Behandelter Abschnitt 2Chr 6
So haben wir in diesem Kapitel die große Öffnung des Herzens Salomos vor dem Herrn, in der er vor dem Herrn diesen neuen Zustand der Dinge ausbreitet, den er so gut verstand. „Und der König wandte sein Angesicht und segnete die ganze Versammlung Israels“ (V. 3) –, denn jetzt ist es nicht mehr der Priester, sondern der König. Eine bemerkenswerte Veränderung. In den früheren Tagen war es der Priester. Auch wir haben in diesen Tagen den Priester; wir haben Christus. Er wird nie unser König genannt. Es ist ein großer Fehler, vom Herrn als unserem König zu sprechen. Er ist der König, aber Er ist der König Israels; Er ist der König der Nationen. Er wird nie der König der Versammlung genannt. König ist nicht die Beziehung des Herrn zur Versammlung oder zu den Gläubigen. Den einen Vers in Offenbarung 15,3, der es anzudeuten scheint, habe ich schon erklärt. Er bedeutet „König der Nationen“, nicht der „Heiligen“; und das ist ein sehr wichtiger Irrtum, der ausgeräumt werden muss. Daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt nicht einen Gelehrten, der überhaupt etwas über diese Dinge weiß, der mir nicht zustimmen würde. Aber jeder – ob er römisch-katholisch oder traktarisch3 oder sonst etwas ist – würde mir darin zustimmen; und er würde nicht verlangen, dass man es ihm sagt, weil jeder Gelehrte es weiß. Die Vorstellung vom „König der Heiligen“ ist sehr unbiblisch; und es ist ein sehr bedeutender Fehler, weil die richtige Vorstellung von der Beziehung eines Königs zu seinem Volk eine der Entfernung und der abgestuften Ränge im Königreich ist. Das Wort „König“ schließt abgestufte Ränge in sich, die alle ihren Platz und ihr Maß an Nähe oder Entfernung haben; und folglich gibt es alle Arten von relativen Abständen untereinander.
Das ist in der Versammlung Gottes nicht der Fall, denn der geringste Christ ist genauso ein Glied am Leib Christi wie der bedeutendste. Du siehst, dass die Tatsache der Zugehörigkeit zum Leib all diese Fragen nach relativen oder unterschiedlichen Abständen beiseiteschiebt. Im Reich Gottes wird es diese Unterschiede geben. Und das ist der Grund, warum so viele Menschen die Versammlung Gottes missverstehen.
Nimm Schottland. Das ist ein sehr bibellesendes Volk, und doch gibt es kein Volk in Europa, das „den König der Kirche“ mehr falsch versteht. Das war der große Aufschrei zu der Zeit, als die Freikirche ins Leben gerufen wurde. Sie meinten, dass die Sache, die damals zwischen ihnen als Streit lag, in die Rechte Christi als König der Kirche eingreift. Das war die große Sache, und als treue Männer traten sie natürlich für den König ein. Das war die Vorstellung. Ich sage das nicht, weil ich mit ihrer Treue nicht sympathisiere. Darum geht es nicht. Ich habe die größte Sympathie für ihre Treue; aber sie verstehen nicht die Lebendigkeit unserer Beziehung zu Christus.
Unsere Beziehung ist nicht die eines Volkes zu einem König, sondern die von Gliedern eines Leibes zu dem Haupt des Leibes. Christus und die Versammlung bilden einen Leib, und das macht den ganzen Unterschied für den Christen aus, weil es zeigt, dass wir an einen ganz neuen Ort gebracht werden, und dass dieser Ort nicht der einer relativen, sondern einer absoluten Nähe ist. Das ist der Grund, warum Petrus, wo er überhaupt nicht über den Leib spricht, sagt, dass „Christus gelitten hat, der Gerechte für die Ungerechten, um uns zu Gott zu führen“ (1Pet 3,18).
Das ist es, was das irdische Priestertum beiseiteschiebt, denn wenn ich einen irdischen Priester zwischen mir und Gott habe, bin ich nicht absolut nahe; und wenn ich absolut nahe bin, habe ich keinen irdischen Priester. Und so wird die Behauptung eines irdischen Priestertums absolut widerlegt durch die Behauptung der schlichten, einfachen Wahrheit des Evangeliums. Es ist nicht so, dass der Herr Jesus Christus nicht berechtigt wäre, uns zu befehlen, denn das Haupt regiert den Leib. Es gibt kein Glied meines Leibes, das nicht von meinem Haupt regiert wird, viel mehr als die Menschen von einem König oder einer Königin regiert werden, denn sie gehorchen leider nicht sehr von Herzen; und sie sind in der heutigen Zeit ziemlich widerspenstig. Aber das ist bei den Gliedern des Leibes nicht der Fall; sie müssen gehorchen. Und so ist es mit Christus und der Versammlung. Der Gehorsam ist ein Gehorsam der innigsten Art. Der Geist Gottes ist gegeben, um diese Verbindung zwischen dem Haupt und dem Leib aufrechtzuhalten.
