Behandelter Abschnitt Phil 1,3-5
Einleitung
In den Briefen an die Epheser und an die Kolosser zeigt uns Gott unseren Platz mit Christus; in dem Brief an die Philipper hingegen sehen wir den Gläubigen durch diese Welt gehen, als Christ in der Welt wandeln. Es handelt sich darin nicht um eine Lehre, sondern wir sehen den Gläubigen in der Kraft des Geistes Gottes dem Kampfpreis entgegeneilen; denn das wahre Kennzeichen des Christen ist, dass er den Wettlauf ganz und gar in dieser Kraft des Geistes vollbringt. Daher wird in diesem Brief nicht von der Sünde gesprochen – das Wort Sünde kommt nicht ein einziges Mal vor –, auch nicht vom Kampf im eigentlichen Sinn des Wortes. Nicht als ob der, der läuft, den Preis schon erlangt habe, aber er tut stets nur eins: Er jagt in der Kraft des Geistes Gottes hin zu dem Kampfpreis. Er hat ihn noch nicht ergriffen, doch sein einziges Bestreben ist, ihm entgegenzueilen. Er ist über alles erhaben, was in ihm und was in der Welt ist, ja völlig erhaben über alle Umstände.
Der Brief an die Philipper ist der Brief der Erfahrung, aber einer Erfahrung gemäß der Kraft des Geistes Gottes. Wir lernen, dass, obwohl wir versagen, es dennoch möglich ist, in der Kraft des Geistes Gottes zu wandeln – nicht als ob das Fleisch verändert sei oder man dem Gedanken Raum geben dürfe, das Ziel sei erreicht (denn auf der Erde gibt es keine Vollkommenheit). Wohl aber ist es möglich, stets in einer Weise zu handeln, die mit unserer Berufung, Christus in der Herrlichkeit zu erreichen, übereinstimmt. Da gibt es kein Streben nach stufenweisen Fortschritten in der Welt; der Christ wird betrachtet als erhaben über jede Art von Umständen, Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten; er sieht seinen Weg über diesem allen.
Das Vorhandensein eines Weges für uns beweist, dass wir den Ort, wohin Gott den Menschen gestellt hat, verlassen haben; der Weg zeigt, dass wir nicht daheim sind. Es ist gesegnet, in der Wüste einen Weg zu haben, und dieser Weg ist selbstredend Christus. Adam bedurfte keines Weges; er hätte ruhig in Eden bleiben können, wenn er Gott gehorsam gewesen wäre. Wir aber sind von Ägypten ausgezogen und noch nicht in Kanaan angelangt, wir eilen dem Ziel entgegen. Zahllose Dinge kommen auf dem Weg zum Vorschein; das Einzige jedoch, was wir tun müssen, ist zu laufen. Bei jedem Schritt gewinnen wir mehr von Christus, so wie wir von einer Lampe, die am Ende eines langen Weges brennt, immer mehr Licht empfangen, je näher wir kommen: Die Lampe selbst haben wir nicht erreicht, wohl aber nimmt ihr Licht für uns mit jedem Schritt zu. Wir sind von der Herrschaft des eignen Ich ganz befreit und werden durch einen Beweggrund geleitet, der über den Umständen steht, so dass diese keinen Einfluss auf uns ausüben, obwohl wir nicht unempfindlich gegen sie sind.
Phil 1,3-5: 3 Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch 4 allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue, 5 wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt, …
Die Philipper hatten regen Anteil am Evangelium genommen und ein liebendes Herz gezeigt.
Wie unaufhörlich flehte der Apostel für sie alle! Sooft er betete, erwähnte er sie. Er trug die Versammlung Gottes auf dem Herzen und ebenso jeden einzelnen Heiligen. Er dachte an all das Gute unter ihnen und dankte Gott dafür. Welch ein Interesse hatte er für die Heiligen! Stets waren seine Gedanken mit ihnen beschäftigt. Sogar zu den Korinthern sagt er: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen“ (1Kor 1,4).
