Behandelter Abschnitt Apg 21,26-40
Die erfüllte Weissagung des Agabus
Obwohl die Juden aus Asien den Apostel nur mit Trophimus, e i n e m Griechen, in der Stadt gesehen hatten, sprachen sie in ihrem Übereifer in der Mehrzahl und sagten: „Er hat sogar G r i e c h e n in den Tempel geführt.“ Sie fragten sich nicht: wozu denn „der Vorhof der Nationen“ im Tempel von Nutzen sei, wenn doch keiner aus den Nationen hineingehen dürfe. Zudem weissagten schon die alten Propheten, dass auch die Nationen kommen werden, um Gott anzubeten. Aber Hass macht blind! Wie arg, wenn bloße Vermutungen zu einer so folgenschweren Verurteilung führen, wie es hier bei Paulus der Fall war. Einer will etwas gehört oder gesehen haben, der nächste fügt ein wenig hinzu, und der dritte behauptet die Sache schon als unfehlbare Wahrheit. So liegt hier der Fall. Aus einem Trophimus wurden mehrere Griechen gemacht; und der anfängliche Klatsch steigerte sich zum heiseren Geschrei, so dass sie schließlich Paulus zum Tempel hinausstießen und die Türen hinter ihm zuschlossen. Sie wagten es doch nicht, den Apostel i m Tempel umzubringen. ‑ Dazu waren sie zu fromm! Diese Heuchler ‑ an dem göttlichen Gebot: „Du sollst nicht töten“ gingen sie achtlos vorüber; dagegen erwiesen sie einem Menschenwerk, wie dem Tempel, eine verkehrte Achtung. Sünde ist aber Sünde ‑ ganz gleich, wo sie getan wird. Das Zuschließen der Tempeltore ist übrigens sehr vielsagend. Israel hat damit den Herrn entschieden ausgeschlossen, und als Folge hat der Herr sie ebenfalls entschieden beiseite gesetzt und dem Apostel den Weg zu den Nationen immer deutlicher gezeigt. Gott lässt sich nicht spotten.
Die Erfüllung der Weissagung des Agabus. Nur wenige Tage vorher hatte Agabus mit prophetischem Blick die Gefangennahme des Apostels mit dessen Gürtel demonstriert (Vers 10-11), und schon musste Paulus die harte Erfüllung erleben. Wörtlich erfuhr er, was der Herr gesagt hatte: „Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.“ Der Drang, den Juden Christus zu verkündigen und sein Gelübde einzulösen, kam ihm teuer zu stehen. Nochmals musste er erfahren, was der Herr ihm seinerzeit in einer Entzückung gesagt hatte: „Eile, gehe schnell aus Jerusalem hinaus, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen“ (Apg 22,18). Paulus hatte immer noch Mühe letzteres zu glauben.
Ein großer Aufruhr. Die Feinde des Apostels riefen eine Empörung unter der Bevölkerung von ganz Jerusalem hervor, und es ging ähnlich zu und her wie seinerzeit beim Tumult in Ephesus, wo auch viele mitschrieen, ohne eigentlich zu wissen, warum. Nun wurde der Hauptmann der römischen Soldaten über den Vorfall unterrichtet, aber auch er konnte des Lärmes wegen nichts Zuverlässiges über den Tumult erfahren (Vers 34). Unser Wort veranschaulicht so recht zu welchen Taten eine bloß äußere Religion, ohne wahres Leben aus Gott, fähig ist. Religiöse Leute können, wie diese Juden, zu großen Festen gehen und zugleich Hass, Bitterkeit, Mord und Totschlag im Herzen tragen. Religiöse Fanatiker sind des Teufels beste Handlanger. Die tote Orthodoxie, das nackte Dogma sind harte, unbarmherzige Richter und kennen nichts vom Geiste Gottes und Christi. Wem die Verteidigung seiner Lehrgrundsätze mehr bedeutet als die Liebe Christi, der wird in seinem Herzen bald zum Brudermörder.
Paulus in Lebensgefahr. Den Feinden des Apostels war es durchaus nicht um eine richterliche Untersuchung zu tun, sondern um seine sofortige Tötung. Sie wussten nur zu genau, dass ein rechtsgültiges Urteil zu seinem Freispruch geführt hätte, und dies wollten sie in jedem Fall verhindern. Ihr Motto war: „Hinweg mit ihm!“ Vorgänge wie dieser belehren uns, dass Gott Seine Kinder zu schützen weiß und ihnen nicht mehr geschehen kann, als Er erlaubt.
In den Händen der Römer (Vers 31-40). Es ist schlechthin ein trauriges Zeichen, wenn der Staat in der Kirche Ordnung schaffen muss. Lysias, der römische Oberste, meinte zuerst einen guten Fang gemacht zu haben, weil er in Paulus jenen langgesuchten ägyptischen Meuchelmörder vermutete, den er, wenn möglich, lebend greifen wollte. In unserem Text haben wir zwei Vermutungen, und zweimal haben sich die Beteiligten getäuscht. In Vers 29 waren es die Juden, die meinten und in der Folge das Volk gegen Paulus aufhetzten, so dass er geschlagen und schließlich gebunden abgeführt wurde. Hier in Vers 38 meinte der Oberste und entriss dadurch den Apostel dem geplanten Tode. Wahrlich, wer den Herrn lässt walten, den wird Er wunderbar erhalten.
Was die Liebe vermag. Kaum war Paulus der brutalen Gewalt der Juden entrissen, und schon überwand seine große Liebe den bitteren Hass seiner Feinde, indem er sich, zwar übel zugerichtet, und ehe er in die Burg Antonia eingeliefert wurde, die Erlaubnis erbat, mit dem Befehlshaber der Wache ein Wort reden zu dürfen. Dies wurde ihm gewährt. Seine Höflichkeit stand in absolutem Gegensatz zu dem ungezügelten Benehmen der Menge. Durch seinen Wandel bezeugte er, dass er nicht eine leere Theorie verkündige, sondern bewies durch Wort und Tat, was er in seinen Briefen lehrte (Röm 10,1; 9,2-3). Nachtragen und Rücksicht auf sich selber kannte er nicht, wenn es galt die Juden davon zu überzeugen, dass dieser Jesus, dem er diente, der Messias Israels sei. Solche Feindesliebe kann nur siegen, selbst wenn im Augenblick nichts davon sichtbar ist.
Eine interessante Begebenheit. Lysias, der Oberste, wurde nun eines Besseren überzeugt. Nicht jener gefürchtete Ägypter, sondern ein hochgebildeter Jude und zugleich römischer Bürger aus der berühmten Stadt Tarsus stand vor ihm. Ein Mann mehrerer Sprachen kundig, denn mit dem Römer Lysias konnte er nicht hebräisch reden, weshalb dieser Paulus fragte: «Sprichst du griechisch?" Das ganze vornehme und vorbildliche Benehmen des Apostels machte auf den römischen Offizier den besten Eindruck. Sein Wandel war allenthalben so einwandfrei, dass er mit Recht später schreiben durfte: „Wandelt wie ihr uns zum Vorbilde habt“ (Phil 3,17).
Und nun wurde aus der ersten Bitte eine zweite, die dem Apostel ohne weiteres ebenfalls gewährt wurde. Nicht mehr zu einem einzigen Mann wollte er reden, sondern zu den Vielen und sie durch die Kraft Gottes und unter dem Schutze der Obrigkeit für Jesus zu gewinnen suchen. Er hielt seine Ansprache auf hebräisch, so dass jeder Jude sie verstehen konnte.