Behandelter Abschnitt Rt 3,1-5
„Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein rettender Held. Er freut sich über dich mit Wonne, er schweigt in seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“ (Zeph 3,17).
Ährenlese ist, wie wir gesehen haben, der große Gegenstand des zweiten Kapitels. Ruhe ist das Thema der letzten zwei Kapitel. In den Anfangsversen von Kapitel 3 wird das Wort „Ruhe“ in Verbindung mit Ruth gebraucht: „Meine Tochter, sollte ich dir nicht Ruhe suchen.“ Im Schlussvers wird es in Verbindung mit Boas gebraucht: „Der Mann wird nicht ruhen, bis er die Sache heute zu Ende geführt hat.“
In den Wahrheiten, die uns in den vier Kapiteln des Buches Ruth vorgestellt werden, finden wir zweifellos eine fortschreitende Entwicklung:
In Kapitel 1 zeigt Ruth den Glauben, die Liebe und die hingebungsvolle Energie einer neubekehrten Seele.
In Kapitel 2 finden wir Ruth als Bild des Wachsens in der Gnade, durch die der Gläubige geistliche Fortschritte macht.
In Kapitel 3 sucht Ruth die Ruhe des Herzens, die dem Gläubigen allein Befriedigung geben kann.
In Kapitel 4 endet die Geschichte Ruths mit der sicheren Ruhe und stellt den Weg vor, auf dem Gottes Ruhe für Christus und den Gläubigen erreicht wird.
Über die Gabe zum Geber
Die Ährenlese auf den Feldern Boas und der Empfang der Segnungen aus der Hand Boas, so schön und richtig das auch ist, werden weder Boas noch Ruth die volle Ruhe und Befriedigung des Herzens geben. Nichts gibt dem Herzen Ruhe, außer dem Besitz des Geliebten. Deshalb versucht Ruth in Kapitel 3, Boas zu gewinnen, und Boas arbeitet darauf hin, Ruth zu besitzen. Liebe kann niemals mit Gaben zufrieden sein, sie muss den Geber haben.
Bisher hatte Boas wunderbare Gnade an Ruth erwiesen. Er hatte ihr seine Felder, sein Getreide, seine Mägde und seine Knaben zur Verfügung gestellt. Er hatte ihr Wasser aus seiner Quelle und geröstete Körner von seinem Tisch gegeben und absichtlich Ähren fallen lassen. Alle diese Segnungen hatten jedoch ihr Herz nicht befriedigt. Sie hatten zwar ihr Vertrauen gewonnen und ihre Zuneigungen entfacht, aber wenn die Zuneigungen erst einmal gewonnen sind, wird nichts mehr das Herz befriedigen, außer dem Besitz der Person, die sie gewonnen hat. Das gilt gleichermaßen für göttliche und menschliche Beziehungen. Die Gnade und die Gaben, durch die Boas die Zuneigungen Ruths entfacht hatte, würden nicht in sich selbst diese Zuneigungen befriedigen. Es ist der Besitz des Segnenden und nicht der Segnungen, der dem Herzen Befriedigung gibt.
So ist es auch in den Wegen des Herrn mit den Gläubigen. Er wirkt so an uns, dass wir dahin gebracht werden, zu erkennen, dass Er größer ist als alle Segnungen, die Er verleiht. Es ist gut, wenn wir lernen, dass Segnungen an sich nicht befriedigen können. Christus allein kann das Herz befriedigen.
War das nicht auch die große Lektion, die Petrus in Lukas 5 lernen musste? Der Herr schenkte Petrus einen großen vorübergehenden Segen. Er gab ihm den größten Fischfang, den er je hatte. Es war ein Segen, der über die Aufnahmekapazität der Netze und Boote hinausging, und doch offenbarte sich der Herr durch diese Gabe so dem Petrus, dass dieser Ihn höher einschätzte als den Segen. Denn unmittelbar danach lesen wir, dass er alles verließ und Ihm nachfolgte. Was, er ließ die Fische zurück, die der Herr ihm gab? Ja, er verließ alles – Netze, Boote und Fische – und folgte Ihm nach. Wenn es je einen Fischfang gab, auf den Petrus ein Recht hatte, dann war es dieser Fischfang, den der Herr ihm gegeben hatte. Aber er verließ den Segen, um dem Segnenden nachzufolgen.
