Einleitung
A Geschichtlicher Abriss
Die Bücher Esra und Nehemia gehören zu den letzten Büchern der des Alten Testaments, zusammen mit dem Propheten Maleachi.
Das Südreich hatte sich durch Götzendienst verdorben, so dass Gott es in die babylonische Gefangenschaft führte. Das Buch Esra zeigt uns, wie ein Überrest aus Babylon in das Land der Väter zurückkehrte. Die Rückkehr wurde durch den persischen König Kores veranlasst (2Chr 36; Esra 1). Diesen König Kores finden wir bereits in den Prophezeiungen Jesajas, lange Zeit bevor er König wurde (Kap. 44,28; 45,1). Eine Erweckung geschieht letztlich immer von Gott aus.
Die Rückkehr aus Babel hat für uns als Christen eine vorbildliche Bedeutung. In Offenbarung 17; 18 wird die Hure, die auf dem Tier sitzt, Babylon genannt ‒ Mutter der Huren. Dort ist Babel ein symbolischer Name für die römisch-katholische Kirche. In Offenbarung 18 ist Babylon eine Bezeichnung für eine Wirtschaftsmacht in Verbindung mit der katholischen Kirche. Viele Menschen haben in der Vergangenheit – besonders zur Zeit der Reformation – die Kirche verlassen. So hat Gott eine große Erweckung durch die Reformation und später auch viele verschiedene kleinere Erweckungen geschenkt.
Wir können in dem zurückgekehrten Überrest aus Babylon eine Anwendung machen auf die Gläubigen, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts von vielen Glaubensgemeinschaften trennten, um sich allein zum Namen des Herrn Jesus zu versammeln (Mt 18,20). Das besondere Kennzeichen der aus Babel zurückgekehrten Juden war das Bauen des Altars und des Tempels. Der Altar wird in Maleachi 1, Hesekiel 41; 44 der Tisch des Herrn genannt (vgl. 1Kor 10).
Die Gläubigen hatten aber nicht nur einen Blick für den Altar, sondern auch für das Haus Gottes. Das bedeutet für uns Christen, dass wir die Bedeutung des Opferdienstes und des Hauses Gottes verstehen. Eng verbunden mit dem Haus Gottes ist die Wahrheit von dem einen Leib, zu dem alle Gläubigen gehören.
Ab Esra 7 sehen wir, wie Esra dazukam und im Segen unter dem Überrest wirkte. Er war ein treuer Schriftgelehrter, der das Wort Gottes (1) erforschte, danach (2) tat und es (3) lehrte.
Dann gibt es eine neue Phase im geschichtlichen Ablauf dieser Erweckung: Nehemia kommt nach Jerusalem. Er begegnete dort der dritten und vierten Generation der Zurückgekehrten. Wieder war Niedergang eingetreten, insbesondere durch die Vermischung mit den heidnischen Völkern (Mischehen).
Der Prophet Maleachi kam insbesondere mit der Botschaft: (1) der Opferdienst war verunreinigt ‒ Untreue gegenüber dem Herrn ‒ und (2) die horizontale Ebene der mitmenschlichen Beziehungen war vergiftet: Männer schickten ihre Frauen fort, obwohl Gott Entlassung hasst.
Abgesehen davon ging Gott seinen Weg mit den Juden, die nicht zurückgekehrt waren und sich im persischen Reich aufhielten. Einen Teil ihrer Geschichte finden wir im Buch Esther.
Die Ankunft Nehemias geschah etwa 95 Jahre nach dem Erlass des Ediktes durch den persischen König Kores, dass das Volk in das Land Israel zurückkehren konnte, um dort den Tempel des Herrn zu bauen.
Im Buch Nehemia geht es nicht um den Altar oder das Haus Gottes, sondern um die Stadt Jerusalem, deren Mauer er aufbaute.
B Anwendung auf unsere Zeit
Wir leben in einer Zeit des Niedergangs, vergleichbar mit den Tagen Nehemias. Es war damals eine Zeit geistlicher Schläfrigkeit. Das finden wir sowohl im Buch Nehemia als auch im Buch Maleachi.
Die Wiederherstellung eines Übererstes aus Babylon hat drei wichtigen Eckpunkte:
Errichtung des Altars (ca. 536 v. Chr.)
Errichtung des Tempels (ca. 516 v. Chr.)
