Behandelter Abschnitt Ps 130,1-8
Der Schrei aus der Tiefe Psalm 130 „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ Die Elberfelder - Bibel sagt „aus den Tiefen“, also Mehrzahl. Letzteres will wohl sagen, da“ die Not beides, äußerer und innerer Art war. Schreie aus Tiefen hören wir oft in den Psalmen (Ps 22; 69; 40). Wir alle kommen aus der Tiefe (Jes 1,5.6). Wer nie aus der Tiefe zu Gott geschrieen hat, kommt selten zur wahren Heilsfreude, wie sie David in Psalm 32,11 bezeugt. Er schrie Tag und Nacht. Umso mehr ertönten nachher die Jubellieder. Echtes Glaubensleben beginnt in der Tiefe der Buße. Das sehen wir auffallend bei der Bekehrung des Apostels Paulus (Apg 9). Er sagt: „Ich bin der vornehmste der Sünder.“ Es gibt keinen anderen Weg aus dem Schlamm der Sünde als im Schrei zum einzigen Retter wie dies Jona aus dem Bauch des Fisches tat (Jona 2). Jesus streckt dem Sinkenden die Retterhand entgegen und zieht ihn zu sich. Das hat der sinkende Petrus erfahren (Mt 14). Wenn ich nur Seines Kleides Saum anrühre, so werde ich gesund. Der Schrei heraus aus der grausamen Grube, dem kotigen Schlamm, stellt den Sünder auf den Felsen, und er ist geborgen.
Ermunterung für den sich Fürchtenden. Wenn Du, Herr, wolltest Sünde zurechnen, wer würde bestehen? Ehe der Herr die Seele mit Frieden erfüllen kann, entleert Er sie von der Sünde und vergibt. Bei uns ist viel Sünde, aber bei Ihm ist viel Vergebung (Jes 55,7). Erst muss das Herz zum Zittern gebracht werden, ehe es sich der Vergebung und des Friedens mit Gott erfreuen kann. Es muss erst den Fluch, die Folgen der Sünde, gefühlt haben, ehe es zur wahren Gottesfurcht kommt.
Vergebung und neues Leben. Der Sünder, welcher Vergebung erlangt hat, lebt fortan in wahrer Gottesfurcht. Er lebt dem, der ihm seine vielen Sünden vergeben hat. Praktisch gesprochen lautet es: der, welcher gestern betrog, ehrt heute Gott durch die Ehrlichkeit, ja noch mehr durch Geben (Eph 4,28). Die, welche gestern der Wollust lebten, ziehen heute andere zu Christo (Joh 4). Der, welcher gestern die Heiligen verfolgte, dient ihnen, fördert sie nun im Heiligungsleben (1Thes 5,23). Israel wurde gerettet aus der Knechtschaft, um Gott zu dienen in der Wüste. Er macht alles neu (Hes 36,22).
Der Dank eines Geheilten. Jener vom Herrn Geheilte kehrte zum großen Arzt zurück. Einmal um Ihm zu danken und Ihm fortan zu dienen in Heiligkeit und Hingabe. Das sehen wir ausgeprägt beim Psalmisten. Nachdem ihm vergeben worden war, baute er die Mauern Jerusalems und bat um ein klares Zeugnis, dass Sünder sich bekehren (Ps 51; 2Kön 5,15).
Ein weiteres schönes Bild des Geretteten. Man könnte ihn vergleichen mit einem von ernster Krankheit Geheilten, der wünscht, in der Nähe des Arztes zu leben, um vor Schlimmerem bewahrt zu bleiben. Der Samariter führte den Geheilten in die Herberge und sorgte für ihn (Lk 10). Alle, die Seine Güte und Gnade, Sein Erbarmen geschmeckt haben, sind erfüllt vom Verlangen, bei Ihm zu bleiben. Die Emmaus - Jünger, die so auf dem Wege reichlich gestärkt wurden, baten den Unbekannten: „Herr, bleibe bei uns“ (Lk 24). Alle, die Seine Güte reichlich erfahren haben, sitzen gern fernerhin zu Seinen Füßen, um zu lernen.
Weit mehr als das sagen uns die folgenden Verse: „Ich harre des Herrn, meine Seele harrt, und ich hoffe auf Sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache bis zur andern. Israel, hoffe auf den Herrn, denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung.“
Harren ‑ hoffen ‑ warten. Das ist nun die Stellung derer, die viel Vergebung erlangt haben. Warum? Sie kriegen neue Kraft. Wir warten auf mehr, wie die Jünger auf dem Söller oder wie Paulus im Gebet für neue Aufträge (Apg 16,9). Harren erfordert Geduld, und das ist eine kostbare Gabe. Es schließt zugleich das Ausharren in sich im Gebet (Röm 12,12) und das Ausharren im Werk des Herrn (1Kor 15,58).
Hoffen ist der Grund des Wartens, um die Freude zu genießen, wenn das Erhoffte eintrifft. Unsere Hoffnung wird eine gute Hoffnung genannt (2Thes 2). Unsere Hoffnung ist sicher und wird uns nie enttäuschen wie diejenigen, die nur auf irdische Hoffnung bauen, die keine Hoffnung ist. Das Wort Hoffnung schließt für den Gläubigen von heute die eine Hoffnung ein, unseren kommenden Herrn zu erwarten. Wir singen mit dem Dichter: „Wir warten Dein, Herr Jesu Christ, und lieben Dein Erscheinen.“ Oder wir sagen mit Paulus, indem wir warten auf die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus (Tit 2,13). Wie ganz anders ist es mit den Menschen, von denen Paulus sagt, die keine Hoffnung haben. Wir aber dürfen wie der Psalmist aus der Tiefe schreien und sind nun im Besitz dieser lebendigen Hoffnung.
Warten: Von einer Morgenwache zur andern. Wer wartet und hofft, lernt auch das Wachen. Der Wächter geht in der Nacht von einem Turm zum andern und späht auf den Morgen; in Regen, Kälte wünscht er, es wäre Tag. Der Wächter darf nicht einschlafen, oder es ist um ihn geschehen, und er wird die Beute des Feindes. Als David bis gegen Abend schlief, kam er zu Fall.
Bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung. Sie ist für alle, die wie der Psalmist aus der Tiefe schreien.