Behandelter Abschnitt Dan 9,1-3
Dan 9,1-3 - Daniel, der Beter
Aus der Tiefe seines Herzens redet Daniel mit Gott, so flehentlich, so innig, daß wir uns kaum an dieses heilige Reden heranwagen. Einigermaßen verstehen wird Daniels Gebet überhaupt nur das Gotteskind, das in ähnlicher Weise vor Gott ringt, Fürbitte übt, und sich so tief über persönliches und fremdes Zukurzkommen beugt. Israels Mißachtung aller Ermahnungen Gottes durch die Propheten, welche Verheerung, Spott, Knechtschaft und Trauer zur Folge hatte, bemühte Daniel unablässig. Außerdem beschäftigte ihn der Gedanke über den Ausgang, der von Jeremias geweissagten siebzigjährigen Gefangenschaft Judas sehr ernsthaft. Wohin sollte er sich wenden mit seinen Anliegen? Er nahm Zuflucht zu Gott, zu Seinem Wort, zum Gebet und zur Buße vor dem Allerhöchsten. Das war der einzig richtige Weg. Beachtenswert ist:
Der unbeirrte Beter. Daniel, der bedeutende Staatsmann, der große Gelehrte und Nachahmer Gottes betet und betet immer wieder. Man möchte fast sagen: das Reden mit Gott war seine Lieblingsbeschäftigung. Schon in Kapitel 1 suchte er Gnade und Hilfe vor dem Angesicht Gottes. In Kapitel 2 erflehte er mit seinen drei Freunden des Königs Traumgesicht und dessen Deutung. Kapitel 6 gibt uns einen Einblick in seine Gewohnheit, regelmäßig dreimal des Tages zu beten, und hier in Kapitel 9 bekennt und bedauert er die Sünden Israels als wären sie nur die seinen. Es ist stets etwas Großes um einen Beter, der wie Daniel und Mose ein ganzes Volk auf seinem Herzen trägt; oder wie ein Hudson Taylor Millionenreiche dem Evangelium erschließt, oder wie ein Georg Müller sich der Waisen annimmt und den in die Millionen gehenden Unterhalt von Gott allein erfleht. Diese sind bekannt als gute Redner, andere als gründliche Schriftausleger, wieder andere als große Wohltäter, aber nur wenige sind der Beter wie ein Daniel (Hes 14,14).
Der Zeitpunkt des Gebets. „Im ersten Jahre der Regierung Darius merkte ich, Daniel, in den Schriften auf die Zahl der Jahre betreffs welcher das Wort Jehovas au Jeremia geschehen war“ (Vers 2). Der Zeitpunkt des Gebets war zugleich die Veranlassung, weshalb er so ernstlich zu Gott schrie. Es hatte nämlich eine weltbewegende und weltgeschichtliche Wendung stattgefunden. Das mächtige Babylon, jenes goldene Haupt“, mußte Medo-Persien, der „silbernen Brust“ Raum machen, ja sogar gänzlich von der Weltbühne verschwinden. Daniel war Zeuge, wie der Widder mit seinen zwei Hörnern das stolze Babylon nach allen Seiten hin zerstoßen hatte, und er mag an die Zeit zurückgedacht haben, da er selbst als Geisel von Jerusalem nach Babel deportiert wurde und die Gefäße des Tempels als Beute davontragen sah. Nun mußte er das Ende Babylons, dieses tiefeinschneidende Ereignis, als Erfüllung der Weissagung noch selbst miterleben! (Jer 25,12; 50 und 51; Jes 13.) Die Zuchtrute Babylon war eben abgenützt und wurde ins Feuer geworfen! Gottes Mühlen mahlen langsam ‑ aber trefflich fein! Auch hier sehen wir, daß Gott Israels wegen Völker dahingibt (Jes 10,25; 43,1-4; 60,12,14; Sach 1,14,15). Sehr interessant ist, daß Daniel seinen hohen Posten im zweiten Reich weiter bekleidete, ja, sogar noch befördert wurde. Die beiden Könige der Meder und Perser hatten offenbar volles Vertrauen in Daniels Fähigkeiten und Treue. Mit dem großen Wechsel im Weltreich Babel war aber noch keine Wendung im Gottesstaat Israel eingetreten. Und wenn schon Nebukadnezar (Kapitel 2) um die Zukunft seines vergänglichen Reiches so besorgt war, wie viel mehr war dann Daniel dazu berechtigt, wenn er an die bestehenden Verheißungen des Reiches Israels dachte.
