Behandelter Abschnitt Hld 1,13
„Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht“ (Hld 1,13).
Wenn das Wagenross den Gedanken an einen bereitwilligen Dienst erweckt, und die Narde das Symbol göttlicher Anbetung ist, könnte dann nicht das „Bündel Myrrhe“ das Sinnbild eines täglichen und stündlichen Zeugnisses für Christus sein? Und was wäre als Folge einer tiefen und ununterbrochenen Gemeinschaft mit dem Herrn natürlicher als ein solches Zeugnis? Wird nicht das Herz in solch glücklichen Zeiten zum Zeugnis gestärkt? Unser Dienst wird kraft- und wirkungslos werden, sobald die persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn vernachlässigt wird. Wie kam es, dass David im Terebinthental einen solchen Heldenmut offenbarte? (1Sam 17). War es die rasche Handlungsweise jugendlicher Unerfahrenheit? Durchaus nicht. Sein Glaube hatte sich durch eine verborgene Gemeinschaft mit dem Herrn zu den Gedanken aufgeschwungen, die Gott über Sein Volk hatte. Daher seine Tapferkeit, als er an die Öffentlichkeit trat. „Gepriesen sei der Herr, mein Fels, der meine Hände unterweist zum Kampf, meine Finger zum Krieg!“ konnte er singen (Ps 144,1).
Auch wir werden durch unseren hochgelobten Herrn in Joh 7,37 über dieselbe Wahrheit belehrt: „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus da und rief und sprach: Wenn jemanden dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ Umsonst werden wir suchen, die Werkzeuge zur Stärkung und Erquickung anderer zu werden, wenn wir nicht selbst täglich und reichlich an der Hauptquelle trinken. Jedes neue Zeugnis für Christus sollte das Ergebnis neuer Gemeinschaft mit Ihm sein. O wie notwendig ist es für die Diener des Herrn, sich hieran stets zu erinnern! Vergiss es nicht, meine Seele, sondern wie einst Mose im Lande Midian, so setze auch du dich nieder an der Quelle – der Quelle des lebendigen Wassers. „Und er saß an einem Brunnen“ (2Mo 2,15). So nahe bei dem Brunnen, war Moses in der Lage, den sieben Töchtern des Priesters von Midian behilflich zu sein und ihre Herden zu tränken. Dieses liebliche Bild mag vielleicht mehr anwendbar sein auf Christus, wie Er der Braut die Quellen Seiner erlösenden Liebe öffnet; sicherlich aber ist es auch eine sehr belehrende Unterweisung für den Evangelisten. Möchten wir in unseren Herzen allezeit der Quelle des Lebens so nahe sein, dass wir ein Kanal lebendigen Wassers auch für andere werden können.
Das Herz der Braut, gleich der Frau am Jakobsbrunnen in späteren Tagen, strömt über. Sie muss die Herrlichkeit des Namens ihres Erlösers ausrufen und anderen mitteilen. Ihr Geliebter ist ihrem Herzen teurer als ein Bündel kostbarer Myrrhe dem Kaufmann. „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe.“ Das ist die gesegnete Frucht des Naheseins und der Gemeinschaft mit Ihm. Beachte auch, mein Leser, die tiefe Zuneigung, die Er in dem Herzen erzeugt. Die Braut kann in Wahrheit sagen: „mein Geliebter“. Glückliche, gesegnete Braut! „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht.“ Dort, so nahe wie möglich ihrem Herzen, birgt sie ihre süß duftende Myrrhe. Und nun, wohin sie sich auch wenden mag, überall verbreitet sie den herrlichen Wohlgeruch ihres kostbaren Schatzes.
Ein Bündel Myrrhe, im Busen getragen, durchduftet die ganzen Kleider und verbreitet seinen Wohlgeruch nach allen Seiten hin, sei es daheim oder draußen, bei der Arbeit oder bei der Ruhe, im Heiligtum oder im gesellschaftlichen Kreis; still, aber sicher, erfüllt der balsamische Duft des Gewürzes die ganze Umgebung. Und selbst wenn die Person sich entfernt hat, bleibt doch der Duft zurück, als ein Zeugnis von dem Wert Dessen, der ihrem Herzen am nächsten ist. Herrliches Vorbild. Bist du auch deinem Jesus so treu, mein lieber Leser? Ist Er tief im Inneren deines Herzens verborgen? und begleitet dich der süße Wohlgeruch Seines Namens, wohin du auch gehen magst? und bleibt er zurück, selbst nachdem du weggegangen bist?
Das sind herzerforschende Fragen. „Handelt damit, bis ich komme“, so lauteten die Abschiedsworte des verworfenen Jesus an Seine Jünger; und über die Denkzeichen Seiner Liebe, in der Er für uns starb, hat Er in wunderbarer Gnade geschrieben: „Dieses tut zu meinem Gedächtnis!“ Er hat nicht von uns verlangt, irgendetwas Großes für Ihn zu tun, oder irgendein Opfer von hohem Wert auf Seinen Altar zu legen. Nein, was Er wünscht, ist, dass wir während Seiner Abwesenheit stets Seiner eingedenk seien als des hienieden verworfenen Christus, und dass wir Ihm einen Platz in unseren Herzen einräumen. „Gedenkt meiner“, das war Seine letzte Bitte; bringt alles in euren Herzen zu mir in Beziehung. – Haben wir das getan? Tun wir es jetzt? Hat die Braut des Lammes Ihm diesen Platz in ihrem Busen gegeben und Ihn dort verborgen während der langen, finsteren Nacht Seiner Abwesenheit?
Ach, die Wünsche Seiner Liebe sind in Vergessenheit geraten! Nebenbuhler sind eingelassen worden; und schmerzlich ist es, Ihn draußen zu finden, wie Er in Seiner unermüdlichen Liebe an die Tür klopft, bis (um mit der bildlichen Sprache des Hohenliedes zu reden) „Sein Haupt voll Tau ist und seine Locken voll Tropfen der Nacht“ (Hld 5,2). Aber „die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe“ (Röm 13,12). Ja, der glückliche Tag naht heran, an dem auf Grund Seiner langmütigen Gnade die Liebe Seines himmlischen und irdischen Volkes Seiner eigenen Liebe vollkommen entsprechen wird.