Errichtung der Mauer beziehungsweise Wiederherstellung Jerusalems (ca. 445 v. Chr.)1
Was bedeutet die Stadt Jerusalem für uns? Alle Juden waren verpflichtet, dreimal im Jahr nach Jerusalem hinaufzuziehen. Wir versammeln uns drei- oder viermal pro Woche. Salomo baute seinen Palast direkt in die Nähe des Tempels. Er wollte in der Nähe Gottes sein.
Warum hatte Jerusalem zur Zeit Nehemias eine zerstörte Mauer? Die Mauer hatte den Sinn, das Heilige vom Unheiligen zu trennen (Hes 42,20). Absonderung ist der negative Aspekt. Der positive Aspekt war das Wohnen in der Nähe Gottes, das Suchen der Gemeinschaft mit Ihm und untereinander.
Die Juden, die zur Zeit Nehemias in Jerusalem wohnten, hatten sich daran gewöhnt, dass die Mauer weitgehend zerstört war und viele Häuser in Schutt und Asche lagen. Sie selbst waren in einen geistlichen Schlaf gefallen und hatten sich mit der Situation abgefunden. So sind auch heute viele Gläubige, die zwar die Zusammenkünfte besuchen ‒ das gehört mit zum Sonntag und auch in der Woche ‒, doch ihr Leben in der Woche ist mit anderen Dinge ausgefüllt. Solche Menschen müssen erweckt werden. Manche denken, dass man für eine Erweckung viele Menschen braucht, das stimmt aber nicht. Eine Erweckung beginnt in der Regel mit einem einzelnen Gläubigen wie hier bei Nehemia.
C Die Person Nehemias
Zitat aus einem Vortrag von W. J. Ouweneel:
Gott hat große Diener gebraucht, Serubbabel, Esra, und wir können ruhig sagen, dass Nehemia im Schatten dieses Mannes Esra stand. Esra, der Schriftgelehrte und Priester, der das Gesetz Gottes durch und durch kannte, der das Wort Gottes predigen konnte. Nehemia ist nicht solch ein Mann. Nehemia geht auch nicht als ein Verkündiger des Wortes Gottes, als ein Priester und Schriftgelehrter, Nehemia geht als Beamter. Er ist kein Prediger von Beruf, er ist ein ganz gewöhnlicher Beamter. Er geht als Statthalter des Königs von Persien nach Israel, des persischen König Artasasta.
Nehemias Aufgabe ist sehr viel bescheidener als die von Serubbabel und viel bescheidener als die von Esra. Es ist wirklich die Zeit der kleinen Dinge. Wir brauchen in diesem Buch keine großen Wundertaten erwarten, denn es gibt sie nicht. Es gibt keine gewaltigen Erweckungen mehr unter dem Volk Gottes. Die Zeit scheint wohl vorbei zu sein. Wir brauchen sogar nicht zu erwarten, dass wir hier große Scharen an Israeliten finden würden, die dort in Israel enthusiastisch mit Nehemia mitarbeiten. Was das betrifft, ist es ein sonderbares Buch. Der strahlende Punkt ist Nehemia selbst. Ein gewöhnlicher Beamter, ein normaler Mann, ein gewöhnlicher Gläubiger. Ein Mann mit seinem persönlichen Kampf und seinen Fragen. Eines der ergreifendsten Aspekte des Buches Nehemia ist, dass der Text dieses Buches oft einfach durch einen Notschrei Nehemias unterbrochen wird, durch ein kurzes Gebet zum Herrn. Nehemia war kein Mann der Verkündigung, sondern ein Mann des Gebetes. Dabei war er ein einfacher und gewöhnlicher Israelit, der die Sache des Volkes Gottes auf seinem Herzen trug. Dieses Buch lehrt uns, dass man kein großer Prediger zu sein brauchst, um etwas für das Volk Gottes zu tun, um unglaublich viel für das Volk zu tun. Was wäre Jerusalem – menschlich gesprochen – ohne Nehemia gewesen?
D Diverses
Befragte Literatur
Darby, John Nelson, Synopsis (Ernst-Paulus-Verlag)
Dennett, Edward, Exposition of the Book of Ezra (Bible Truth Publishers)
Isenberg, Stefan, Nehemia – ein treuer Dienstknecht Gottes, Selbstverlag
Kelly, William, Das Buch Nehemia, auf https://biblische-lehre-wm.de/wp-content/uploads/AT-16-Nehemia-WKelly-D.pdf
Ouweneel, W. J., Vorträge über das Buch Nehemia (auf Holländisch).
