Einleitung
Daniel 6 ist das letzte Kapitel des historischen Teils des Buches. Es stellt einen Höhepunkt der prophetischen Auslegung dar. Daniel 1-5 spielt im babylonischen Reich. Daniel 6 spielt unter der Herrschaft der Meder und Perser. Das babylonische Reich existierte etwa 70 Jahre; das Reich der Meder und Perser sollte etwa 210 Jahre existieren.
In den verschiedenen Begebenheiten von Daniel 3-6 werden die moralischen Eigenschaften der herrschenden heidnischen Mächte dargestellt. Darin sehen wir eine zunehmend feindliche Haltung gegenüber Gott.
In Daniel 3 verunglimpft Nebukadnezar Gott, indem er Ihn als einen Gott darstellt, der nicht erlösen kann (Dan 3,15b).
In Daniel 4 ignoriert Nebukadnezar Gott und prahlt mit seinen Werken als Ergebnis seines eigenen Einsatzes und Verdienstes (Dan 4,27).
In Daniel 5 widersetzt sich Belsazar Gott und beleidigt Ihn, indem er mit den Gefäßen aus dem Haus Gottes Spott treibt und seine eigenen Götter rühmt (Dan 5,23).
In Daniel 6 erreicht die Feindschaft gegen Gott ihren Gipfel. Hier sehen wir einen Herrscher, einen Menschen, der Gott vom Thron stößt und den Platz Gottes einnimmt (Dan 6,8-10).
Dieser Abfall von Gott wird uns im Neuen Testament als Charakteristikum des Endes der Zeiten der Nationen vorgestellt. Im zweiten Brief an die Thessalonicher sagt Paulus den kommenden Abfall voraus und bezieht ihn auf die Offenbarung „des Menschen der Sünde, der Sohn des Verderbens, der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott heißt oder verehrungswürdig ist, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei“ (2Thes 2,3.4). Aus Offenbarung 13 erfahren wir, dass dieser Mensch der Sünde das zweite Tier ist, das Tier aus der Erde (Off 13,12.15). Das Dekret von Darius, jede Bitte nur an ihn zu richten, ist eine Vorahnung der Handlungen dieses durch und durch bösen Menschen.
Übrigens ist es gut zu beachten, dass es hier nur um ein Dekret geht, und nicht um den Menschen Darius. Als Mensch scheint Darius einen besseren Charakter gehabt zu haben als der zügellose und eigenwillige Belsazar, den wir im vorherigen Kapitel vor uns hatten. In diesem Kapitel gibt er sich Daniel gegenüber wohlwollend. Es besteht kein Zweifel darüber, dass er Daniel aufrichtig bewundert. Wegen ihm hat er sogar eine schlaflose Nacht und ist sehr erleichtert, als er feststellt, dass Daniel noch lebt. Schließlich kommt er, genau wie Nebukadnezar, zu der Erkenntnis, dass es nur einen Gott gibt: den Gott Daniels.
Allerdings ist hier auch Vorsicht geboten. Denn wir müssen darauf achten, dass wir uns nicht zu sehr von bestimmten Eigenschaften beeindrucken lassen, die uns angenehm erscheinen. Es muss nicht überraschen, wenn sich herausstellt, dass sogar der Mensch der Sünde ein außerordentlich charmanter, attraktiv aussehender Mann sein wird, jemand, den man sympathisch findet. Seine Verderbtheit kommt aus dem Herzen.
Verse 1 | Das Reich der Meder und Perser
Und Darius, der Meder, bekam das Königreich, als er ungefähr zweiundsechzig Jahre alt war.
Darius ist ein Meder, und kein Perser. Vers 29 dieses Kapitels spricht von „der Regierung des Darius“ und „der Regierung Kores’, des Persers“. Medien und Persien sind zwei verschiedene Reiche, die die Herrschaft gemeinsam ausüben. Dies haben wir bereits an den beiden Silberarmen des Bildes gesehen (Dan 2,32). Es zeigt sich jedoch auch in Daniel 7 in den beiden Seiten des Bären, wo eine Seite stärker ist als die andere (Dan 7,5) und in Daniel 8 im Widder mit den zwei Hörnern (Dan 8,20). Der mächtigste Mann ist Kores, der Perser. Er hat die allgemeine Herrschaft. Wegen der Größe seines Reiches hat er das Königtum über das Reich der Chaldäer, also den babylonischen Teil des medo-persischen Reiches, Darius, dem Meder, übertragen (Dan 9,1). Darius ist mit dem gleichen Gebiet und der gleichen Stadt verbunden, in der Daniel schon immer gelebt hat.