Behandelter Abschnitt Mal 1-4
1.Der Zustand des Volkes
Der Prophet Maleachi hat die ernste Aufgabe, Gottes letzte Botschaft an sein irdisches Volk vor dem Kommen Christi auf die Erde zu überbringen. Nachdem diese Botschaft verkündigt worden ist, hat Gott über eine Periode von ungefähr 400 Jahren nicht mehr gesprochen. Schließlich wird die Stille durch die Stimme eines Rufenden in der Wüste unterbrochen. „Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Pfade“ (Lk 3,4; vgl. Mal 3,1).
Letzte Worte besitzen eine ganz besondere Kraft, durch die sie oft das Gewissen erreicht und das Herz berührt haben. So blieben sie im Gedächtnis haften. Wenn dies schon bei den schwachen Worten von Menschen der Fall ist, wie viel mehr gilt es dann, wenn Gott am Ende einer besonderen Zeitepoche ein letztes Wort spricht. Und wenn wir den Propheten Maleachi lesen, so tun wir gut daran, dieses Wort mit all seiner Kraft der letzten Worte Gottes zu uns sprechen zu lassen.
Die damaligen Verhältnisse in Kanaan (Israel)
Zunächst wollen wir die Verhältnisse anschauen, in denen dieses Bibelbuch geschrieben worden ist. Denn wie wahr es auch ist, dass wir diese Worte auf das Volk Gottes in unseren, letzten Tagen anwenden können, dürfen wir nicht vergessen, an wen diese Botschaften in erster Linie adressiert worden sind. Die Weissagung beginnt mit den Worten: „Ausspruch [oder Last] des Wortes des Herrn an Israel durch Maleachi“ (1,1). Es handelt sich also um eine Botschaft, die Gott für sein irdisches Volk ausgewählt hat.
Auch wenn ganz Israel in dem Rahmen der durch Maleachi ausgesprochenen Weissagung eingeschlossen ist, richtet sich seine Botschaft doch nur an einen kleinen Teil des Volkes. Dieser wird oft „Überrest“ genannt. Es sind diejenigen des Volkes, die aus der Gefangenschaft in Babylon befreit wurden und nach Kanaan (Israel) zurückkehren konnten.
Aus anderen Teilen der Schrift lernen wir, dass die große Masse des Volkes auch weiterhin in der Gefangenschaft blieb. Aber ungefähr 60.000 Juden war in den Tagen Esras und Nehemias erlaubt worden, in das Land ihrer Väter zurückzukehren, um den Tempel wiederaufzubauen und die Opfer wieder neu aufleben zu lassen. Außerdem konnten sie auch die Mauern bauen und die Tore der Stadt Jerusalem wieder einsetzen.
Zwei große Gruppen des Volkes Juda/Israel – und einzelne Übriggebliebene
Das Volk Gottes war daher in jener Zeit in zwei große Gruppen aufgeteilt, und es ist hilfreich, die weit reichenden Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu verstehen.
Die Masse der Nation befand sich nach wie vor in der Gefangenschaft in Babylonien. Sie waren also nicht in Palästina, wo Gott sie hingebracht hatte, sondern in Babylonien, wohin das Volk durch seine Sünde gekommen war. Dadurch waren die Israeliten keine Freien mehr, wozu Gott sie in seiner Macht und Güte gemacht hatte, sondern Sklaven unter einem ausländischen Herrscher. Der große Teil des Volkes Israel befand sich eindeutig in einer falschen Stellung. Er war nicht an dem Platz und in dem Zustand, den Gott für sein Volk vorgesehen hatte. Dieser Teil des Volkes befand sich auch deshalb in einer falschen Stellung, weil sie damit zufrieden waren, in diesem falschen Zustand zu bleiben, als die Möglichkeit eröffnet wurde und das Volk sogar eingeladen wurde, nach Jerusalem zurückzuziehen (Esra 1,3).