Smith, Hamilton, Lasst uns die Mauer Jerusalems aufbauen (Beröa-Verlag)
Einteilung
1. | Nehemias Reise und sein Wirken in Jerusalem (1,1–7,72) |
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1.1 | Nehemias Reise nach Jerusalem (1,1–2,10) |
1.2. | Nehemia in Jerusalem – Vorbereitungen zum Wiederaufbau der Mauer (2,11–20) |
1.3 | Ausführung des Mauerbaues – Liste der Beteiligten (3,1–32) |
1.4 | Fortführung des Mauerbaues – die Widersacher (3,33–4,17) |
1.5. | Erleichterung durch Schuldenerlass für das allgemeine Volk (5,1–19) |
1.6 | Feindschaft gegen Nehemia – Vollendung des Mauerbaues (6,1–7,3) |
1.7. | Nehemias Sorge für die Vermehrung der Einwohner Jerusalems – Verzeichnis der mit Serubbabel Zurückgekehrten (7,4–72) |
2. | Esras Neuordnung des Gottesdienstes und des Religionswesens (7,73–10,40) |
2.1. | Esra liest das Gesetz vor – Feier des Laubhüttenfests (7,73–8,18) |
2.2 | Bußtag und Bußgebet des Volkes (9,1–38) |
2.3. | Erneuerung des Bundes mit Gott – Urkunde über die Leistungen der Gemeinde für gottesdienstliche Zwecke (10,1–39) |
3. | Innere Zustände Jerusalems – feierliche Einweihung der Stadtmauern (11,1–13,31) |
3.1. | Maßregeln zur Mehrung der Einwohnerzahl Jerusalems – Verzeichnisse der Einwohner Jerusalems und der Umgebung (11,1–36) |
3.2. | Verzeichnis der Priester und Leviten, Familienhäupter (12,1–26) |
3.3. | Feierliche Einweihung der Stadtmauer (12,27–43) |
3.4. | Zwei neue Maßnahmen Nehemias (12,44–13,3) |
3.5. | Nehemias Wirken während seiner zweiten Anwesenheit in Jerusalem (13,4–31) |
Kapitel 1
Einleitung
Nehemias Entschluss zur Reise nach Jerusalem und seine Ankunft dort.
Nehemia ist ein Mann des Gebets und der Liebe zum Volk Gottes und zu der Stadt Gottes.
Die Mauer lag in Schutt, größtenteils auch die Häuser.
Einteilung
Nehemia als Mundschenk des Königs Artasastas in Susan (V. 1‒4)
Nehemias Gebet zu Gott für die Kinder Israel (V. 5‒11)
Vers 1
Geschichte {w. Worte, Reden} Nehemias, des Sohnes Hakaljas. Und es geschah im Monat Kislew des zwanzigsten Jahres {d.h. der Regierung Artasastas (Artaxerxes’ I., Langhand, 465–423 v. Chr.; vgl. Kap. 2,1}, als ich in der Burg {o. Hauptstadt} Susan war: Nehemia heißt „der Herr tröstet“, Hakalja „den der Herr erleuchtet“ oder „der auf den Herrn wartet“ (GdK).
Monat Kislev: Dieser Monat entspricht in etwa unserem heutigen November/Dezember. Kislev ist die hebräische Bezeichnung des Monats. Später folgt die Nennung des Monats mit einer heidnischen Bezeichnung. Es ist gut, dass wir die Geschichtsschreibung Gottes kennen, aber auch in etwa die der Welt, besonders dort, wo Gott eingegriffen hat. Es ist der Anfang der Winterzeit. Die Winterzeit in der Christenheit ist Laodizea.
Im Jahr 445 v. Chr. erfüllte sich die Prophezeiung aus Daniel 9,25, der Beginn der 69 Jahrwochen (= 483 Jahre). Esra war dreizehn Jahre früher mit einigen Israeliten nach Jerusalem hinaufgezogen (Esra 7,7). Esra war ein Priester, Nehemia ein Hofbeamter.
Susan: Hauptstadt Elams, das von Persien erobert wurde. Später Hauptstadt der Provinz Susiana. Hier residierten die Könige Persiens für einige Monate (eine Art Winterresidenz?).
1 Jerusalem ist das Leben in der Nähe Gottes, der im Tempel ‒ ein Bild der Versammlung Gottes ‒ wohnt. Zu diesem Leben gehört der Dienst für Gott, wie er in den Opfern zum Ausdruck kam,↩︎