Behandelter Abschnitt 3Mo 16
3. Mose 16 - Der große Versöhnungstag
Ehe Adam in Sünde fiel, lebte er in vollkommener Gemeinschaft mit Gott. Doch die Sünde zerstörte dieses unbeschreibliche Glück und trennte ihn von seinem Gott. Durch die Errichtung der Stiftshütte und die damit verbundenen Opfer hat Gott Selbst eine Möglichkeit zur Rückkehr geschenkt, die allerdings erst in Christus, der wahrhaftigen Hütte, ihre volle Erfüllung finden sollte. Der große Versöhnungstag, an dem der Hohepriester Sühnung für Israel tat, ist ein höchst lehrreiches Vorbild auf die vom Herrn erfundene und vollbrachte ewige Erlösung (Hebr. 9,12).
Das Hauptwort in unserem Kapitel heißt „Sühne“ und bedeutet „zudecken“. Wie z. B. die vier Decken das Heiligtum völlig zudeckten, daß kein Lichtstrahl hindurchdrang, noch gründlicher hat das Blut Christi unsere Sünde so völlig zugedeckt, daß selbst das alles durchdringende Auge Gottes sie nicht mehr sieht. Wie gründlich das Blut die Sünde beseitigt, besingt schon David in Ps 32: „Glückselig der Mensch, dessen Übertretungen vergeben sind, dessen Sünde zugedeckt ist.“ Und wie siegesgewiß lautet der letzte Vers desselben Psalms in den drei Kernausdrücken: „Freuet euch, frohlocket, jubelt!“
Ob solcher Vergebung singen wir anbetend: „Auf dem Lamm ruht meine Seele, betet voll Bewunderung an. Alle, alle meine Sünden hat Sein Blut hinweggetan."
Der große Versöhnungstag war Israels wichtigster Tag im ganzen Jahreslauf. Er fand am 10. Tage des siebten Monats statt (Vs. 1.29; 3. Mose 23,26.27). Dieses Gebot erließ Gott nach dem Tode der beiden Söhne Aarons, die der Sünde wegen vor dem Herrn starben (3. Mose 10,1-2). Aaron tat also auch Sühnung für seine Familie. So handelte auch Hiob (Kap. 1,5). Geistlich gesinnte Eltern treten immer wieder für die Sünden ihrer Kinder ein. Das Familienheiligtum darf nicht entweiht werden, es muß rein erhalten werden.
Der Schlüsselvers des wichtigen Kapitels ist Vs. 30. Er besagt viererlei: Das große Werk jenes Tages: Sühnung tun.
Der Vollbringer des Werkes: der Hohepriester. Der Zeitpunkt des Werkes: „an diesem Tage“.
Der Zweck des ganzen Werkes: „ihr werdet rein sein“.
An diesem wichtigen Tage sehen wir nur Aaron amtieren. Er war:
Ein tief gedemütigter Mann. Das kam zunächst in seiner Kleidung zum Ausdruck. Er, der sonst das ganze Jahr hindurch in seinen herrlichen Kleidern einherging und sich durch sie vom ganzen Volke unterschied, erschien an diesem Tage als ein ganz schlichter Diener im weißen Leinenrock. Hier ist Aaron ein Hinweis auf den unendlich Größeren, auf unsern Herrn, der weit mehr ablegte als nur irdische Kleider, die man Ihm auch noch auszog, um Seine Bloßstellung vollkommen zu machen. Die Schrift sagt von Ihm: „Er entäußerte Sich Selbst und nahm Knechtsgestalt an" (Phil 2,7-8). Aaron, teilweise entkleidet, war dennoch der Hohepriester. Alle Schmach und Schande, die unser Herr trug, konnte Seine göttliche Herkunft nicht verbergen. Der Hauptmann unter dem Kreuz bezeugte es (Mk 15,39). Er blieb der ewig geliebte Sohn, der Reine und Heilige (Heb 7,26). Der, dem alle Engel dienten und Ihn anbeteten, wurde uns zugut der Allerverachtetste und Unwerteste (]es. 53). Er entäußerte sich so sehr, daß Er wie ein Verbrecher zwischen Verbrechern starb.
