Behandelter Abschnitt Hld 1,14
„Eine Zypertraube (Der traubenförmige Blütenbüschel der Zyperpflanze) ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von En-Gedi“ (Hld 1,14).
Das Bündel Myrrhe wird vor den Blicken im Busen verborgen; aber die Zypertraube ist ein Gegenstand für das Auge, sie wird offen in der Hand getragen. Die Myrrhe ist der Lebenssaft des arabischen Balsambaumes, der durch die geborstenen Teile der Rinde hervortröpfelt, ähnlich wie das Blut aus den Adern oder die Tränen aus dem Auge. Die Zypertrauben wachsen in dichten Büscheln und sind ebenso schön wie wohlriechend. „Dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne“ (Eph 3,17), war das Gebet des Apostels. Zugleich sollen wir „allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde“ (2Kor 4,10).
Wie unterschiedlich sind die Gedanken, die durch einen Baum in uns erweckt werden, der in voller Blüte steht, und die ein verwundeter Baum hervorruft, dessen Lebenssaft gleichsam aus seinen Adern fließt. Der eine ist das Bild der Lebenskraft, der andere das Bild des Todes. Die zarte Knospe, die ihren Weg durch den harten Bast des Winters findet, ist immer ein treffendes und interessantes Bild von der Auferstehung; die Blüten und Früchte sind die Offenbarungen der Kraft des Lebens und der reichen Segnungen für den Menschen. Das winzige Samenkorn, das dem Boden anvertraut und mit Erdschollen bedeckt wird, mag eine Zeitlang hoffnungslos verloren scheinen; aber wenn die warme Frühlingssonne kommt, wird bald durch die in dem Körnlein schlummernde Lebenskraft jedes Hindernis überwunden, das zarte Blatt erscheint, und in kurzer Zeit wogt die goldene Ähre triumphierend im Wind.
Wie lieblich sind alle diese Dinge, und noch Herrlicheres finden wir in dem Stab Aarons vorgebildet, der durch die Wirkung der Gnade Gottes sprosste und Blüten trieb (4Mo 17). In einer Nacht brachte der dürre Stab, ein Stück totes Holz, Knospen, Blüten und Früchte hervor. Herrliches Vorbild von einem auferstandenen Christus, der in der Auferstehung Frucht bringt. Hier lernen wir in Vorbildern und Schatten, dass wir einen auferstandenen Jesus nötig haben, unseren großen Hohenpriester, damit Er uns durch die Wüste in das Land Kanaan führe. Die Gnade herrscht in dem Priestertum und errettet das Volk. Nichts weniger als der priesterliche Dienst Jesu kann unseren Bedürfnissen begegnen. Er, der starb, um uns rein zu machen, lebt jetzt, um uns rein zu erhalten. Er ist alles: unser Opfer, unser Priester und unser Sachwalter bei dem Vater. Das Blut der Versöhnung und das Wasser der Reinigung flossen zugleich aus der geöffneten Seite Jesu hervor.
Wie lieblich für das Auge und duftend für das Herz ist unser auferstandener, erhöhter und verherrlichter Herr. Seine Person, Sein Dienst, Seine Beziehungen zu uns sind von unendlicher Kostbarkeit, und sie bleiben immer gleich. „Mein Geliebter ist weiß und rot, ausgezeichnet vor Zehntausenden, . . . alles an ihm ist lieblich“ (vergl. Hld 5,10.16). „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9). Die Fülle der Gnade und Herrlichkeit wohnt in Ihm. „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist“ (Kol 3,1.2). O, welche Bündel und Trauben von anziehenden Eigenschaften finden wir hier. Hätten wir nur Augen, sie zu sehen, und Herzen, sie zu verstehen!
Die Weingärten von En-Gedi waren berühmt wegen ihrer reichen Früchte und köstlichen Gewürze. Was schön für das Auge, lieblich für den Geschmack und angenehm für die Sinne ist, konnte man dort in Überfluss finden. Diese Gegenden waren außerdem dadurch berühmt, dass David mit seinen Getreuen dort einen Bergungsort fand, als er von Saul verfolgt wurde (1Sam 24,1-4). Die fruchtbaren Täler und die Festen in den umliegenden Bergen gewährten dem Gesalbten Gottes und seinen Gefährten Schutz, Nahrung und Erfrischung.
Und doch, wie schwach und unvollkommen ist das Bild, das alle die guten und kostbaren Dinge dieser Erde von den unermesslichen Reichtümern Christi zu geben vermögen! Aller Überfluss kommt von Ihm. Nichts ist reich, das Er nicht reich gemacht, nichts süß, das Er nicht süß, nichts voll, das Er nicht voll gemacht hätte; und doch ist alles, was wir jetzt von Seiner Fülle kennen, nur wie ein Tropfen aus dem Ozean. Alles Gute kommt von oben, und alles redet von Ihm. Das wirklich Gute, das in dem Geschöpf gefunden wird, erinnert nur an Ihn, in dem alle Vollkommenheit ihren Mittelpunkt findet, an Ihn, den Menschen Christus Jesus – Gott mit uns. Wandeln wir umher im Felde oder im Garten, im Tal oder auf den Bergen, bewegen wir uns in unserem gewöhnlichen täglichen Wirkungskreis, o möchte dann jeder zweite Gedanke Ihn zum Gegenstand haben, den „geliebten“ abwesenden Herrn! Die blutende Myrrhe und die blühende Zypertraube mögen uns wohl das Kreuz und die Herrlichkeit in Erinnerung rufen und uns anleiten, Dessen zu gedenken, „der unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,25).
Kein Holz hat je solche Frucht getragen für Gott und den Menschen, wie das Kreuz auf Golgatha. Dort wurde die Frage der Sünde geordnet, entsprechend den Forderungen der Herrlichkeit Gottes; und dort wurde zugleich der Feind überwunden und seine ganze Kraft völlig vernichtet. Das Kreuz ist die Grundlage unserer Vergebung, unseres Friedens, unserer Versöhnung, unserer Annahme, ja aller Segnungen für Zeit und Ewigkeit. Dort hat Gott sich offenbart in vollkommener Liebe und vollkommener Gerechtigkeit, als Den, der die Sünde hasst, aber den Sünder liebt. In dem Kreuz triumphierte die Liebe; doch Heiligkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit wurden entfaltet und verherrlicht.
Auf diesem festen Boden empfängt der größte Sünder völlige und freie Vergebung in dem Augenblick, da er an Christus glaubt; die Vergebung ist so vollkommen wie das Werk des Kreuzes selbst. Dort wurden die Sünden hinweggetan, die Sünde gerichtet, so dass der Gläubige jetzt im Blick auf die vielen Sünden seines Lebens wie auch auf die in ihm wohnende Sünde völlig ruhig sein und in heiligem Triumph ausrufen kann: „Er wurde unserer Übertretungen wegen hingegeben“ (Röm 4,25). Wo sind die Übertretungen geblieben? Hinweggetan – für immer dahin! Er, der für unsere Sünden starb, ist „aus den Toten auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters“, und damit ist die Frage der Sünde für ewig geordnet. „Er ist unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm 4,25).
Der auferstandene Jesus ist Gottes eigener Zeuge, dass der Gläubige gerechtfertigt ist. Das Werk ist vollbracht. Christus ist auferstanden; und die Folgen des Glaubens sind jene vielen duftenden Trauben des reichsten Segens für die Seele. „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir mittelst des Glaubens auch den Zugang haben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. . . Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben“ (Röm 5,1-2 und Röm 5,11).