Behandelter Abschnitt 2Tim 3,2-5
Verse 2 bis 5: Der Apostel fährt damit fort, uns mit allergrößter Deutlichkeit ein Bild des Zustandes zu geben, in den das Christentum fallen wird. Er skizziert in Einzelheiten die auffallendsten Kennzeichen des christlichen Bekenntnisses in diesen letzten Tagen. Der Geist Gottes spricht von diesen religiösen Bekennern als von „Menschen“, denn es gibt keinen Grund, sie Heilige oder Gläubige zu nennen. Und doch müssen wir festhalten, dass der Apostel nicht den Zustand heidnischer „Menschen“ beschreibt, sondern den Zustand solcher, die ein christliches Bekenntnis ablegen, indem sie eine äußerliche Form der Gottseligkeit vortäuschen. In diesem schrecklichen Bild werden uns 19 einzelne Kennzeichen vorgestellt: „die Menschen werden selbstsüchtig sein“.
Das erste und hervorstechendste Kennzeichen der Christenheit in diesen letzten Tagen ist die Selbstsucht. Dies steht in direktem Gegensatz zum wahren christlichen Glauben, der uns lehrt, dass Christus für alle gestorben ist, „auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“ (2Kor 5,15).
„geldliebend“:
Selbstsucht wird zu Geldliebe führen, denn durch das Geld kann der Mensch alles erwerben, was zu seiner Befriedigung dient. Das echte Christentum lehrt uns, dass die Geldliebe eine Wurzel alles Bösen ist, und dass solche, die begierig nach Geld sind, „von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben“ (1Tim 6,10).
„prahlerisch“:
Die Liebe zum Geld wird den Menschen zum Prahlen verleiten. Wir lesen in der Schrift von solchen, „. . . die auf ihr Vermögen vertrauen und sich der Größe ihres Reichtums rühmen“ (Ps 49,7); und weiter: „Denn der Gottlose rühmt sich der Gier seiner Seele; und der Habsüchtige segnet – er verachtet den Herrn“ (Ps 10,3). Nicht nur, dass sich der Mensch seiner Geschicklichkeit im Erwerben von Reichtümern rühmt, sondern nachdem er sich Güter angesammelt hat, ergreift er oft die Gelegenheit, seine Handlungen der Nächstenliebe auszuposaunen – im Gegensatz zu der bescheidenen Gütigkeit und Freigebigkeit des Christentums, welches uns lehrt, so zu geben, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte Hand tut (Mt 6,3).
„hochmütig“:
Die Prahlerei, die sich selbst verherrlicht, ist letztlich verbunden mit Hochmut oder Stolz, der der Herkunft, sozialen Stellung und natürlichen Begabung viel Bedeutung beimisst – im Gegensatz zum Christentum, das uns dahin führt, diese Dinge für Verlust zu achten „wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, unseres Herrn“ (Phil 3,8).
„Lästerer“:
Hochmut führt zu Schmähung und Lästerung. Durch den Stolz auf ihre Errungenschaften und ihre intellektuellen (geistigen) Fähigkeiten haben die Menschen keine Hemmungen, über das zu lästern, was sie nicht wissen (2Pet 2,12), und Worte zu reden gegen den Höchsten (vgl. Dan 7,25). Sie greifen die Person und das Werk Christi an, indem sie die Offenbarung ablehnen und über die Inspiration spotten.
„den Eltern ungehorsam“:
Wenn die Menschen sogar so weit gehen, wider Gott zu lästern, dann ist es nicht verwunderlich, dass sie den Eltern ungehorsam sind. Wenn sie vor den Personen der Gottheit keinen Respekt haben, werden sie auch vor der menschlichen Verwandtschaft keinen Respekt haben.
„undankbar“:
Bei solchen, die den Eltern ungehorsam sind, wird jede Barmherzigkeit von Gott oder von Menschen als ein Anrecht angesehen, das keinen Anspruch auf Dankbarkeit erheben kann. Das Christentum lehrt uns, dass alle Segnungen für die Geschöpfe von Gott geschaffen sind „zur Annehmung mit Danksagung für die, welche glauben und die Wahrheit erkennen“ (1Tim 4,3).