Aaron war an dem Tage ein vielbeschäftigter Mann. Jüdische Gelehrte sagen, Aaron habe sich sieben Tage auf diesen Tag hin vorbereitet. Vom frühesten Morgen an war der Hohepriester mit vielseitiger Arbeit beschäftigt. Alle Arbeiten, die sonst Priester taten, mußte er an dem Tage allein tun. Er mußte seinen ganzen Leib waschen. Er brachte das übliche Morgenopfer und anschließend ein Opfer für sich selbst, um sich zu entsündigen. Zu diesem Zweck ging er mit dem Blute hinein ins Allerheiligste und kam als Gereinigter, als Gerechter heraus. Nur als ein solcher konnte er die Sünde des Volkes tragen. Er mußte außerdem all die anderen Opfer bringen (4. Mose 29,8). Vor allem war es seine Aufgabe, den Bock zu schlachten und über ihm die Sünden des Volkes zu bekennen. Doch damit beschäftigen wir uns später. Aber die Arbeit, die unser Herr an dem größten aller Versöhnungstage tat, war unendlich größer. Er sagt: ,Mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden“ (Jes 43,24). Wer kann die Arbeit beschreiben, die unser Herr an jenem Tage leistete, da Er Sühnung für unsere und der ganzen Welt Sünde tat (Joh 1,29)! Vom frühesten Morgen hinweg wurde Er gejagt von Pilatus zu Herodes, wurde geschlagen und gemartert und schließlich gekreuzigt und damit dem qualvollsten Tode ausgeliefert. Vor allem aber wissen wir, daß Seine Seele gearbeitet hat (Jes 53,11).
Aaron war an dem Tage ein schwer beladener Mann. Die Sünde des ganzen Volkes lag an dem Tage auf ihm. Wie er an andern Tagen im herrlichen Schmuck das Volk auf seinem Herzen trug, so trug er an diesem Tage all seine Sünden, seine Ungerechtigkeiten und Übertretungen. Aaron ist hier ein wunderbares Vorbild auf unsern Herrn, auf den die Sünde der ganzen Welt gelegt wurde (Joh 1,29). Er trug unsere Sünde an Seinem Leibe auf das Holz. Es ist die unermeßliche Gnade und Liebe unseres Gottes, die uns diesen Ausweg aus unserer völligen Verlorenheit gebahnt hat. Wie sollten darum unsere Herzen voll Dank und Anbetung unserm Gott gegenüber überfließen, der Seinen eingeborenen Sohn für uns alle dahingegeben hat!
Aaron war an dem Tage ein einsamer Mann (Vs. 17). Niemand durfte bei ihm sein, ihm zu helfen bei den vielen schweren Arbeiten dieses anstrengenden Tages. Niemand, außer ihm, durfte an dem Tage das Heiligtum betreten. Er allein vollbrachte das ihm von Gott aufgetragene große Werk der Sühne. Auch hier ist Aaron ein Vorbild auf den Herrn. Als Petrus Ihm anläßlich der Kreuzigung folgen wollte, sagte der Herr zu ihm: „Wo Ich
hingehe, kannst du Mir jetzt nicht folgen" (Joh 13,36). Warum denn nicht? Wie am großen Versöhnungstage alle andern Priester zurücktraten und Aaron allein diente, ebenso vollbrachte der Herr das große Werk der Versöhnung ganz allein. Wo waren Petrus, Jakobus, Johannes, die Säulen, als der Herr vor Seinen Richtern und Schergen stand? Alle waren geflohen. Er schaute nach Hilfe aus, aber da war keiner zu helfen (Jes 63,5; Mk 14,37-41). Seine Einsamkeit aber bezog sich nicht nur auf Menschen, sondern vor allem war es das Verlassensein von Gott, das Ihm die größte Not bereitete. Höre Seinen lauten Schrei inmitten dichtester Finsternis: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“ Dieses Alleinsein war für Ihn die schwerste Belastung. Was muß das einmal für den Sünder bedeuten, wenn er ohne die Deckung durch das Sühnewerk Christi vor dem heiligen Gott erscheinen wird? Vor Ihm müssen einmal alle Menschen erscheinen (Off 20,11 ff.). Wenn Gott Seinen Sohn unserer Sünde wegen also straft, was wird erst dem Sünder geschehen, der zu all seinen Sünden noch die besonders schwere zugefügt hat, indem er das Opfer Christi, die Gabe Gottes, verworfen hat; er wird ewige Strafe erleiden (2Thes 1,8-10).
