Behandelter Abschnitt Hiob 21
Hiob antwortet nun: „Hört, hört meine Rede“ (V. 2). Es war eine große Erleichterung für den geprüften Mann, dass er seine Rede halten konnte. Er hatte es völlig versäumt, ihre Sympathie zu gewinnen, aber dennoch zog Hiob es vor, offen zu sprechen, und hatte keine Schwierigkeiten, auf alles einzugehen, was sie zu sagen hatten. „... und dies ersetze eure Tröstungen. Ertragt mich, und ich will reden, und nachdem ich geredet habe, magst du spotten“ (V. 2.3). Es war streng, aber doch nicht mehr, als sie verdienten. „Richtet sich meine Klage an einen Menschen?“ (V. 4). Mitten in all dem hat er das tiefe Gefühl, es mit Gott zu tun zu haben, und das ist wahre Frömmigkeit. „Oder warum sollte ich nicht ungeduldig sein?“ (V. 4), das heißt, ich verstehe es nicht; das ist es, was es so schrecklich macht. „Wendet euch zu mir und entsetzt euch, und legt die Hand auf den Mund! Ja, wenn ich daran denke, so bin ich bestürzt, und Schauder erfasst mein Fleisch“ (V. 5.6). Und was war es, das ihn so ängstlich machte? Nun, auch er sah genau das Gegenteil von dem, was Zophar nur sah.
Zophar beschränkte sich einfach auf die besonderen Fälle, in denen Gott mit einigen besonders bösen Menschen gerichtlich verfuhr. Und solche Fälle gibt es hin und wieder. Ein Mann ruft Gottes Namen vergeblich an und schwört eine regelrechte Unwahrheit – vielleicht Diebstahl oder ein anderes Vergehen – und gelegentlich fällt ein Mann danach tot um. Nun, das ist eine sehr ungewöhnliche Sache. Andere Leute schwören es und behalten ihr Geld und versuchen, ihren Charakter zu bewahren, aber die ganze Zeit über häufen sie Zorn an für den Tag des Zorns. Was ließ nun Hiob so zittern, als er sah, dass das Böse gedieh? Wie er hier sagt: „Warum leben die Gottlosen?“ (V. 7). Er sagt gleichsam: Ich kann es so weit verstehen; ich kann vollkommen verstehen, dass Gott die Bösen niederwirft – es ist nur das, was sie verdienen; aber es entspricht nicht den Tatsachen, denn die große Masse von ihnen scheint in ihrer Bosheit für die Zeit zu gedeihen. „Warum leben die Gottlosen, werden alt, nehmen sogar an Macht zu? Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, mit ihnen, und ihre Sprösslinge vor ihren Augen“ (V. 7.8). Es war keineswegs so, dass sie wie ein Traum vergehen (wie Zophar vorgab), sondern es war eher umgekehrt. „Ihre Häuser sind sicher vor Furcht.“ So manches Haus eines gottesfürchtigen Mannes wird von einem Dieb heimgesucht; so manches Haus eines gottesfürchtigen Mannes wird über seinem Kopf niedergebrannt; und hier mögen böse Menschen von schlimmstem Charakter sein, und sie kommen gar nicht in diese Schwierigkeiten!
Aber da ist das schreckliche Ende, das sie erwartet, das Aufwachen wie der reiche Mann: „im Hades hob er seine Augen auf und war in Qualen“ (Lk 16,23). Ach, das war eine feierliche Sache, aber es war der Herr, der uns dieses Bild gab. Niemand konnte deutlich darüber sprechen, bis der Herr kam. Und das ist nicht die Beschreibung dessen, was nach der Auferstehung sein wird. Das ist das, was direkt nach dem Tod geschieht. Und es war kein böser Mann, wie er in den Augen der Juden erschien; es war kein Mann, der ein Trunkenbold oder ein Dieb oder ein Räuber oder irgendetwas Ähnliches. Er war ein hochangesehener Mann. Er war ein Mann, der sich durch Selbstgefälligkeit auszeichnete. Wir hören nicht von irgendeinem Fluchen; wir hören nicht von irgendeinem Spott. Da war er und erkannte Vater Abraham sogar inmitten seiner Qualen an. Der Herr ist es, der das beschreibt. Der reiche Mann ist besorgt um die Seelen seiner fünf Brüder. Das heißt, er war ein Mann, den man für hoch angesehen halten konnte, aber da war kein Glaube, keine Buße, kein Schauen auf Gott, kein Warten auf den Messias. Er war ganz zufrieden damit, all seinen Reichtum zu genießen; und was den armen Lazarus betraf, so mochten die Hunde auf ihn aufpassen, so wie er sich um sie kümmerte.