Dann gab es die Gruppe der Israeliten, die nach Israel zurückgekehrt waren, um in ihrem eigenen Land zu leben. Sie wollten sich wieder in den religiösen Riten und für die Aufgaben engagieren, die Gott ursprünglich für sie angeordnet hatte. Diese befanden sich, im Gegensatz zu ihren Brüdern in der Gefangenschaft, in der richtigen Stellung, denn sie waren an dem Platz, den Gott für sie vorgesehen hatte. Und dort führten sie das von Gott eingesetzte religiöse System aus. Sie waren jedoch, genauso wie ihre Brüder in der Gefangenschaft, in einem falschen Zustand. Das Buch Maleachi enthüllt nämlich von Anfang bis Ende das moralische und geistliche Versagen des Volkes, auch wenn es sich äußerlich an die göttlichen Vorschriften zu halten schien.
In beiden dieser großen Gruppe gab es Einzelne, die einen schönen Gegensatz zu denen bildeten, die sie umringten. Es waren Menschen, die durch praktische Nähe, Treue und Hingabe für Gott geprägt waren. Daniel und seine Freunde mögen als Beispiele derer genannt werden, die in der Gefangenschaft waren. Esra, Nehemia und einige Gottesfürchtige, auf die sich Maleachi 3,16 bezieht, dienen als Hinweis auf Gläubige der gleichen Art unter denen, die zu dem zurückgekehrten „Überrest“ gehörten.
Der Ausspruch des Herrn
Das waren, mit wenigen Worten gesagt, die Umstände und Charakteristika der jüdischen Nation zur Zeit Maleachis. Wenn nun auch die Weissagung dieses Propheten mit den Worten beginnt, „Ausspruch des Wortes des Herrn an Israel“, so ist doch deutlich, dass sich diese Worte nur an den Überrest richteten, der sich im Land Palästina befand. An sie wurde Gottes letzte Botschaft adressiert. Wir finden in der Weissagung Andeutungen des Tempels, der Opfer, der Priester, des Zehnten usw. Das alles sind Kennzeichen, die für Jerusalem und Kanaan ganz natürlich sind, die jedoch nicht anschaulich für solche gewesen wären, die sich noch in der Gefangenschaft befanden.
Was war nun die Last (oder der Ausspruch) des Wortes des Herrn für diesen zurückgekehrten Überrest? Es war nicht länger eine Anprangerung des Götzendienstes wie in den Tagen der Könige Israels. Es war auch kein Appell wie in den Tagen Esras, in das Land zurückzukehren. Genauso wenig war es ein Aufruf wie in den Tagen Haggais, den Tempel wieder aufzubauen, oder wie in den Tagen Nehemias, die Mauern wieder aufzurichten.
Der Zustand des Volkes
Den Götzendienst hatte das Volk aufgegeben, und der Überrest befand sich wieder im Land Kanaan. Der Tempel war ebenfalls gebaut worden und die zu beobachtenden, religiösen Vorschriften wurden befolgt, jedenfalls was den äußerlichen Anschein, die äußere Ordnung betraf. Auch wenn sich dieses Volk äußerlich in der richtigen Stellung befand, war sein moralischer Zustand vollkommen falsch.
Daher gab es diese Last des Herrn, diese letzte Botschaft, die hauptsächlich aus dem überaus ernsten Appell an das Gewissen des Überrestes in Bezug auf seinen niedrigen moralischen und geistlichen Zustand besteht.
Lasst uns hier einmal innehalten! Wenn wir berücksichtigen, was wir als Rahmen für dieses Buch erkannt haben und was die charakteristische Botschaft ist, sollten wir über die Stellung und den Zustand der Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes heute nachdenken. Wir tun das mit dem Wunsch, die geistlichen Belehrungen des Propheten Maleachi auf unsere heutige Zeit anzuwenden. Wenn wir das tun, sehen wir uns genötigt, anzuerkennen, dass es unter dem Volk Gottes in der heutigen Zeit1 Zustände gibt, die in einer auffallenden Weise den Verhältnissen entsprechen, die wir – beschrieben durch Maleachi – am Ende der letzten Zeitepoche finden.
