Behandelter Abschnitt Hld 6,3
„Ich bin meines Geliebten; und mein Geliebter ist mein, der unter den Lilien weidet“ (Hld 6,3).
Das ist eine liebliche Melodie, ein erhabenes Lied; aber der Glaube kann es singen. Es ist die Sprache einer Seele, die sich selbst aus den Augen verloren hat. „Ich bin meines Geliebten.“ Es ist eine wahre Herzensbeschäftigung mit Christo, die Seele geht in Seine Gedanken, Seine Liebe, Gnade und Freude ein, statt sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen, mit dem eigenen Glauben und Dienst zu beschäftigen. Das Auge, das Herz, die Gedanken, die Lippen – alles ist voll von Christus und mit Ihm beschäftigt. In Hld 2,16 sagt die Braut: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein.“ Dort steht die Freude, Christus zu besitzen, im Vordergrund: Er ist mein. Hier aber ist es die tiefere Freude, Christus anzugehören! ich bin Sein. Beide Arten von Freude sind gesegnet, aber die Freude, die aus dem Bewusstsein fließt: ich bin Sein, bekundet einen göttlichen Fortschritt.
Wir verstehen sehr wohl, dass eine Seele, die aus ihrem Sündenschlaf aufgewacht ist und dann die Wahrheit im Glauben aufnimmt, voller Freude ausruft: „Ich glaube jetzt an Jesus; ich weiß, dass ich an Ihn glaube; ich weiß, dass Er am Kreuz für mich gestorben ist; Er hat Sein Blut für mich vergossen, und jetzt kann ich Ihm völlig vertrauen.“ Eine Seele, die aus der Finsternis in das wunderbare Licht Gottes gebracht, und von der schweren Last ihrer Sünden, von Zweifeln und Befürchtungen aller Art befreit ist, kann in den Siegesruf ausbrechen: „Jesus ist mein!“ Es ist alles, was man für den Augenblick erwarten kann, und sicher, es ist etwas Großes und überaus Herrliches! – Hernach aber, wenn die Seele ruhiger geworden ist, wenn der erste Freudenrausch sich gelegt hat, erwartet man mit Recht etwas anderes. Nicht dass jene Freude über den Besitz Jesu sich vermindern sollte. Keineswegs! aber die Seele soll fortschreiten von der Erkenntnis der Wahrheit bezüglich ihrer eigenen Errettung zur Erkenntnis. der Quelle aller ihrer Segnungen. Sie sollte sich fragen: Woher kommt das neue Leben, das ich besitze? Wo ist Seine Quelle? Woher alle diese Gnade und Güte gegen mich, ein solch sündiges, verdammungswürdiges Geschöpf? Wer hat den Pulsschlag des ewigen Lebens in meiner einst toten Seele erweckt? Wenn die Seele auf diese Weise nach und nach lernt, dass das ewige Leben und jede Segnung nur die Frucht der Liebe Gottes in Christus gegen sie ist, so wird sie zu Jesus Selbst hingezogen, an Seine Person gefesselt und mit Seiner vollkommenen Liebe beschäftigt.
Das Auge wendet sich von dem eigenen Ich ab auf Jesus hin. Alle Furcht verschwindet, denn die Furcht hat Pein. „Gott hat uns ewiges Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn“ (1Joh 5,11). – „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ (Joh 5,25). So wird die Seele in die innigste Verbindung mit dem Sohn des lebendigen Gottes droben gebracht; und indem sie lernt, dass alle Quellen ihres Segens dort sind, erhebt sie sich bis zu Ihm. „Ich bin meines Geliebten, und mein Geliebter ist mein“, wird der wahrheitsgetreue Ausdruck ihres Glaubens.