Einleitung
Mit diesem Psalm beginnt eine Reihe von drei Psalmen, in denen wir den Herrn Jesus als den Hirten sehen:
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Psalm 22 spricht von „dem guten Hirten“ der sein Leben für seine Schafe gibt (Joh 10,11).
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Psalm 23 spricht von „dem großen Hirten“, der von Gott aus den Toten auferweckt wurde (Heb 13,20) und der die Seinen leitet, nährt und beschützt.
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Psalm 24 spricht vom „Erzhirten“, der in Macht erscheinen und all jene belohnen wird, die einen Dienst als Hirte unter seinem Volk geleistet haben (1Pet 5,4).
Wir sehen die folgenden Aspekte in Psalm 22 – Psalm 23 – Psalm 24, in der Reihenfolge dieser Psalmen:
Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Heiland – Hirte – Herrscher.
Kreuz – Stab – Krone. Golgatha – grüne Auen – Zion.
Die Forderung der Heiligkeit Gottes – die Not der Seinen – die Herrlichkeit des Sohnes.
Psalm 22 ist unmissverständlich ein messianischer Psalm, wie das Zitat dieses Psalms in Hebräer 2 (Ps 22,22; Heb 2,12) beweist. Das ganze Buch der Psalmen weist auf Ihn hin (Lk 24,44), wobei die messianischen Psalmen dies sehr deutlich tun. Obwohl er ein Gedicht von David ist, handelt er nicht von David, sondern von Christus. David spricht als Prophet von Ihm (vgl. Apg 2,29.30).
In diesem Psalm geht es um den Tod des Erlösers am Kreuz. Hier finden wir eine Ausarbeitung dessen, was wir bereits in Psalm 20 über „den Tag der Drangsal“ des Messias gelesen haben (Ps 20,1b). Wir hören Ihn von seinen inneren Gefühlen sprechen, von dem, was in Ihm vorging während der Stunden, die Er am Kreuz hing. In den Evangelien lesen wir besonders über sein sichtbares Leiden.
Einige Merkmale, die im Psalm erwähnt werden, zeigen, dass wir nicht in erster Linie die Erfahrungen Davids hören, sondern die des Herrn Jesus. Wenn wir in Vers 17 lesen, „sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben“, dann ist das nicht etwas, was David erlebt hat – zumindest nicht im wörtlichen Sinn. Dies geschah mit dem Herrn Jesus, als Er gekreuzigt wurde. Der Tod durch Kreuzigung existierte noch nicht, als David dies schrieb, ca. 1100 v. Chr. Auch die Zertrennung der Gebeine deutet auf die Kreuzigung hin (Vers 15), ebenso wie die Zählung der Gebeine, die geschehen konnte, weil der Gekreuzigte (weitgehend) entkleidet war, während sein Körper dehydriert war (Verse 17.18).
Die Gefühle, die David in diesem Psalm zum Ausdruck bringt, sind das Ergebnis einer schweren Prüfung, über die wir nichts weiter wissen. Doch soweit wir wissen, gibt es in diesem Psalm kein Ereignis, das auf konkrete Erfahrungen aus seinem Leben hinweisen kann. Was er sagt, geht über seine Gefühle und Erfahrungen hinaus. Der Heilige Geist hat ihn so geführt, dass er hier prophetisch die Gefühle des Herrn Jesus am Kreuz beschreibt.
Der Psalm kann in zwei Hauptteile unterteilt werden.
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Im ersten Teil (Verse 1–21a) geht es um „die Leiden, [die] auf Christus [kommen sollten]“ (1Pet 1,11).
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Im zweiten Teil (Verse 21b–32) geht es um „die Herrlichkeiten danach“ (1Pet 1,11).
Der Herr Jesus spricht über diese beiden Aspekte, wenn Er zwei Jüngern, die nach Emmaus unterwegs sind, erklärt, was in allen seinen Schriften geschrieben steht: „Sollte nicht der Christus dies erleiden und [so] in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26.27). Das sehen wir in diesem Psalm: Der Psalm wechselt von einer Klage zu einem Lobgesang.
Verse 1 | Überschrift
1 Dem Vorsänger, nach „Ajjelet Haschachar“. Ein Psalm von David.
Für den Ausdruck „Vorsänger“ siehe die Erklärung zu Psalm 4,1.
In diesem Psalm geht es aber nicht um Gefühle, mit denen sich ein Gläubiger aufgrund ähnlicher Erfahrungen identifizieren und seine eigenen Gefühle ausdrücken kann. Das gemeinsame Singen dieses Psalms sollen die Leiden des Messias besingen und eine tiefe Bewunderung für Ihn zum Ausdruck bringen. Es ist ein Ausdruck von Gefühlen, die durch den Psalm erzeugt werden, nicht von Gefühlen der eigenen Erfahrungen.
Sicherlich kann sich ein Mensch unsagbar elend und sogar von Gott verlassen fühlen. Dies wird auch das Gefühl des gläubigen Überrestes während der großen Drangsal sein. Viele Psalmen sprechen vom Leiden des Erlösers in einer Weise, die auch das Leiden des Überrestes widerspiegelt. Darin liegt ein Trost für den Gläubigen. Aber in diesem Psalm ist das Leiden mit dem Versöhnungswerk des Erlösers verbunden, und in diesem ist Er allein.
Das Singen des Psalms geschieht „nach „Ajjelet Haschachar“. Der hebräische Ausdruck Ajjelet Haschachar bedeutet „Hirschkuh der Morgenröte“. Während der Psalm die tiefe Dunkelheit des einzigartigen Leidens des Erlösers am Kreuz beschreibt, enthält die Überschrift auch die Lieblichkeit der Hirschkuh, während die Morgenröte des Sieges anbricht. Die ersten Strahlen des Sonnenlichts, kurz vor der Dämmerung, ähneln den Hörnern der Hirschkuh. Hier ist es ein Hinweis auf den Beginn der Erlösung.
David dichtet diesen Psalm für den Vorsänger. Die Absicht ist, dass andere etwas vom Inhalt dieses Psalms erfahren, indem sie davon singen. Wie gesagt, ist die Melodie genannt „Hirschkuh der Morgenröte“. Es erinnert uns an das, was in Hohelied 6 geschrieben steht: „Wer ist sie, die da hervorglänzt wie die Morgenröte …?“ (Hld 6,10). Die Erlösung erscheint an diesem Morgen ohne Wolken auf der Bühne. Christus hat immer an sie am Kreuz, in dieser ängstlichen Verlassenheit von Gott, gedacht, die Er als Frucht seiner Arbeit besitzen würde. Es war ein wesentlicher Teil der Freude, die vor Ihm lag.
Es ist ein düsteres Lied, aber nicht ohne Hoffnung. Dieser Psalm gibt die Antwort auf das Geheimnis, warum Gott nach der langen Nacht der Sünde und des Leidens einen neuen Tag, die Morgenröte, anbrechen lässt: weil der Herr Jesus am Kreuz zur Sünde gemacht wurde.
Für den Ausdruck „Psalm von David“ siehe die Erklärung zu Psalm 3,1.