Woran Christus denkt, daran sollten auch wir denken. Wenn Christus mein Leben und durch den Geist die Quelle meiner Gedanken ist, so werde ich in allen Dingen seine Gedanken haben; denn dann ist das vorhanden, was Christus angemessen ist. Ich habe mich inmitten der Umstände so zu verhalten, wie Christus sich verhalten würde: Das ist das christliche Leben. Es ist nie notwendig für uns, irgendetwas Böses zu tun; es ist nie notwendig, irgendwie nach dem Fleisch zu handeln. Auch wenn das Fleisch vorhanden ist – warum sollte ich meine Gedanken durch das Fleisch leiten lassen? Ich werde es nicht tun, wenn ich mit Christus erfüllt bin, denn Er ist es, der mir die Gedanken einflößt.
Wenn ich den Sinn und die Gedanken Christi verstanden habe, werde ich nicht ertragen können, in den Heiligen Böses zu erblicken; ich wünsche, sie Christus ähnlich zu sehen. Christus wirkt jetzt in den Herzen der Heiligen – „damit er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort“ (Eph 5,26) –, und es ist angemessen, dass ich mit Ihm in demselben Geist wandle; aber dies vermag ich nur dann, wenn bei mir selbst alles in Ordnung ist. Christus gibt sich zuerst selbst für die Seinen hin, und dann ist Er damit beschäftigt, sie zu reinigen und so darzustellen, wie Er sie haben will; das sollten auch unsere Herzen durch die Fürbitte tun wollen. Die Kraft dazu ist reichlich vorhanden, obwohl unser Standpunkt ein höchst niedriger ist. Der Herr kann seine Gnade entfalten wie in den herrlichsten Tagen des Apostels. Zur Zeit, als man David nachjagte, „wie man einem Rebhuhn nachjagt auf den Bergen“ (1Sam 26,20), gab es viel mehr Ursache zur Freude als inmitten all der Herrlichkeit Salomos: In den Tagen der Leiden Davids war die Macht des Glaubens vorhanden.
Wir sollen mit allen Heiligen „völlig erfassen“ (Eph 3,18). Wir schmälern unsere Segnung, wenn wir nicht alle einschließen. Wir sind mit Christus dazu befähigt, und wenn wir mit Ihm wandeln, so müssen wir ihretwegen in Frieden sein. Die Fürbitte für die Heiligen befähigt denjenigen, der sie ausübt, alles Gute zu sehen, das in ihnen ist. Dies beweisen uns die Briefe, mit Ausnahme des Briefes an die Galater. In diesem Brief spricht der Apostel nicht von dem, was er loben konnte. Er greift hier von vornherein das Böse an, weil die Galater sich von der Grundlage des Christentums abgewandt hatten. Würden wir mehr für die Heiligen beten, so würden wir mehr Freude an ihnen haben, und unser Mut wegen ihnen würde zunehmen. Es ist immer verwerflich, wenn wir, was die Heiligen betrifft, den Mut verlieren, obwohl es möglich ist, dass wir in die Lage des Propheten Jeremia kommen. Zu ihm sprach der Herr: „Bitte nicht für dieses Volk“ (Jer 7,16). Der Herr ist stets gegenwärtig, und an seiner Liebe wird es nie fehlen; wir dürfen daher mit Freude, Trost und Mut auf diese Liebe rechnen. Selbst nachdem der Apostel zu den Galatern gesagt hatte: „Ich bin euretwegen in Verlegenheit“, fügte er hinzu: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn“ (Gal 4,20; 5,10), indem er sofort seinen Blick auf Christus richtete. Er sah die Heiligen unter dem sorgsamen Auge Christi, der stets bereit war, sie zu segnen.
Inwieweit betrachten wir alle Heiligen mit dem Herzen Christi und sind also getröstet und ermuntert, weil wir wissen, dass dort Gnade genug für sie vorhanden ist?
Behandelter Abschnitt Phil 1,3-8
Phil 1,3-8: Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch allezeit in jedem meiner Gebete, indem ich für euch alle das Gebet mit Freuden tue, wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt, indem ich eben darin guter Zuversicht bin, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi; wie es für mich recht ist, dass ich dies über euch alle denke, weil ihr mich im Herzen habt und sowohl in meinen Fesseln als auch in der Verteidigung und Bestätigung des Evangeliums ihr alle meine Mitteilnehmer der Gnade seid. Denn Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen Christi Jesu.