Der Zustand der Christenheit
Wenn wir die Christenheit betrachten, müssen wir dann nicht zuallererst zugeben, dass die Masse der Christen in einem unschriftgemäßen, um nicht zu sagen von Christus abgefallenen religiösen System gefangen gehalten wird? So, wie sich Israel als Nation in der Gefangenschaft des götzendienerischen Babylon befand? Und muss so nicht von dem größten Teil der Christenheit gesagt werden, dass er sich in einer falschen Position befindet, wenn man es an dem Willen Gottes für uns in seinem offenbarten Wort prüft?
Und muss ein ehrlicher Beobachter nicht ebenso hinzufügen, dass sich die Christenheit nicht nur in einer falschen Stellung befindet, sondern zugleich einen falschen moralischen Zustand aufweist? Das beweist und bezeugt doch in trauriger Weise die Ansprache an Laodizea in Offenbarung 3,14–17. Die Christenheit als Ganzes entspricht daher in auffallender Weise Israel in Babylon während der Zeit Maleachis.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts
Wenn wir nun unseren Blick auf die Christenheit zurückgehen lassen auf den Beginn des 19. Jahrhunderts, müssen wir dann nicht ein deutliches Werk Gottes anerkennen? Durch dieses wurde ein Überrest seines himmlischen Volkes – wie der seiner irdischen Nation in den Tagen Esras und Nehemias – aus diesen unschriftgemäßen, religiösen Systemen der Menschen befreit, in denen sie gefangen gehalten worden waren. Befreit von der Sektiererei wurden sie durch die Gnade Gottes befähigt, die wahre Grundlage wiederzuerlangen, auf der nach Gottes Willen sein ganzes Volk stehen sollte. Dadurch befand sich dieser Überrest – so wie sozusagen ihre jüdischen Vorbilder – erneut in einer richtigen Stellung.
Im Laufe der Zeit bezeugte dieser Teil des Volkes Gottes zwar, an dem wahrhaft biblischen Weg der Berufung der Versammlung Gottes festzuhalten, Versagen und Verfall haben allerdings mehr und mehr ihren Weg geprägt. Dadurch führt Gott heute eine so ernste Auseinandersetzung mit diesen Gläubigen, die aus den religiösen Systemen befreit wurden, in Bezug auf ihren falschen moralischen Zustand. Ihre kirchliche Stellung mag noch immer richtig sein, aber ihr moralischer und geistlicher Zustand ist nicht in Übereinstimmung mit der Stellung, die sie eingenommen haben. Dieser Teil der Christenheit scheint somit doch sehr genau dem zurückgekehrten Überrest des Volkes Israel in der damaligen Zeit zu entsprechen.
Um die Parallele weiter fortzuführen, können wir feststellen, dass es in beiden Teilen der Christenheit schon immer viele hingebungsvolle Diener Gottes gab. Ihr moralischer und geistlicher Zustand war sehr erhaben. Und auch ihr Lebensweg gefiel dem Herrn wohl.
Der zurückgekehrte Überrest ist im Blickpunkt
Nun hatte die Prophetie Maleachis hauptsächlich den wiederhergestellten Überrest im Land im Blick – äußerlich rechtgläubig, sich aber innerlich auflehnend gegen Gott – zusammen mit einem besonderen Wort der Ermutigung für die einzelnen Treuen, die unter ihnen gefunden wurden. In gleicher Weise – so scheint mir – beinhaltet dieses Wort eine besondere Ansprache an den schwachen und fehlerhaften Überrest der Gläubigen, der sich aus der kirchlichen Gefangenschaft der Christenheit herausversammelt hat.
Dieses Wort wendet sich aber auch an solche Treue, die sich noch inmitten dieses Systems befinden. Und genauso, wie in den Tagen Maleachis diese letzte Botschaft dem Volk verkündigt wurde, bevor der Herr kam, um das Gewissen in Bezug auf den eigenen Zustand aufzuwecken, so befinden auch wir uns am Vorabend des Kommens des Herrn. Ich bin überzeugt, dass Gottes letzte Botschaft an sein Volk ein ernster Aufruf ist, das Gewissen im Hinblick auf den moralischen und geistlichen Zustand aufzuwecken. Das Ziel Gottes ist es, dass Er auf der Erde solche finden kann, die zu dem passen, der kommen wird. Solche werden mit neu erweckter Zuneigung sagen: „Komm, Herr Jesus!“ (Off 22,20).
