteigen mussten als Hiob, und dass Hiob für sie beten musste, damit sie verschont blieben (Kap. 42). Und das tat er. Aber ich nehme vorweg, was wir an einem anderen Tag haben werden.
„Als meine Schritte sich in Milch badeten“ – das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen – „und der Fels neben mir Ölbäche ergoss“ (V. 6). Du siehst, dass es Erdöl bereits damals in dieser Welt gab! „Als ich durchs Tor in die Stadt hineinging, meinen Sitz auf dem Platz aufstellte: Die Jünglinge sahen mich und verbargen sich, und die Greise erhoben sich, blieben stehen“ (V. 7.8). All das war für Hiob äußerst angenehm. Und wir sind auch geneigt, so zu denken – es gibt nichts, sagen die Menschen, was so erfolgreich ist wie der Erfolg, und es gibt keinen böseren Grundsatz oder einen, der Gott mehr widerspricht; nichts, was gründlicher leugnet, dass wir jetzt an der Stelle sind, wo wir leiden und um Christi willen verachtet und verworfen werden. Aber das ist ein weltlicher Grundsatz, und das ist genau das, woran die Welt ihre Freude hat. Die Menschen werden dich loben, wenn du es dir gut gehen lassen, das heißt, wenn du erfolgreich bist – ein Vermögen machst und schöne Feste feierst und so weiter. „die Fürsten hielten die Worte zurück und legten die Hand auf ihren Mund“ (V. 9).
Nun war eine der schönen Eigenschaften Hiobs, dass er nicht vorgab, edel zu sein, und er versuchte nicht, ein Fürst zu sein. Er war wie ein König mit einem vornehmen Charakter – wie ein König sein sollte –, er war wirklich edel in seiner Art; und all das wäre bewundernswert gewesen, wenn er nicht geredet oder so gut von sich gedacht hätte; denn das ist der wichtige Punkt. „Lass deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut“ (Mt 6,3). Es bedeutet nicht, dass andere Menschen es nicht wissen, sondern das Unrecht ist, dass unsere linke Hand nicht wissen soll, was unsere Rechte tut, das heißt wir sollen nicht darüber nachdenken. Man tut es Gott zuliebe; und es ist nur eine kleine Gegenleistung für das wunderbare Kapital – für das geistige Kapital, das der Herr uns zur Verwaltung gegeben hat.
Hier sehen wir, dass es nicht so war. Hiob war hoch erfreut und hatte große Freude daran, dass die Welt so viel von ihm dachte. „Denn wenn das Ohr von mir hörte, so pries es mich glücklich“ (V. 11a) – jetzt schaut er auf das, was man die Gegenstände seiner Güte und Liebe nennen kann. Denn beides, Freundlichkeit und Liebe, war bei Hiob vorhanden. „... und wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab“ (V. 11b). Er bezog sich auf die Menschen, denen er aus ihrer mannigfaltigen Bedrängnis herausgeholfen hatte. „Denn ich befreite den Elenden, der um Hilfe rief, und die Waise, die keinen Helfer hatte“ (V. 12). Und das war wirklich so. Gott hatte Gefallen an Hiob, das war in Ordnung; und er fand schließlich, dass Gott Gefallen an ihm hatte, aber das fand er erst nach der Prüfung. Die Huldigung, die ihm zuteilwurde, und die Wahrnehmung seiner übergroßen Güte gaben ihm Auftrieb und hoben ihn über die gewöhnlichen Beschäftigungen der Menschen hinaus. All das hob ihn empor. Nun, das ist eine sehr natürliche Sache; aber es ist nicht geistlich; und es ist genau das, was Gott in ihm streng niederschlug; viel mehr als in einem sehr minderwertigen Menschen. Die größten Prüfungen, die Gott auferlegt, treffen die Stärksten, die, die sie ertragen können. Die, die am meisten von seinen Wegen wissen – sie werden davon betroffen. Und das war der Fall bei Hiob.