„unheilig“:
Wenn der Mensch für zeitliche und geistliche Segnungen undankbar ist, wird er bald auch die Barmherzigkeit und Gnade verachten und schmähen, durch die diese Segnungen geschenkt sind. Esau hatte auf unheilige Weise sein Erstgeburtsrecht verachtet, durch das Gott ihn hatte segnen wollen.
„ohne natürliche Liebe“:
Der Mensch, der die Liebe und Barmherzigkeit Gottes geringschätzig betrachtet, wird bald die natürlichen Zuneigungen zu seinen Mitmenschen verlieren. Die Selbstsucht führt zu Gleichgültigkeit hinsichtlich der familiären Beziehungen, oder sogar dazu, diese als Hindernis zur Selbstbefriedigung und -verwirklichung anzusehen.
„unversöhnlich“:
Der Mensch, der den Bemühungen der natürlichen Zuneigungen gegenüber unempfindlich ist, wird ganz bestimmt auch unversöhnlich oder nicht eines Besseren zu belehren und nicht zu besänftigen sein.
„Verleumder“:
Solche, deren unversöhnliche Gesinnung allen Bemühungen gegenüber unempfindlich ist, werden nicht zögern, die zu verleumden oder fälschlich zu beschuldigen, die ihren Willen durchkreuzen wollen.
„unenthaltsam“ oder „hemmungslos (von nicht unterdrückten Leidenschaften)“:
Der Mensch, der davor nicht zurückschreckt, andere mit seiner Zunge zu verleumden, ist jemand, der allzu leicht die Kontrolle über sich selbst verliert und ohne Beherrschung handelt.
„grausam“:
Wer andere durch Worte verleumdet und in seinen Handlungen unbeherrscht ist, zeigt eine grausame Einstellung, die die Liebenswürdigkeit und Sanftheit vermissen lässt, von der die christliche Gesinnung geprägt ist.
„das Gute nicht liebend“:
Eine grausame Einstellung macht den Menschen zwangsläufig blind für das, was gut ist. Nicht nur, dass es in dem christlichen Bekenntnis solche gibt, die das Böse lieben, sondern sie hassen sogar das Gute.
„Verräter“:
Der Mensch, der das Gute nicht liebt, wird nicht zögern, mit einer solchen Bosheit zu handeln, die das Vertrauen verrät und keine Rücksichten auf die Vertrautheiten solcher nimmt, von denen er bekannt hat, dass er sie als Freund ansieht.
„verwegen“:
Ein Mensch, der seine Freunde verraten kann, wird auch voller Entschlossenheit, gleichgültig gegenüber den Folgen und ohne Rücksichtsnahme seinen eigenen Willen verfolgen.
„aufgeblasen“ oder „voll eingebildeter Anmaßung“:
Der verwegene Mensch wird in seiner Einbildung versuchen, seine Selbstsucht unter dem eitlen Vorwand zu verbergen, dass er im Allgemeinen für das Gute handelt.
„mehr das Vergnügen liebend als Gott“:
Da die Anmaßungen solcher Menschen hohl sind, wird ihr Streben genauso alle Ernsthaftigkeit vermissen lassen. Die Wolken des kommenden Gerichts mögen sich zusammenballen, doch das Christentum, verblendet durch seine Einbildung und Selbstsucht, gibt sich einem Strudel der Erregung und Begeisterung hin und trachtet danach, sein Vergnügen in sinnlichen Freuden zu finden – und nur allzu oft sind die so genannten Geistlichen die Anführer zu jeder Art weltlichen Vergnügens.
„die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“:
In den letzten Tagen des Christentums wird die bekennende Masse also in der Hingabe an jede Art des Bösen gefunden. Dabei wird sie noch versuchen, ihre Verdorbenheit mit dem Deckmantel der Heiligkeit zu bedecken. Auf diese Art werden die Namenschristen noch verdorbener als die Heiden, weil sie allem Bösen des Heidentums frönen und dazu noch versuchen, ihre Verdorbenheit unter einer Art Christlichkeit zu verbergen, obwohl sie dessen geistliche Kraft vollständig entbehren. Was kann von größerer Verdorbenheit sein, als das Bemühen, den Namen Christi als Deckmantel für Böses zu benutzen? Es ist dieser Deckmantel der Heiligkeit, der diese letzten Tage zu „schweren Zeiten“ macht, denn das Zurschaustellen von Frömmigkeit täuscht manchmal sogar wahre Christen.
