Behandelter Abschnitt Ps 22,1-21
Die Leiden Christi Psalm 21
Der Psalm stammt aus der Feder Davids. Er muss ihn in schwerster Notlage geschrieben haben, da er sich von allen verlassen fühlte. Hierzu gesellte sich die schwere Versuchung, dass er meinte, Gott habe ihn verlassen. Diese Erfahrungen haben seither viele durchgemacht. Warum wohl? Weil sie von der Verheißung wegblickten, die Gott öfters ausgesprochen hat: „Ich will dich nicht verlassen“, und sie ist unabänderlich, weil Gott nicht lügen kann (l. Mose 28, 15). Bei näherer Betrachtung aber sieht bald jeder Leser, dass es sich hier niemals um David handeln kann, sondern um den, welcher der Sohn Davids genannt wurde: um Jesus Christus, unsern Herrn. Mehr als irgendwo in der ganzen Prophetie sehen wir des Herrn Leiden in vielen Einzelheiten geschildert. Gleich der erste Vers führt uns in den Mittelpunkt Seiner Leiden. Wäre der Psalm Menschenwerk, dann hätte der Schreiber bei den physischen Qualen begonnen, und nicht bei dem, was Jesus als das Schwerste empfand: von Gott verlassen zu sein! Dass aber der Schreiber mit Jesu innerer Not beginnt, lehrt uns, dass er aus der Feder des Heiligen Geistes stammt. Der Herr war von Gott geschlagen, und das empfand Er weit mehr als die Nägelmale und die Dornenkrone.
Der unbeschreibliche Eingangsvers. Keine Feder noch Zunge vermögen zu beschreiben, was uns hier zum stillen Nachdenken vorgelegt wird. Zwei, die nie einen Augenblick voneinander getrennt waren, sind es hier (Joh 8,29). Zugleich sehen wir, was Gott die Erlösung kostete: das Getrenntsein von Seinem geliebten Sohne. Jesus kannte zuvor kein Verlassensein von Gott.
In Vers 2 rechtfertigt der Herr Den, der Ihn verlassen hat. Er sagt: „Du bist heilig.“ Der große Dulder findet selbst das Darum auf Sein Warum, obwohl keine Antwort aus dem Himmel kam. Jesus kannte sie aus der Schrift. Er wusste, in welcher Eigenschaft Er vor dem heiligen Gott stand, und nichts anderes zu erwarten hatte (Hab 1,13). Jesus wusste, dass Er dort beladen mit unserer Sünde stand, und den Fluch der Sünde tragen musste (Jes 53,5; Gal 3,13). Er wusste, dass Er dort zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21), die gerechte Strafe für die Sünde empfing, die ihren Höhepunkt darin findet, dass jeder ewig von Gott getrennt ist, der nicht den Sohn hat (Joh 3,36).
Die Leiden Jesu durch Menschenhand. Obwohl Er das Alleinsein am schwersten empfand, sehen wir in den folgenden Versen, wie Er auch die harten Schläge von Seinem Volk empfand. Beachten wir einige Einzelheiten:
Der Hohn und Spott der Menschen. Dem schweren Eingangswort folgt die furchtbarste Schilderung Seiner leiblichen und seelischen Qualen. Als Mensch empfand der Herr die Schmerzen wie wir. Er erhielt sie von denen, die Er zu retten gekommen war. Er sah ihr Kopfschütteln (Ps 69,21) und wie die, die sich sonst hassten, plötzlich eins waren, Ihn zu quälen und zu töten. Nicht allein die Juden, sondern auch die Heiden (Nationen) vollzogen die grausame Tat. Die Juden schrieen „kreuzige Ihn“ und wir aus den Völkern führten den Befehl aus und lieferten das Fluchholz und die Nägel.
Die Angriffe auf Seine Frömmigkeit (V. 8). Die Feinde sagten: Da Er doch so fromm ist, warum rettet ihn Gott nicht? Die Väter hat Gott stets erhört, warum nicht Ihn? Er gehört also doch ans Kreuz. Beelzebub tat Wunder durch Ihn. Nun ist der Betrug offenbar, sonst würde Gott Ihn retten (Mt 27,39).
Seine große Angst (V. 11). Sie wird in besonderer Weise durch vier Bilder aus dem Tierreich beleuchtet. „Ich bin ein Wurm (V. 6), den man rücksichtslos zertritt.“ Dann werden die wütenden Stiere Basans erwähnt, die mit ihren Hörnern den Menschen durchbohren wollen und gegen die er sich nicht wehren kann. Da tritt vor Angst der Schweiß aus allen Poren. In Vers 14 bittet Er: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen“, der ihn zermalmen will. Hier müssen wir noch an jenen Löwen denken in 1. Petrus 5,8. Zuletzt werden bissige Hunde genannt, von denen jeder ein Stück Fleisch aus dem Leibe herausreißen möchte. Wer kann sich vorstellen, was das für eine Angst bedeutet, wenn alle vier vereint den einen quälen! Seine Nägelmale (V. 16) und die durchgrabenen Hände und Füße. Der Herr wusste aus der Schrift, dass Er das erdulden werde.
Sein Trankopfer (V. 14). Wie in Vers 26 eine Anspielung an das Speisopfer gemacht wird (3. Mose 2), so in Vers 14 auf das Trankopfer. Ich bin ausgeschüttet wie Wasser. Sein Herz brach, und alles was darin war, wurde ausgeschüttet. Blut und Wasser flossen heraus (Joh 19,34). Als David jene drei Helden ins feindliche Lager nach Wasser schickte und sie heil zurückkehrten, trank er es nicht, sondern schüttete es vor dem Herrn aus (2Sam 23); so hat Jesus Sein Herz für uns ausgeschüttet (1Sam 14,14; Lk 22,44). Noch den letzten Tropfen Blut, der in Seinem Herzen war, vergoss Er zur Sühnung und Reinigung unserer Sünden.
Seine tiefe Schmach (V. 18). Entblößt hing Er zur Schau aller am Kreuz. Er selbst betrachtete alle Seine Gebeine und sah zugleich auch die Augenweide Seiner Feinde. In Hebräer 12,3 werden wir aufgefordert, Ihn zu betrachten. Wer denkt nicht an das Wort in Klagelieder 1,12: „Schauet und sehet! Ist wohl ein Schmerz wie mein Schmerz, der mich getroffen hat?“ Schau wie der Hauptmann, dann wirst du wie er an deine Brust schlagen und bekennen: und das wegen meiner Sünde.