Aaron war an dem Tage der Gott angenehm gemachte Mann. Nachdem der Hohepriester mit dem Blut des Bockes ins Allerheiligste eingegangen war und den Sühndeckel und alle Geräte mit dem Blut besprengt hatte, galt sein Opfer für das Volk als angenommen. Aaron ging aber nicht allein mit dem Blut hinein, sondern auch mit dem goldenen Rauchfaß voll Weihrauch. Dieser Rauch umgab ihn wie eine Wolke und verhüllte zugleich den Sühndeckel, auf dem der Herr zwischen den Cherubim thronte. Nicht nur wurde das Blut gesprengt, auch Wohlgeruch wurde verbreitet. Den schönsten Kommentar zu diesen Handlungen finden wir in Eph 5,1: „Christus hat uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben als Gabe und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch." Der Herr ist nicht nur mit Seinem eigenen Blut droben eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden, sondern Er ist auch, wie der Hohepriester, mit dem Weihrauch lieblichen Geruchs für uns dort erschienen. Wir sind durch Sein Blut nicht nur versöhnt, sondern zugleich angenehm gemacht worden (Eph 1,6).
Was aber tut das Volk an jenem Tage? Es war zweierlei: Zunächst mußte es sich kasteien (Vs. 29; Kp. 23,27-29). Während die Israeliten zusahen, wie die Opfer ihretwegen gebracht wurden, mußten sie sich demütigen, mußten Buße tun. Sie mußten fasten und sich aller Freuden enthalten (Dan 10,3.12; Ps 35,13). Nur Kinder und Kranke waren davon befreit. Erfüllt uns nicht tiefer Schmerz, den Herrn am Kreuz hängen zu sehen, und zwar um unserer Sünde willen? Unser Herz ist erschüttert, wenn wir uns ernstlich mit dem Wort befassen: „Das tat Ich für dich.“ Der Heilige Geist bewirkt diese Traurigkeit (Joh 16,20). Zerknirscht waren die Herzen der großen Menschenmengen am Pfingsttage, als Petrus sagte: „Den habt ihr gekreuzigt“ (Apg 2,23.37). Wie Josia weinen wir über unsere Sünde und werden ebenso, wie er, Vergebung erlangen (2Chr 34,27).
Die Israeliten mußten ruhen. Der Hohepriester arbeitete hart und das Volk ruhte. „Seine Seele hat gearbeitet" (Jes. 53,11), wir aber stehen im Genuß Seines schweren Werkes. Wie das Volk Israel nichts dazu tat, so können und müssen wir nichts zur Erlösung beitragen, sondern wir dürfen ruhen. Er hat ausgerufen: „Es ist vollbracht" (Joh. 19,30). Viele zwar möchten gleichwohl arbeiten und versuchen, das Heil durch eigene Werke zu erwerben, aber die Schrift sagt, daß der verflucht ist, der aus Gesetzeswerken selig werden will. Wir, die wir glauben, sind in Seine Ruhe eingegangen. Mit dem Dichter dürfen wir singen:
Sel'ger Ruhort! Süßer Friede füllet meine Seele jetzt.
Da, wo Gott mit Wonne ruhet, bin auch ich in Ruh versetzt.
Und mit süßer Ruh im Herzen geh ich hier durch Kampf und Leid, ew'ge Ruhe find ich droben in des Lammes Herrlichkeit.
Nach all der schweren Arbeit jenes Tages erschien der Hohepriester wiederum in seiner herrlichen Kleidung. Wir aber erblicken in diesem Vorbilde unsern Herrn droben mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt (Heb 2,7.9; Phil 2,8-11).
Der kommende große Versöhnungstag. Israel ist gegenwärtig ohne Hohepriester, ohne Opfer, ohne Jesus und darum ohne Versöhnung. Es geht aber endgültig dem entscheidenden großen Versöhnungstag entgegen. Der Herr wird auf dem Ölberg erscheinen und Israel wird Den sehen, den es durchstochen hat, und wird wehklagen. Lias wird ein Kasteien sein wie nie zuvor (Sach 12,10-14; Offb. 1,7). Dann wird Israel endlich zur wahren Sabbathruhe des Tausendjährigen Reiches eingehen.
In Israel mußte der große Versöhnungstag alljährlich wiederholt werden (Vs. 29.34). So herrlich dieses Vorbild auch ist, so konnte es doch keine Sünde endgültig beseitigen. Anders ist es mit dem Opfer Christi, das uns für immer mit Gott versöhnt und Zugang zu Ihm verschafft hat.