Verse 4 | Die Kraft sinkt
Und Juda sprach: Die Kraft der Lastträger sinkt, und es ist viel Schutt da, und so vermögen wir nicht [mehr] an der Mauer zu bauen.
Trotz Nehemias Standhaftigkeit, Entschlossenheit und Vertrauen auf Gott bleiben die Angriffe des Feindes nicht ohne Folgen. Das Volk wird unruhig. Besonders Juda ist unter den Einfluss der Gegner gekommen. Nicht, dass sie Angst vor dem Widerstand bekommen haben. Der Einfluss zeigt sich auf eine andere Weise. Sie messen die Menge der noch zu leistenden Arbeit an dem Rest ihrer Kräfte und ziehen den Schluss, dass das Verhältnis davon verloren geht. Es wird immer Menschen geben, die eine Entschuldigung für die Trümmerhaufen haben. Sie wollen alles so lassen, wie es schon immer gewesen ist.
Dass sie wenig Kraft haben, ist wahr. Dass viel Schutt da ist, ist auch wahr. Aber die Schlussfolgerung, dass es daher keinen Sinn macht, weiter zu bauen, kommt aus dem Unglauben. Unglaube ist das Ergebnis des Anschauens der Probleme ohne Gott. Die Absonderung muss beibehalten werden, wie groß die Schwachheit auch ist und wie sehr der Verfall in der Christenheit auch eingedrungen ist. Eine Frage wie „Hat es noch einen Sinn, wo der Verfall so groß ist?“ ist ein Nährboden für Entmutigung. Fragen mit diesem Inhalt werden sich zunehmend aufdrängen, in dem Maße, wie der Widerstand zunimmt. Der Glaube rechnet dagegen mit Gott. Es geht nicht um die Kraft des Volkes, sondern um die Kraft Gottes.
Ausgerechnet Juda gibt den Mut auf. Der Königsstamm, durch Jakob in seiner Prophezeiung „junger Löwe … Löwe … Löwin“ (1Mo 49,9) genannt, die Elite der Arbeiter, weiß nicht mehr weiter. Das ist eine große Prüfung für Nehemia. Aber das Wort „aufgeben“ kennt er nicht, so überzeugt, wie er von seiner göttlichen Mission ist. Natürlich ist dort viel Schutt. Nebukadnezar hat seine Arbeit gründlich gemacht. Er hat keinen Stein auf dem anderen gelassen. Aber bevor dort gebaut werden kann, muss der Schutt erst beseitigt und die ursprünglichen Fundamente freigelegt werden. Mauern können nicht auf Trümmern gebaut werden. Erst in die Tiefe, dann in die Höhe.
Schutträumen ist keine dankbare Arbeit. Man wird ständig mit dem Versagen konfrontiert. Und solange dort nicht gebaut werden kann, scheint es keinen Fortschritt zu geben. In der Christenheit ist viel ans Licht gekommen, was nicht von Gott ist. Falsche Lehren, Sektierertum und sündige Lebensweisen müssen weggetan werden, bevor die gesunde Lehre Einzug halten kann.
Man kann noch eine Lektion aus dem Moment ziehen, in dem die Männer von Juda aufseufzen und drohen, den Mut aufzugeben. Dieser schwierige Moment ist gekommen, als die Mauer zur Hälfte fertiggestellt ist, als die Hälfte der Arbeit geschafft ist. So ein Moment ist im Leben eines Christen wiederzuerkennen, wenn die ersten Tage seiner Bekehrung vorbei sind, so wie die ersten Erfahrungen mit Gott im Wunder der Errettung. Der anfängliche Enthusiasmus verblasst, das Tempo verringert sich, man wird müde, während ja noch ein ganzes Stück zu gehen ist.
Man könnte sagen, dass die „Midlife-Crisis“ eingetreten ist. Man bekommt das Gefühl, dass das, was schon geschehen ist, nicht beendet ist, und dass der Weg, der noch gegangen werden muss, zu lang ist. Was bereits geschehen ist, rückt immer mehr in den Hintergrund. Du schaust nach vorne, auf die ganze Arbeit, die noch geschehen muss, aber du fühlst deine Unfähigkeit. Was hinter dir liegt, hat für dein Gefühl zu viel von deinen Kräften verlangt. Du willst es dabei belassen, es ist genug gewesen. Du bist nicht mehr bereit für eine neue Herausforderung, das ist zu viel verlangt. Hör dann auf die Ermutigung aus Gottes Wort: „Lasst uns aber nicht müde werden, Gutes zu tun, denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten“ (Gal 6,9).