„Ihre Häuser haben Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute ist nicht über ihnen“ (V. 9). Ach, aber es wird sein. „Sein Stier belegt und befruchtet sicher, seine Kuh kalbt und wirft nicht fehl“ (V. 10). Alles gedeiht prächtig. „Ihre kleinen Kinder schicken sie aus wie eine Herde, und ihre Knaben hüpfen umher“ (V. 11) – alles blühend und lächelnd – „Sie erheben die Stimme bei Tamburin und Laute und sind fröhlich beim Klang der Schalmei“ (V. 12). Es ist ziemlich ernst, das alles in so schlechter Gesellschaft zu finden – eine feierliche Prüfung für die, die aufgegeben sind. „Im Wohlergehen verbringen sie ihre Tage, und in einem Augenblick sinken sie in den Scheol hinab. Und doch sprechen sie zu Gott: Weiche von uns!“ (V. 13.14). Hiobs Worte sind viel feierlicher und wahrer als das, was Zophar gezeichnet hatte. „Und nach der Erkenntnis deiner Wege verlangen wir nicht! Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen sollten, und was nützt es uns, dass wir ihn bittend angehen?“ (V. 14.15). Es ist nicht gemeint, dass sie das zu den Menschen sagen, sondern das ist es, was ihr Verhalten zu Gott sagt.
Deshalb liegt eine große Kraft in dem, was wir lesen: „Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott!“ (Ps 14,1). Vielleicht hat er das nie in seinem Leben ausgesprochen: „Es ist kein Gott“, aber es ist das, was sein Herz sagt. Gott liest die Sprache des Herzens. Und der böse Knecht sagt in seinem Herzen: „Mein Herr bleibt noch aus“ (Mt 24,48). Vielleicht hat er das gepredigt, was die Menschen die „Wiederkunft“ nennen; er mag es gepredigt haben, aber das ist es, was sein Herz sagt. Er wartete gar nicht wirklich auf Christus; er war froh, dass Christus fernblieb. Es gab bei ihm nie ein solches Gebet wie „Komm, Herr Jesus“. Es ist also eine sehr feierliche Sache – die Art und Weise, wie der Herr die Verschlagenen nimmt und das Herz liest; und deshalb ist es überaus wichtig, dass wir uns selbst richten und auf den Herrn schauen, damit wir Christus selbst so gewohnheitsmäßig vor unserer Seele haben, dass wir von seinem Geist erfüllt und von seiner Liebe gelenkt und vom Heiligen Geist geleitet werden, der denen, die auf Christus schauen, die nötige Kraft und Gnade gibt.
„Siehe, ihr Wohlergehen steht nicht in ihrer Hand. Der Rat der Gottlosen sei fern von mir“ (V. 16). Hiob war weiter von diesen Menschen entfernt als seine drei Freunde. Es ist sehr gut möglich, dass diese drei Freunde gern mit Menschen zusammen waren, denen es so gut ging, denn das ist eine sehr häufige Schlinge. Menschen mögen es, in dem zu sein, was sie „gute Gesellschaft“ nennen, und von Leuten respektiert zu werden, die in diesem Leben in Ansehen stehen; aber wo ist Christus in all dem? Unsere Herzen sind dazu berufen, mit dem zu sein, was Christus schätzt, und mit denen, die Christus liebt. Ich sage nicht, dass wir nicht die Liebe des Mitgefühls für die allerschlimmsten Menschen haben sollen – ja sicher. Aber das ist eine ganz andere Art von Liebe. Es ist die Liebe zur Familie Gottes. Das ist höher, als eine unbekehrte Frau zu lieben; höher, als unsere Kinder zu lieben, wenn sie nicht zu Gott gebracht werden. Die Familie Gottes ist uns näher, und zwar für alle Ewigkeit, und wir sind froh, jetzt in diesem Glauben und dieser Liebe zu wandeln. „Wie oft geschieht es, dass die Leuchte der Gottlosen erlischt“ (V. 17a). Da lässt er die andere Seite zu, auf die sie sich alle stürzten; sie sahen nur darauf. „... und ihr Verderben über sie kommt“ (V. 17b). Es gab solche Fälle; er hatte sie gesehen und gekannt, und er bestritt sie keineswegs.