Wir haben gesehen, dass die Weissagung Maleachis an den zurückgekehrten Überrest gerichtet wurde. Es ist gut, sich dann zu fragen: „Was ist der Zustand des Volkes? Und inwieweit beschreibt er den Zustand des Volkes Gottes, wie wir es heute haben?
Vier Charakterzüge des Volkes Gottes – damals und heute!
Ein hohes Bekenntnis
Das Volk war durch ein hohes Bekenntnis und einen niedrigen praktischen Zustand gekennzeichnet (1,6). Sie bekannten, dass der Herr ihr Vater und Herr war. In ihrem praktischen Leben jedoch gaben sie dem Herrn nicht die Ehre, die einem Vater zustand. Auch hatten sie keine echte Furcht, wie sie einem Herrn zustand.
Müssen wir nicht zugeben, dass auch unsere heutige Praxis viel niedriger geworden ist als unser Bekenntnis? Ehren wir den Herrn in unserem tagtäglichen Leben? Denken, sprechen und handeln wir in der Furcht des Herrn?
Der Überrest des Volkes Israel zeigte weder Ehre noch Furcht in Bezug auf den Herrn. Das setzte ihn dem weiteren Tadel aus, dass er den Namen des Herrn verachtete. Auf diesen Vorwurf antwortet – sozusagen – das Volk direkt: „Womit haben wir deinen Namen verachtet?“ Diese herausfordernde „Antwort“ auf den ernsten Vorwurf bringt ein weiteres Kennzeichen des schlechten Zustandes des Volkes ans Licht.
Moralische Gefühllosigkeit und geistliche Blindheit
Das Volk war geprägt durch eine geistliche Blindheit über den eigenen, niedrigen Zustand. Geistliche Blindheit ist das unvermeidbare Ergebnis eines hohen Bekenntnisses in Verbindung mit einem schlechten Lebenswandel.
Das Volk Gottes neigt dazu – fast möchte man sagen unbewusst – den niedrigen praktischen Zustand zu entschuldigen durch sein so hohes Bekenntnis. Wir mögen sagen: „Mit all unseren Fehlern haben wir das Licht. Und wir befinden uns in der richtigen Stellung.“ So kann gerade unser Bekenntnis zum Mittel werden, durch das wir unsere Augen vor dem Ernst unseres niedrigen praktischen Zustandes verschließen. Die Folge davon ist, dass wenn wir mit unserem Versagen konfrontiert werden, wir dieses entweder beschönigen oder ablehnen, es anzuerkennen. Oder wir handeln wie der Überrest und sagen, dass wir diesen schlechten Zustand gar nicht erkennen können.
Äußerlicher Dienst für den Herrn ohne wahre Hingabe für den Herrn
Der äußere Dienst für den Herrn wurde vom Volk fortgesetzt. Aber die wahren, innerlichen Beweggründe für den Dienst fehlten (1,7–10). Sie brachten ihre Opfer zum Altar, oder Tisch des Herrn. Sie zündeten das Feuer auf dem Altar an und öffneten und schlossen die Türen des Tempels.
Aber es gab niemanden, der die Türen vollends zuschloss. Das Motiv ihres Dienstes war Egoismus und nicht die Liebe zum Herrn.
