Behandelter Abschnitt Hes 19,10-14
Verse 10–14 | Der verdorrte Weinstock
10 Deine Mutter war wie ein Weinstock wie du, an Wassern gepflanzt; vom vielen Wasser wurde er fruchtbar und voll Ranken. 11 Und er bekam starke
Zweige zu Herrscher-Zeptern, und sein Wuchs erhob sich bis zwischen die Wolken; und er wurde sichtbar durch seine Höhe, durch die Menge seiner Äste. 12 Da wurde er ausgerissen im Grimm, zu Boden geworfen, und der Ostwind ließ seine Frucht verdorren; seine starken Zweige wurden abgerissen und dürr, Feuer verzehrte sie. 13 Und nun ist er in die Wüste gepflanzt, in ein dürres und durstiges Land. 14 Und ein Feuer ist ausgegangen vom Gezweig seiner Ranken, hat seine Frucht verzehrt; und an ihm ist kein starker Zweig mehr, kein Zepter zum Herrschen. – Das ist ein Klagelied und wird zum Klagelied.
In dem zweiten Gleichnis wird Israel, „deine Mutter“, mit einem Weinstock verglichen (Vers 10; Jer 2,21). Es ist ein fruchtbarer Weinstock. Die „starken Zweige“ erinnern an mächtige Herrscher, die in der Vergangenheit auf dem Thron Davids regiert haben (Vers 11). Zedekia ist der Zweig, der sich aus den vielen Zweigen erhebt. Er wird zum König erhoben über die Fürsten des Hauses David, die ihn umgeben, und er strahlt inmitten von ihnen. Er scheint eine Zukunft zu haben wegen der Söhne, die ihm geboren werden, „die Menge seiner Äste“.
Doch der Grimm des HERRN entbrennt gegen ihn wegen seiner Bosheit (Vers 12). Deshalb wird ihm das Königtum im Grimm weggenommen. Das Werkzeug des göttlichen Gerichts ist der „Ostwind“, das sind die Babylonier. Dieser Ostwind lässt alle Früchte des Weinstocks verdorren, d. h. den ganzen Wohlstand des Landes schwinden.
Der Überrest Israels wird „in die Wüste gepflanzt“, das heißt, er wird nach Babel weggeführt in „ein dürres und durstiges Land“ (Vers 13). Babel ist zu dieser Zeit ein fruchtbares Land, aber für den Israeliten ist es bildlich gesehen fruchtlos.
Das Feuer, das von den Zweigen ausgeht (Vers 14), ist eine Anspielung auf die Rebellion Zedekias. Dieses Feuer aber verzehrt sich selbst und die, die unter seinem Einfluss stehen, „seine Frucht“. Das Ergebnis ist, dass die Herrschaft des Hauses David aus und vorbei ist: Es ist „kein starker Zweig mehr“ übrig.
Hesekiel singt dieses Klagelied, als das Gericht noch nicht über Zedekia gekommen ist. Er sieht aber im Glauben das Ende des Königtums und klagt tief darüber. Der Verlauf der Ereignisse bestätigt seine prophetische
Sichtweise und lässt dieses Klagelied im Glauben – „das ist ein Klagelied“ – zu einer Klage über die Realität werden – „und wird zum Klagelied“.