Ich will das nun nicht weiter veranschaulichen. Es reicht im Augenblick aus, darauf hinzuweisen. Es ist eine sehr wichtige praktische Angelegenheit, denn du wirst feststellen, dass, wenn du deinen großen Gedanken in deiner Beziehung als Glied des Leibes Christi aufgibst, und dich in den Platz eines Volkes versenkst, das vom König regiert wird, du auf Abstand gehen wirst. Du wirst in irdische Gedanken darüber geraten. Du wirst praktisch ein Jude statt ein Christ, denn das ist die Beziehung des Juden. Aber die Beziehung eines Christen ist eine völlig andere; und die Ersetzung der jüdischen Beziehung durch die christliche macht die Versammlung unbewusst jüdisch, anstatt uns in unserer eigenen richtigen Beziehung zu Gott zu bewahren.
Ich nehme an, dass sich alle hier bewusst sind, dass die Erfüllung unserer Pflicht immer von unserer Beziehung abhängt – immer abhängig von dem Sinn und der Aufmerksamkeit, die wir unserer Beziehung schenken. Zum Beispiel hat eine Ehefrau eine völlig andere Beziehung als eine Tochter oder eine Mutter; und jeder Mensch erfüllt seine Pflicht nur, wenn er seiner eigenen Beziehung treu ist. Das ist der entscheidende Punkt, und ich bitte jeden Christen inständig, im Wort Gottes zu suchen und zu sehen, ob das nicht so ist.
Nun denn, Salomo segnet die ganze Gemeinde Israels, und sie standen alle. „Und er sprach: Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, der mit seinem Mund zu meinem Vater David geredet und es mit seiner Hand erfüllt hat, indem er sprach: Von dem Tag an, als ich mein Volk aus dem Land Ägypten herausführte, habe ich keine Stadt aus allen Stämmen Israels erwählt, ein Haus zu bauen, damit mein Name dort wäre; und ich habe keinen Mann erwählt, Fürst zu sein über mein Volk Israel. Aber ich habe Jerusalem erwählt, dass mein Name dort wäre; und ich habe David erwählt, dass er über mein Volk Israel wäre“ (V. 4–6).
Er berichtet, wie Gott von Anfang an erwählt hatte, und wie Er Jerusalem und keine andere Stadt erwählte, dass sie die Hauptstadt wäre; so erwählte er auch das Haus Davids und keine andere Familie, und von Davids Familie erwählte er Salomo selbst. Alles hängt von der Erwählung Gottes ab. Es gibt überhaupt nichts Gutes, das nicht auf Gottes Erwählung gegründet ist. Die ganze Glückseligkeit und Stärke des Gläubigen hängen davon ab. Das ist es, was einen Menschen von sich selbst befreit.
Ich meine damit nicht, dass man einem unbekehrten Menschen die Erwählung vorstellen soll. Weit gefehlt. Das würde in der Tat zu seinem Elend beitragen, wenn er sein Elend spürt. Aber in dem Augenblick, wo jemand Christus aufnimmt, kann ich ihm sagen, dass er ein Auserwählter Gottes ist; und eine unermessliche Kraft und Ermutigung ist es für sein Herz, dass er weiß, dass es nicht sein eigener Wille ist, sonst wäre er schwach; und es ist nicht seine eigene Wahl, sonst könnte er sich schmeicheln, dass es gut war, sondern dass es Gottes Gnade und Auserwählung war, die dafür sorgt, dass er hinzugebracht wurde, der es nie verdient hat.
Salomo hat also den richtigen Ton getroffen, als er diesen großen Punkt der Erwählung berührte. Und andererseits zeigt er, wie Gott, nachdem er dieses Haus zur Wohnung genommen hatte, immer zu Ihm gebetet werden konnte und dass man immer in jeder Not auf Ihn schauen konnte. Ganz gleich, was die Sünde oder die Bedrängnis sein mochte – ob sie persönlich oder national war – Gott war da, um angebetet zu werden.
Und das tat Israel auch. Sogar wenn sie das Land verlassen hatten, schauten sie auf Ihn als Zeuge dieser großen Wahrheit. Aber bedenke nur die Torheit von Christen, die solche Dinge aufgreifen. Denk nur an die Torheit eines Christen, der sich dem Osten zuwendet, weil ein Jude das tat, oder irgendetwas anderes in der Art tut, als ob der Gott, der uns offenbart ist, mehr im Osten ist als an irgendeinem anderen Ort der Erde ist. Niemals gab es eine so unsinnige Torheit wie die, die in der Christenheit vorherrscht. Nein, wir gehören zum Himmel, und wir schauen dorthin, wenn wir irgendwo hinschauen; aber das ist ja leider gerade der Ort, wo die Menschen nicht hinschauen.
3 Andere Bezeichnung für die Oxford-Bewegung (WM).↩︎