So war es auch bei einer anderen demütigen Gläubigen: Maria Magdalene. Sie war vollständig in der Macht des Teufels, bis der Herr sieben Dämonen von ihr austrieb (Lk 8,2.3). Sie hatte einen großen Segen bekommen, aber ihr Herz war für den Segnenden gewonnen worden. So stand sie, als die Jünger nach Hause gegangen waren, an dem leeren Grab draußen und weinte (Joh 20,11). Segnungen waren ihr nicht genug, sie würde in dieser Welt keine Ruhe finden ohne Christus. Mit Ihm war sie glücklich, ohne Ihn war sie einsam.
Ähnlich wirkte der Herr auch an dem, der einmal ein Lästerer Christi und ein Verfolger der Heiligen gewesen war. Die Gnade erreichte und segnete ihn auf eine solche Weise, dass Christus ihm größer wurde als alle Segnungen, die Er geben konnte. Sein Verlangen kommt in den Worten zum Ausdruck „um ihn zu erkennen“ und „damit ich Christus gewinne“ (Phil 3,8.10). Er ist nicht damit zufrieden, alle Segnungen zu kennen, auf die Christus ihm ein Anrecht gegeben hat, er muss den Geber der Segnungen kennen. Er ist nicht damit zufrieden, schließlich den Himmel zu gewinnen, er muss den gewinnen, der ihm den Himmel gesichert hat.
Wie langsam sind wir darin, zu lernen, dass Christus und nur Christus das Verlangen unserer Herzen stillen kann. Manchmal suchen wir Ruhe in unseren geistlichen Segnungen. Unsere Anstrengungen sind darauf gerichtet, das Strahlen der Freude der Bekehrung und das Empfinden für die empfangenen Segnungen in unseren Seelen zu bewahren. Aber so richtig es ist, in der Freude der Errettung zu leben, alle diese Anstrengungen sind doch zum Scheitern verurteilt. Wir können die Segnungen nicht getrennt von dem Segnenden genießen (und es war auch nie Gottes Absicht, dass wir es tun sollten). Jeden Segen, den wir empfangen haben, haben wir in Christus empfangen, und er kann nur in Gemeinschaft mit Christus genossen werden.
Andere suchen Befriedigung in eifrigem Dienst. Es wäre schön, wenn wir alle eifrig wären im Dienst des Herrn. Aber wenn wir beschäftigt sind mit dem Ziel, Ruhe zu finden, werden wir, wie Martha, nur erleben, dass wir beunruhigt werden, anstatt Ruhe zu finden. Dienst ist gut, aber er befriedigt das Herz nicht.
Wieder andere suchen vorübergehende Befriedigung in den nichtigen Dingen dieser vorübergehenden Welt, nur um festzustellen: Je mehr wir uns selbst mit den Dingen dieser Erde umgeben, umso mehr nehmen unsere Sorgen zu, statt dass wir Ruhe des Herzens finden. Der Prophet sagt sehr treffend: „Macht euch auf und zieht hin! Denn dies ist der Ruheort nicht, um der Verunreinigung willen“ (Mich 2,10). Noch mal sagen wir es: Christus allein kann das Herz befriedigen.
