Behandelter Abschnitt Dan 9,1-2
In diesem Kapitel tritt Daniel in einer neuen Art und Weise vor uns. Bisher haben wir gesehen, wie er göttliche und prophetische Botschaften empfangen hat, doch jetzt sehen wir, wie er die Gedanken Gottes versteht, indem er die Schriften liest und für Gottes auserwähltes Volk Fürbitte tut.
Wie viel Zeit zwischen diesem und den vorangegangenen Kapiteln liegt, können wir nicht sagen, da wir die Dauer der Regierungszeit Belsazars nicht wissen. Belsazar hatte infolge seiner Gesetzlosigkeit sein Leben durch das gerechte Gericht Gottes verwirkt, und „Darius‘, der Sohn Ahasveros‘, aus dem Geschlecht der Meder“, war König über das Reich der Chaldäer geworden. In seinem ersten Regierungsjahr fanden die Ereignisse dieses Kapitels statt (Verse 1 und 2).
Zwei entscheidende Merkmale kennzeichnen Daniel:
Eine ernsthafte Liebe für den Ort, an dem Gottes Ehre wohnte, und eine nie endende Zuneigung zu Gottes Volk.
Er könnte tatsächlich das Sprachrohr seiner Mitgefangenen in dem bekannten Psalm 137 sein, dessen Autor unbekannt ist: „Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, so vergesse mich meine Rechte! Es klebe meine Zunge an meinem Gaumen, wenn ich mich nicht an dich erinnere, wenn ich Jerusalem nicht erhebe über die höchste meiner Freuden!“ (Psalm 137,5.6). Zweifellos war es die Liebe zu Jerusalem, die ihn zu den Schriften des Jeremia führte. Dort erfuhr er, wie lange die Stadt noch verwüstet bleiben sollte. Das Ergebnis seiner Beschäftigung stellt er in Vers 2 vor: „Ich, Daniel, . . . “ verstand „in den Schriften die Zahl der Jahre, bezüglich derer das Wort des Herrn an den Propheten Jeremia ergangen war, dass nämlich 70 Jahre für die Verwüstung Jerusalems vollendet werden sollten“ (siehe auch Jeremia 25,11 und 29,10).
Die Auswirkungen dieser Entdeckung führten Daniel in seiner unermüdlichen Liebe für sein Volk dazu, sich mit ihrem Zustand zu identifizieren, ihre Sünden zu bekennen und um Vergebung und Wiederherstellung zu bitten. Er wusste, dass in ihren Herzen zuerst ein Werk getan werden musste, um sie zur Rückkehr in ihr eigenes Land und ihre Stadt zu berechtigen. Nur wo im Herzen göttliche Zuneigung zum Volk Gottes vorhanden ist – wovon auch Mose und Paulus sowie Daniel und Esra bemerkenswerte Beispiele sind –, kann Fürbitte um ihretwillen wirksam werden. Zeigt nicht gerade die vorliegende Betrachtung das dringende Bedürfnis nach Fürsprechern, nach geistlichen Männern und Frauen, die göttlich unterwiesen und mit dem Heiligen Geist erfüllt sind, die wie Epaphras allezeit im Gebet für die Gläubigen ringen? Und wenn wir selbst auch aus Mangel an Eifer und Liebe für sein Volk keine Fürsprecher sein können, so sollten wir wenigstens dafür beten, dass auf der ganzen Welt solche in der Versammlung Gottes erweckt werden mögen.
Bevor wir uns mit dem Gebet Daniels beschäftigen, mag es hilfreich sein, zunächst das zu betrachten, was auch schon woanders zum Ausdruck kommt: dass die Fürbitte des Propheten eines von drei Mitteln ist, die Gott benutzt, damit sein Wille in Bezug auf Jerusalem sich erfüllt. Jeremia war damit beauftragt worden, ihre 70 Jahre andauernde Verwüstung aufgrund ihrer Übertretungen zu prophezeien. Daniel wurde durch den Geist Gottes dazu angeregt, für ihre Wiederherstellung zu beten, und letztendlich wurde Kores, „damit das Wort des Herrn aus dem Mund Jeremias erfüllt würde“, dazu erweckt, einen Ruf zum Wiederaufbau des Tempels ergehen zu lassen (Esra 1). Gott muss alle Ehre für sein Tun zukommen. Er wird es nicht zulassen, dass sich einer seiner Knechte mit etwas schmückt, was durch Gottes Kraft ausgeführt wurde.