Es muss also festgestellt werden, dass das erste und herausragende Kennzeichen des Bösen in diesem schrecklichen Bild die unbezähmbare Selbstsucht ist, die zu allem anderen Bösen führt. Selbstsüchtige Menschen werden für sich selbst besorgt sein und sich ihrer selbst rühmen. In ihrem Stolz auf sich selbst werden sie allem Einschränkenden gegenüber unduldsam sein – sei es von Menschen oder von Gott. Die Selbstsucht und die Selbstbefriedigung machen den Menschen undankbar, unheilig, und führen ihn dazu, sich über natürliche Zuneigungen hinwegzusetzen und unbarmherzig und verleumderisch zu werden. Die Selbstsucht führt den Menschen dazu, seinen Leidenschaften freien Lauf zu lassen und allem gegenüber, das seinen Willen durchkreuzt, grausam und wild zu sein. Sie führt den Menschen dazu, alles Gute zu verachten, Vertrauen zu verraten und sich in seiner Eitelkeit Hals über Kopf in das Vergnügen zu stürzen, welches er mehr liebt als Gott.
Dies ist das schreckliche Bild, das uns die Schrift von den letzten Tagen des christlichen Bekenntnisses vorstellt. Israel, das von allen Nationen abgesondert worden war, um ein Zeugnis für den wahren Gott zu sein, hat in seiner Verantwortlichkeit derart vollständig versagt, dass schließlich von diesem Volk sogar gesagt werden musste: „Denn der Name Gottes wird eurethalben unter den Nationen gelästert“ (Röm 2,24). Doch angesichts des weit größeren Lichtes und der größeren Vorrechte ist das Versagen der bekennenden Kirche weitaus schrecklicher. Aufgerichtet als ein Zeugnis für Christus während der Zeit Seiner Abwesenheit ist die große Masse derer, die sich zu dem Namen Christi bekennen, noch unter das Niveau der Heiden gesunken und zu einem Ausdruck des Willens und der Leidenschaften des Menschen geworden – dadurch ist auf den gepriesenen Namen Christi Schmach und Schande gebracht worden. Können wir uns nun noch darüber verwundern, dass die Namenschristen am Ende aus Seinem Munde ausgespieen werden (Off 3,16)?
Lasst uns trotzdem nicht vergessen, dass Gott inmitten dieses ausgedehnten Bekenntnisses noch solche hat, die Sein Eigentum sind, und: „. . . der Herr kennt die sein sind“. Nicht eines der Seinen wird verloren gehen, und solche, die die wahre Versammlung Gottes bilden, werden endlich Christus dargestellt werden ohne „Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen“ (Eph 5,27).
In der gegenwärtigen Zeit ist das wahre Volk Gottes – jeder, der den Namen des Herrn anruft aus reinem Herzen – deutlich unterwiesen, sich von dem verdorbenen Bekenntnis der Christenheit weg zu wenden. Wir sind nicht berufen, mit solchen, die zu diesem großen Bekenntnis gehören, zu kämpfen, noch sollen wir Gericht auf sie herab rufen. Wir sollen uns von ihnen weg wenden und sie dem Gericht Gottes überlassen.
Nur wenn wir uns von dem verdorbenen christlichen Bekenntnis absondern, werden wir uns seines schrecklichen Zustandes bewusst werden und ein angemessenes Zeugnis für die Wahrheit sein.
Wenn wir den Zustand des Christentums erkennen, werden wir uns vor Gott demütigen, unser Versagen und unsere Schwachheit bekennen und uns daran erinnern, dass auch wir das Fleisch noch in uns haben; dies könnte uns nämlich, wenn Seine Gnade nicht wäre, zu dem einen oder anderen dieser bösen Dinge verleiten.