Wir müssen daher aus dem einen oder anderen Grund zugeben, dass wir als Christen wenig wahre Befriedigung des Herzens kennen. Zwar ist jeder wahre Christ wirklich errettet, aber es ist eine Sache, errettet zu sein, und eine andere, völliges Genüge gefunden zu haben. Durch das Werk Christi gerettet, können wir nur in der Person Christi unser Genüge finden. In dem Maß, wie wir die Gemeinschaft mit Christus genießen, werden wir auch Ruhe und Befriedigung finden. Was eine volle und vollständige Befriedigung ist, wird erst bekannt sein, wenn der große Tag anbricht, von dem gesagt wird: „Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Frau hat sich bereitet“ (Off 19,7). Noch etwas geheimnisvoll entfaltet sich diese große Wahrheit vor uns in dem letzten Teil der Geschichte Ruths. Die ersten zwei Kapitel haben uns bildlich gezeigt, wie die Liebe zu Christus aufgeweckt wird. Die letzten zwei Kapitel zeigen uns, wie die Liebe befriedigt wird.
Die Anweisungen Noomis
„Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: Meine Tochter, sollte ich dir nicht Ruhe suchen, dass es dir wohl gehe? Und nun, ist nicht Boas, bei dessen Mägden du gewesen bist, unser Verwandter? Siehe, er worfelt diese Nacht auf der Gerstentenne. So bade dich und salbe dich und lege deine Kleider an und geh zur Tenne hinab; lass dich nicht von dem Mann bemerken, bis er fertig ist mit Essen und Trinken. Und es geschehe, wenn er sich niederlegt, so merke dir den Ort, wo er sich hinlegt, und geh und decke zu seinen Füßen auf und lege dich hin; er aber wird dir mitteilen, was du tun sollst. Und sie sprach zu ihr: Alles, was du sagst, will ich tun“ (3,1–5).
Lasst uns zuerst die Anweisungen beachten, die Ruth von Noomi bekam (V. 1–5). Ruth lernt das Geheimnis der Ruhe kennen, damit es ihr „wohl gehe“. Zuerst beschäftigt Noomi die Gedanken Ruths mit Boas, indem sie ihr erzählt, wer er ist und was er tut. Sie sagt, dass er ihr „Verwandter“ ist. Sie sagt sozusagen: „Er ist unser, und wir haben einen Anspruch auf ihn.“ Und wir können sagen, dass Christus unser ist, oder wurde Er etwa nicht Fleisch und wohnte unter uns, und starb für uns, und nennt uns als Auferstandener Seine Brüder? Er sagt zu Maria, „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott.“
Des Weiteren sagt Noomi Ruth, was er tut: „Siehe, er worfelt diese Nacht auf der Gerstentenne.“ Und unser Blutsverwandter, unser Boas, hat, wenn wir so sagen dürfen, die ganze lange und dunkle Nacht hindurch Gerste geworfelt. Heute beschäftigt sich der Herr Jesus nicht mit der Spreu. Er wird an dem kommenden Tag im Gericht mit der Spreu handeln. Aber zurzeit beschäftigt Er sich mit den Seinen, „er worfelt Gerste“. Mit anderen Worten: Er heiligt die Versammlung, um sie sich selbst darzustellen, „die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe“ (Eph 5,27). Der erhöhte Herr beschäftigt sich mit den Seinen im Hinblick auf den kommenden Tag.
Nachdem Noomi Ruth an ihren Anspruch auf Boas erinnert hat, fährt sie jetzt fort, ihr Anweisungen über den passenden Zustand für die Gemeinschaft mit Boas zu geben. Wenn wir erkennen, dass wir Blutsverwandte Christi sind, dass wir Ihm gehören und Er für uns ist, werden wir unweigerlich ein Verlangen nach Gemeinschaft mit Ihm haben. Das Bewusstsein seiner Gegenwart verlangt jedoch nach einem passenden Zustand der Seele, bildlich dargestellt in der Anweisung, die Noomi Ruth gibt, wenn sie sagt: „So bade dich und salbe dich und lege deine Kleider an.“
Die erste Notwendigkeit, sich zu baden, lässt uns an die Fußwaschung in Johannes 13 denken. Die Füße des Johannes mussten zuerst gewaschen werden, bevor er sich an die Brust Jesu lehnen konnte. Fußwaschung muss der Ruhe des Herzen vorausgehen. Der Herr muss zu Petrus sagen, „Wenn ich dich nicht wasche, hast du kein Teil mit mir“ (Joh 13,8). Teil an Ihm haben wir durch sein Werk, aber um Teil mit Ihm zu haben, um Gemeinschaft mit Ihm in der Heimat, wohin Er gegangen ist, zu genießen, müssen zuerst unsere Füße gewaschen werden, und darin sind wir leider so oft nachlässig.