Die Lampe am dunklen Ort (2Pet 1,19). So nennt der Apostel Petrus das prophetische Wort und dieses Wort gab Daniel Licht und Verständnis. Ei war ein eifriger Forscher unerfüllter Weissagungen, was zwar heutigen Tages von manchen als unfruchtbar, wenn nicht gar als gefährlich betrachtet wird. Neben der vielen Arbeit, die er als Staatsmann hatte, fand er dennoch Zeit zum Studium der heiligen Schriften. Gewiß nannte er den Pentateuch sowie die Psalmen und manche Propheten sein eigen, die ihm genauen Aufschluß der Gedanken Gottes mit Israel gaben. Die Aussprüche Gottes in 3. Mose 26,40 f.; 5. Mose 30 waren keine leeren Worte für Daniel. Gerade beim Untergang des babylonischen Reiches wurde er daran erinnert, daß Jeremias schon von dieser göttlich beschlossenen Tatsache geschrieben hatte (Jer 50 und 51). Ebenso wußte er, Daß der gleiche Prophet über die Gefangenschaft Judas und ihrer Dauer geweissagt hatte und nun forschte er in den Schriften darauf hin. In Jer 29,10-14 las er: „Sobald siebzig Jahre für Babel voll sind, werbe ich mich euer annehmen, mein Wort an euch erfüllen, und euch an diesen Ort (Jerusalem) zurückbringen.“ Auch Weissagungen wie Jes 44,28; 45,1 redeten eine überzeugende Sprache. Hundert Jahre zuvor hatte Jesaja von „Cyrus“ gesprochen. Auch diese Vorhersage sah Daniel sich erfüllen. All diese großen Einlösungen göttlicher Aussprüche brachten ihn zum Staunen und die unwiderrufliche Treue Gottes und Seines Wortes bewogen ihn zur Anbetung. Derselbe unwandelbare Gott, der die Ansage der Züchtigung einlöste, sollte Er nicht auch Seine Segensverheißungen an Seinem auserwählten Volk zur gegebenen Zeit wahr machen? Er hält Sein Wort in Gericht und Gnade. Nun sagte sich Daniel aber nicht fatalistisch: es wird schon alles nach göttlicher Vorherbestimmung kommen! Nein, nicht so! Er sah die siebzig Jahre der Verwüstung Jerusalems zu Ende gehen, ging ins Gebet und flehte inbrünstig um die Einlösung der Verheißung, daß nämlich Israel wieder in sein Land zurückkehren dürfe. Er lernte auch aus der Schrift, daß Kores (Cyrus) Befehl geben werde, den Tempel wieder aufzubauen (2Chr 36,23). Daniel hätte ja seine Entdeckungen im Schriftstudium den Juden ohne weiteres unterbreiten können; aber er tat es nicht. Er legte sie vielmehr auf seinen Knien vor Gott nieder. Wie haben wir's, wenn wir Gottes Verheißungen lesen? Gehen wir mit ihnen auch in die Gegenwart des Herrn? Gottes Aussprüche sind unsere einzige Sicherheit, selbst dann, wenn sie gegen uns zeugen müssen.
Beachten wir noch, wie Daniel vor Gott trat. Dreierlei wird hervorgehoben: in Fasten, Sacktuch und Asche.