Die Liebe der Philipper, die in der Sendung einer Unterstützung an den Apostel ihren Ausdruck fand, erinnerte ihn an die geistliche Haltung, die sie immer gezeigt hatten. Sie hatten von Herzen an den Mühen und Trübsalen des Evangeliums teilgenommen. Und dieser Gedanke führt den Apostel zu dem hin, was den Gedankengang in dem Brief beherrscht. Wer hatte in den Philippern diesen Geist der Liebe und der Hingabe an das Evangelium gewirkt? Es war ohne Frage der Gott der Frohen Botschaft und der Liebe. Und diese Tatsache bürgte dafür, dass der, welcher das gute Werk angefangen hatte, es auch vollenden würde bis auf den Tag Christi. Ein schöner Gedanke für die Jetztzeit, wo wir weder den Apostel noch Aufseher und Diener haben wie die Philipper sie in jenen Tagen besaßen! Gott kann uns nicht genommen werden. Die wahre und lebendige Quelle aller Segnungen bleibt uns unveränderlich. Sie ist erhaben über die Schwachheiten und selbst über die Fehler, mit denen wir uns selbst der Hilfsquellen berauben, durch die Gott uns segnen wollte. Der Apostel hatte Gott in den Philippern wirksam gesehen. Die Früchte ihres Lebens gaben Zeugnis von der Quelle. Deshalb rechnete er auf die ununterbrochene Fortdauer des Segens, den sie genossen. Jedoch muss Glaube vorhanden sein, um diese Schlüsse zu ziehen. Die christliche Liebe sieht klar und hat volles Vertrauen bezüglich derer, die sie liebt, weil Gott selbst und die Wirksamkeit seiner Gnade in dieser Liebe sind.
Geradeso ist es – um zu dem Grundsatz zurückzukehren – mit der Versammlung Gottes. Sie mag viel verloren haben hinsichtlich der äußeren Mittel zur Auferbauung und jener Offenbarungen der Gegenwart Gottes [durch die Gaben, die von den Gliedern des Leibes Christi ausgeübt werden] die mit der Verantwortlichkeit des Menschen in Verbindung stehen. Aber die wirkliche Gnade Gottes kann nie verlorengehen. Der Glaube kann stets auf sie rechnen. Es waren die Früchte der Gnade, die dem Apostel dieses Vertrauen gaben; genauso wie in Hebräer 6,9.10 und 1. Thessalonicher 1,3.4. In 1. Korinther 1,8 und in dem Brief an die Galater rechnete er auf die Treue Christi, trotz vieler schmerzlicher Dinge. Die Treue des Herrn ermutigte ihn selbst in Bezug auf Christen, deren Zustand in anderer Hinsicht Ursache zu großer Sorge gab.
Hier im Philipperbrief haben wir einen weit glücklicheren Fall. Der Wandel der Christen führte ihn selbst zu der Quelle des Vertrauens ihretwegen. Er erinnerte sich mit zärtlicher Liebe daran, wie sie stets gegen ihn gehandelt hatten. Und das bringt den Wunsch in ihm hervor, dass der Gott, der diese Dinge gewirkt hatte, zu ihrem eigenen Segen die vollkommenen und reichlichen Früchte jener Liebe hervorbringen möchte. Zugleich öffnet er ihnen sein eigenes Herz. Indem dieselbe Gnade in ihnen wirkte, nahmen sie teil an dem Werk der Gnade Gottes in dem Apostel. Und sie taten es mit einer Liebe, die sich mit ihm und seinem Werk einsmachte: Daher wandte sich das Herz des Apostels ihnen mit überströmender Gegenliebe und mit Wünschen für ihr Wohl zu. Gott, der die Quelle dieser Gefühle war und vor dem Paulus alles kundwerden ließ, was in seinem Herzen vorging – derselbe Gott, der in den Philippern wirkte, bezeugte, wie sehr Paulus, der seine Liebe aufgrund seiner Fesseln jetzt nicht mehr bezeugen konnte, sich nach ihnen allen sehnte.