Wir erlauben den beschmutzenden Einflüssen der Welt, sich einzuschleichen und unsere Zuneigungen zu den Dingen der Erde herunterzuziehen. Wenn wir die Fußwaschung ablehnen, werden die Beschmutzungen so lange zunehmen, bis unsere Gedanken so gehindert und unsere Zuneigungen so abgestumpft sind, dass Gemeinschaft mit Christus zu einer seltenen oder unbekannten Sache wird. Lasst uns die warnenden Worte des Herrn beachten: „Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,17). Für Ruth hätte es nicht ausgereicht, die Anweisung „Bade dich“ anzunehmen, sie musste es auch tun. So ist auch in Johannes 13 nicht der glücklich, der die Wahrheit kennt, sondern der, der sie tut.
Aber es ist noch mehr notwendig: Nach dem Waschen sollte Ruth sich salben. Es genügt nicht, nur unser Inneres von den beschmutzenden Einflüssen zu reinigen, wir müssen uns auch an die Ermahnung des Apostels erinnern: „Alles, was wahr, alles, was würdig, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was lieblich ist, alles, was wohl lautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, dieses erwägt“ (Phil 4,8). Waschen ist verneinend, es beseitigt Verunreinigung. Salben ist bejahend, es verbreitet einen lieblichen Geruch. Wir haben es nicht nur nötig, unsere Gedanken und Zuneigungen von beschmutzenden Einflüssen zu reinigen, sondern wir müssen sie auch mit den Dingen Christi beschäftigen, damit auch von uns ein Wohlgeruch Christi ausgeht, der passend ist für seine Gemeinschaft.
Nach der Anweisung, sich zu salben, sagt Noomi: „Lege deine Kleider an.“ Redet das nicht von der feinen Leinwand, den gerechten Taten der Heiligen (Off 19,8)? Wenn der achte Vers in Philipper 4 vom Salben redet, gibt uns der neunte Vers nicht eine Erklärung für die Kleider, die praktische Gerechtigkeit? Dort sagt der Apostel: „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut“. Das Schlüsselwort in Philipper 4,8 ist „erwägt“, das Schlüsselwort in Vers 9 ist „tut.“ Wenn wir ein tieferes Empfinden für die Lieblichkeit Christi hätten, würden wir dann nicht mit ernsterem Verlangen seine Gemeinschaft und das Bewusstsein seiner Gegenwart begehren? Und ein solches Verlangen wird uns mehr in Übung bringen, unsere Gedanken und Zuneigungen, unsere Worte und Wege vor allen beschmutzenden Einflüssen zu bewahren und mit dem zu beschäftigen, was passend für Christus ist.
Ist Ruth erst einmal passend für die Gegenwart Boas, ist die weitere Vorgehensweise klar. Sie soll sich zu den Füßen Boas niederlegen und auf seine Worte hören, wie Noomi sagt: „Er aber wird dir mitteilen, was du tun sollst.“ Lenkt das nicht unsere Gedanken zu dieser lieblichen Szene in Bethanien, die in Lukas 10 beschrieben wird, wo wir lesen, dass Maria zu den Füßen Jesu saß und seinem Wort zuhörte? Ist das nicht der große Mangel heutzutage? In der Hast und Eile des Lebens gibt es wenig Zeit, um mit dem Herrn allein zu sein und sein Wort zu hören. Trotzdem sagt der Herr, dass es das eine ist, was nötig ist. Möchten wir die Stimme des Herrn durch Noomi hören und, wie Ruth, antworten: „Alles, was du sagst, will ich tun.“ Möchten wir so gebadet, gesalbt und bekleidet in seiner Gegenwart sitzen und sein Wort hören.