Ihr seht, was Zophar und die anderen vorbringen, war nur eine halbe Wahrheit. Aber eine halbe Wahrheit heiligt nie. Was man weglässt, ist vielleicht von gleicher, vielleicht sogar von noch größerer Bedeutung, und genau das war der Unterschied. Mit all seinen Mängeln hielt Hiob wirklich an der Wahrheit fest, und er betrachtete sie mit einem größeren Herzen und mit einem geübteren Gewissen. Es gibt Menschen, die moralisieren, oder das, was man „predigen“ nennt; aber das kam nicht aus ihrer Seele; es war nur ihre korrekte Rede nach den Gedanken der Menschen. Es war überhaupt nicht die Sprache echten Glaubens. Die von Hiob war es, trotz all ihrer Mängel. „... dass sie wie Stroh werden vor dem Wind und wie Spreu, die der Sturmwind entführt. Gott spart, sagt ihr, sein Unheil auf für seine Kinder . – Er vergelte ihm, dass er es fühle! Seine Augen sollen sein Verderben sehen“ – er lässt zu, dass es in der Familie liegt – „und vom Grimm des Allmächtigen trinke er! Denn was liegt ihm an seinem Haus nach ihm, wenn die Zahl seiner Monate durchschnitten ist?“ (V. 18‒21), das heißt, Egoismus ist die Grundlage all dieser bösen Menschen, die in dieser Welt gedeihen. Und selbst ihre Kinder sind in keiner Weise ein Objekt, das mit der Zahl ihrer eigenen Monate verglichen werden kann. Das ist es, was sie wollen – so lange wie möglich zu leben.
„Kann man Gott Erkenntnis lehren, da er es ja ist, der die Hohen richtet?“ (V. 22). Jetzt wendet er sich an ihn, um ihn zu rechtfertigen. Wir sehen, dass er die beiden Seiten aufgenommen hat. Gerade dieser Mann hatte davon gesprochen, dass die Wahrheit doppelt sei; aber es war alles bloßes Gerede; es wurde überhaupt nicht in die Praxis umgesetzt. Es war ein weiser Spruch; es war nur eine inspirierende Rede, ohne wahren Ausdruck seines Gefühls und Lebens zu sein. Aber Hiob hatte eine Realität an sich. „Dieser stirbt in seiner Vollkraft, ganz wohlgemut und sorglos. Seine Gefäße sind voll Milch, und das Mark seiner Gebeine ist getränkt. Und jener stirbt mit bitterer Seele und hat das Gute nicht genossen. Miteinander liegen sie im Staub, und Gewürm bedeckt sie“ (V. 23‒26). Und die achtlose Welt geht zu ihrer Beerdigung und denkt, dass sie beide in Ordnung sind. Das ist es, was man „Richten mit Nächstenliebe“ nennt – barmherziges Richten! Sie hoffen, dass jeder in den Himmel kommt, es sei denn, er ist zu schlecht – offen böse! Was ist nun das Urteil nach Gott? „... dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind“ (2Kor 5,14). Das ist der Zustand der Menschen; es geht überhaupt nicht um ihren Zustand oder ihr Ende. Er starb für alle – für die ganze Menschheit. Sie sind alle unentschuldbar. Und der Tod Christi versetzt sie in einen schlimmeren Zustand, wenn sie nicht glauben, als wenn Christus nie gekommen und nie gestorben wäre. Er ist für alle gestorben, damit die, die leben – ach! das ist der Unterschied – die, die leben, nicht mehr sich selbst leben sollen. Das ist es, was sie alle taten. Die Toten – die geistig Toten – leben für nichts als für sich selbst. Es mag Ehre sein; es mag sein, dass sie den Beifall der Menschheit und der Welt suchen; aber sie leben für sich selbst, nicht für Ihn.