In Fasten. In Kapitel 1 enthielten sich Daniel und seine Freunde des göttlichen Gesetzes wegen der kostbaren Speisen des königlichen Tisches. Und in Kapitel 10, 3 lesen wir: „.Kostbare Speise und Wein ließ ich nicht vor mich bringen und salbte mich nicht.“? Auch der Herr Jesus hob die Wichtigkeit des Fastens hervor und in der apostolischen Zeit, als es galt, Paulus und Barnabas zum Dienste am Evangelium auszusenden, fastete die Gemeinde (Apg 13,2). Wir ersehen aus diesen Tatsachen, mit welcher Hingabe das Werk des Herrn zu treiben ist. Vom sogenannten Kalenderfasten, etwa wie die römische Kirche es eingeführt hat, weiß die Schrift nichts. Und wenn Fasten nur Werksgerechtigkeit ist, ist es nutzlos vor Gott. Biblisches Fasten ist nicht notwendigerweise ein Fasten im Sinne von Hungern, obwohl Enthaltsamkeit sehr empfehlenswert ist. Es gibt auch ein Fasten im geistlichen Sinne; ein Ablegen ‑, ein alles Übliche auf die Seite tun ‑, da man nur eins kennt, und das ist zu Gott schreien. Als Jona den Einwohnern von Ninive den nahen Untergang der Stadt verkündigte, riefen sie ein Fasten aus, legten Sacktuch an und der König streute Asche auf sein Haupt (Jona 3,5-8). Anhand einer guten Konkordanz mache sich jeder selbst ein Urteil über Sinn und Zweck biblischen Fastens. Auch Paulus schreibt in 2Kor 6,5; 11,27: „ In allem erweisen wir uns als Diener Gottes in viel Fasten.“
I n Sacktuch. Es war wohl das geringste aller Gewebe und wurde gleich einem Lendenschurz als Ausdruck der Trauer um einen Toten getragen (1. Mose 37,34). ferner hüllte man sich in Zeiten des Unglücks und der Leiden in Sacktuch (2. Könige 6,30; (Esther 4,1-4; Jer 4,8; Amos 8,10). und vor Gott galt Sacktuch als Zeichen der Buße und Demütigung (1Kön 21,27; 2Kön 19, und 2; Neh 9,1; Mt 11,21).
I n Asche. Asche auf dem Haupte war der Ausdruck innerer Betrübnis, im Gegensatz zur Salbung mit Öl, dem Ausdruck der Freude. Der Trauernde streute Asche auf sein Haupt, oder setzte sich sogar darein, wie Hiob es tat (2Sam 13,13,19; Hiob 2,8; Jes 61,3). Mit diesem Trauerzeichen auf dem Haupte und angetan mit den Kleidern der Armut richtete Daniel in aller Ehrfurcht sein Angesicht zu Gott, als wollte er sagen: blick herab auf die Niedrigkeit deines Dieners, dem so elend im Herzen ist, wegen der Versklavung deines Volkes. Herr, du hast verheißen, Dich zu denen zu neigen und bei denen zu wohnen, die zerbrochenen Herzens sind und die da zittern vor deinem Wort! Möchte doch auch uns der Tiefstand des Volkes Gottes so zu Herzen gehen, damit Zeiten der Erquickung und Erweckung folgen können.
Wir standen soeben in gebeugter Bewunderung vor Daniel, der als demütiger Mittler vor Gott erschien. Aber denken wir bei diesem Anlaß an einen Größeren als Daniel, an den Herrn Jesus, der in noch viel geringerem Äußeren, völlig entblößt und das Haupt mit Dornen gekrönt, unter heftigem Ringen für uns im Gericht vor Gott erschien. Welch eine Erniedrigung! Und wenn schon Daniels Mittlerdienst so reiche Erhörung fand und Israel aus der Knechtschaft befreite, wie viel mehr wird des Herrn Mittlerdienst alle diejenigen befreien, die mit Seinem Opfer rechnen.