„Der Segen des Umkommenden kam über mich, und das Herz der Witwe machte ich jubeln. Ich kleidete mich in Gerechtigkeit – und sie bekleidete mich“ (V. 13-.14a) – das war sehr wahr, und er sah auch seine Kleidung an; – „und in mein Recht wie in ein Oberkleid und einen Kopfbund“ (V. 14b). Ja, Hiob war sehr zufrieden. „Auge war ich dem Blinden und Fuß dem Lahmen; Vater war ich den Armen, und die Rechtssache dessen, den ich nicht kannte, untersuchte ich; und ich zerbrach das Gebiss des Ungerechten, und seinen Zähnen entriss ich die Beute. Und ich sprach: In meinem Nest werde ich verscheiden“ (V. 15‒18a). Nein, nein; Gott wollte sein schönes Nest, das so warm und gemütlich war, stören ‒ „und meine Tage vermehren wie der Sand“ (V. 18b). Nun, er hatte sich sehr gewünscht, dass Gott seine Tage verkürzen würde; denn das war der einzige Weg, den er aus all der Not sah, die er durchlebte. „Meine Wurzel wird ausgebreitet sein am Wasser, und der Tau wird übernachten auf meinen Zweigen. Meine Ehre wird frisch bei mir bleiben und mein Bogen sich in meiner Hand verjüngen. Sie hörten mir zu und harrten und horchten schweigend auf meinen Rat. Nach meinem Wort sprachen sie nicht noch einmal, und auf sie träufelte meine Rede. Und sie harrten auf mich wie auf den Regen und sperrten ihren Mund auf wie für den Spätregen. Ich lächelte ihnen zu, wenn sie kein Vertrauen hatten“ – es ist zu schön, um wahr zu sein –, „und das Licht meines Angesichts konnten sie nicht trüben. Ich wählte für sie den Weg aus und saß als Haupt und thronte wie ein König unter der Kriegsschar, wie einer, der Trauernde tröstet“ (V. 19‒25).
Man darf sich nicht wundern, dass die Juden die ersten Rationalisten waren; sie waren die höheren Kritiker einer früheren Zeit. Sie haben – die philosophischen Juden – nicht geglaubt, dass es eine wahre Geschichte ist. Wie weit es in die Synagoge allgemein eingedrungen ist, können wir nicht sagen. Ich vermute, dass es einfältige Männer gab, die jedes Wort davon vollständig glaubten. Aber einer der großen Gründe, warum die Juden diese Geschichte nicht akzeptierten, war, dass Hiob kein Jude war. „Oh! Das kann nicht sein; das sind doch alles Hunde. Jeder außer einem Juden ist ein Hund.“ Und der Gedanke, dass Gott es nicht von Abraham gesagt hat, dass er von solcher Rechtschaffenheit war, dass es auf der ganzen Erde niemanden wie ihn gab – auch nicht von Isaak, auch nicht von Jakob! Nein, das konnten sie nicht glauben. Sie wussten, dass es von einem Patriarchen jener Tage war, und deshalb waren sie absolut gegen die Möglichkeit einer solchen Sache, dass Gott jemand rühmt, der nicht von dem auserwählten Geschlecht war, einer von der Familie und der Nation, die die Verheißung hatte.
Was ist es, das Menschen zu höheren Kritikern macht? Es ist, dass sie ihre eigenen Gedanken dem Wort Gottes vorziehen. Das ist es, was es bedeutet, ein Ungläubiger zu sein; und wenn es gründlich durchgeführt wird, bist du ein Ungläubiger; du bist ein verlorener Mensch. Ich nehme an, dass diese Juden voll und ganz an den anderen Büchern der Bibel festhielten. Das ist zu vermuten. Vielleicht haben sie einige andere nicht gemocht. Ich kann verstehen, dass sie die Prophezeiung Jonas, die einer heidnischen Stadt gegeben wurde, ebenso wenig mochten wie den dorthin gesandten Propheten Jona. Er tat alles, um sich von ihr abzuwenden; und als Gott ihm sagte, er solle nach Osten gehen, ging er nach Westen. Als man ihm sagte, er solle nach Ninive gehen, nahm er in Joppe ein Schiff, um nach Westen zu fahren – genau in die entgegengesetzte Richtung.