Aber der Christ, der Gläubige, lebt für den, der für uns gestorben und auferstanden ist. Das wird nicht gesagt, dass das für alle gilt. Die Auferstehung des Herrn ist das Unterpfand, dass Er nach und nach der Richter derer sein wird, die nicht glauben. Die Auferstehung ist für den Gläubigen das zeichenhafte Zeugnis Gottes, dass seine Sünden ausgelöscht sind. Denn derjenige, der für seine Sünden die Verantwortung trug, ist in das Grab hinabgestiegen, und Gott hat Ihn auferweckt, um uns zu zeigen, dass unsere Sünden beseitigt sind. Das gilt für alle, die glauben, und für keinen anderen. Und was gilt für die anderen? Der Auferstandene ist der, der alle richten wird. Das ist es, was der Apostel den Athenern erklärte. Sie waren nicht gläubig, und deshalb spricht er nicht davon, dass irgendjemand gerechtfertigt wird. Er sagte ihnen vielmehr, dass die Auferstehung des Herrn der Beweis und das Unterpfand ist, das Gott gegeben hat, dass Er die ganze bewohnte Welt durch den Menschen richten wird, den Er von den Toten auferweckt hat. Was es so ernst macht, ist, dass es der Mensch war, der Ihn ins Grab gelegt hat; es war der Mensch, der Ihn getötet hat. Es war Gott, der Ihn auferweckt hat. Und dieser auferstandene Mensch wird alle richten, die lebend gefunden werden – die ganze bewohnte Welt. Es ist hier nicht das Gericht vor dem großen weißen Thron (Off 20,11‒15). Es ist der Herr, der die bewohnte Welt richtet, wenn Er in den Wolken des Himmels wiederkommt. Er spricht hier nicht von der Entrückung aller, die Christus angehören, sondern von seinem Kommen im Gericht über alle, die Christus nicht angehören.
„Siehe, ich kenne eure Gedanken und die Anschläge, womit ihr mir Gewalt antut“ (V. 27). Hier sehen wir, dass Hiob nun auf ihren Fehler zurückkommt, durch diese Enge ihrer Sichtweise und die Unangemessenheit, den Menschen zu erlauben, Böses zu vermuten, ohne den geringsten Anlass dafür zu haben. Nein, wir sind aufgerufen, das zu leben, was wir wissen; wir sind aufgerufen, zu sprechen, wenn wir es wissen; aber wo wir es nicht wissen, schauen wir zu Gott auf. „Denn ihr sagt: Wo ist das Haus des Edlen und wo das Wohnzelt der Gottlosen? Habt ihr nicht die befragt, die des Weges vorüberziehen? Und erkennt ihr ihre Merkmale nicht: dass der Böse verschont wird am Tag des Verderbens?“ (V. 28‒30a). Das ist der Grund, warum sie jetzt blühen. Er hat die große Wahrheit moralisch auf eine sehr bewundernswerte Weise festgehalten: „... dass sie am Tag der Zornesfluten weggeleitet werden“ (V. 30b). Von „jetzt“ kann keine Rede sein! Diese Freunde sahen alle die Gegenwart als den ausreichenden Beweis dafür an, was Gott über die Menschen dachte – dass, wenn er denkt, dass wir alle gut wandeln, wir blühen, und wenn wir in Schwierigkeiten kommen, dann deshalb, weil wir schlechte Menschen sind. Das war ihre Theorie, eine völlig falsche und verdorbene Theorie. „Wer wird ihm ins Angesicht seinen Weg kundtun? Und hat er gehandelt, wer wird es ihm vergelten? Und er wird zu den Gräbern hingebracht, und auf dem Grabhügel wacht er. Süß sind ihm die Schollen des Tals.“ (V. 32.33a) – wenn man die äußere Erscheinung betrachtet – „Und hinter ihm her ziehen alle Menschen, und vor ihm her gingen sie ohne Zahl. Wie tröstet ihr mich nun mit Dunst? Und von euren Antworten bleibt nur Treulosigkeit übrig?“ (V. 33b.34).