Das Ergebnis war, dass im Dienst für den Herrn alles möglich war, alles erlaubt zu sein schien. Das Lahme und Kranke war gut genug für den Herrn. Selbst mit ihrem irdischen Gouverneur würden sie so nicht umzugehen wagen. Menschen hatten in ihren Augen einen größeren Platz als der Herr. Und das bedeutete, dass sie den Herrn verächtlich behandelten. Ob sich ihr Bürgermeister eine solche Behandlung gefallen lassen hätte? „Ich habe kein Gefallen an euch, spricht der Herr der Heerscharen“ (1,10). Im Licht seines eigenen Ratschlusses kann der Herr sagen: „Ich habe euch geliebt“ (1,2). Wenn Er das Volk im Licht dessen praktischen Lebens beurteilt, muss Er ihnen sagen: „Ich habe kein Gefallen an euch.“ Wie ernst, wenn der Herr zu denen, die Er liebt, sagen muss: „Ich habe kein Gefallen an euch.“
Enthält das Ganze nicht auch eine Botschaft für uns? Können wir nicht äußerlich im Dienst des Herrn fortfahren – Predigen, Belehren, Hirtendienst ausüben, usw. – und dennoch fehlt der richtige Beweggrund? Der äußerliche Dienst mag korrekt sein, die innerlichen Motive dagegen verdorben? Sehen wir das nicht deutlich veranschaulicht, wenn wir die Versammlung in Ephesus (Off 2,2) mit der Versammlung in Thessalonich vergleichen?
Die Versammlung in Ephesus war im Dienst für den Herrn beschäftigt. Aber das wahre, verborgene Motiv fehlte. Die Versammlung in Thessalonich war durch das „Werk des Glaubens“, die „Bemühung der Liebe“ und das „Ausharren der Hoffnung“ (1Thes 1,3) gekennzeichnet. Die Versammlung in Ephesus war auch durch „Werke“, „Arbeit“, „Ausharren“ geprägt. Aber „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ fehlten. Daher muss der Herr dieser Versammlung sagen: „Du bist gefallen“ (Off 2,5).
Wir mögen uns wohl fragen, ob Glaube, Liebe und Hoffnung wirklich die Quelle unseres Dienstes sind. Das sind Eigenschaften, die nur der Herr selbst feststellen kann, die aber in seinen Augen sehr kostbar sind. Oder ist der Beweggrund für unseren Dienst das eigene Ich in irgendeiner Form – Selbsterhöhung, das Suchen des eigenen Fortkommens unter den Geschwistern, oder sogar die Hoffnung auf materiellen Gewinn?
Ermüdung und Verachtung für den Dienst des Herrn
Der Dienst für den Herrn wurde zu einer Mühsal für den Überrest (1,13). Bekenntnis ohne praktische Verwirklichung und Dienst ohne Hingabe werden zu einer Ermüdung in den Dingen des Herrn führen. Und wenn das Volk müde wird, eine Sache zu tun, wird sie diese bald verachten. So sagte der Überrest nicht nur über den Dienst des Herrn: „Siehe, welch eine Mühsal!“. Sie „bliesen“ ihn an, das heißt sie verachteten ihn (1,13).
Können wir nicht leider in unseren Tagen die gleiche Müdigkeit in den Dingen des Herrn sehen? Gibt es nicht viele, die einmal aktiv im Dienst für den Herrn waren, die aber nun müde geworden sind? Möglicherweise war ihre praktische Verwirklichung viel fehlerhafter als ihre Predigt. Dann wurde das Predigen zwar fortgesetzt, aber die Hingabe ging verloren. Und schließlich sind sie ganz müde geworden.
Die Hände hängen herab, die Knie sind schwach geworden. Die Hände werden nicht mehr in Fürbitte erhoben und die Knie nicht mehr im Gebet gebeugt (Jes 35,3; Heb 12,12). So sind sie müde geworden, müde im Beten, müde im Lesen der Bibel, müde im Gedenken des Herrn, müde im Predigen des Evangeliums, müde im Hören des Wortes Gottes, müde in den Dingen des Herrn, müde des Volkes Gottes. Und wovon wir müde werden, das verachten wir dann auch. Kein Wunder, dass sie am Ende die Dinge des Herrn anblasen und verachten, wie auch das Volk des Herrn.
Wie unendlich wichtig ist es, Christus vor uns zu haben als das wahre Motiv für jeden Dienst – „den zu betrachten“, der „Anfänger und Vollender des Glaubens“ ist, „der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen ermattet“ (Heb 12,2.3).
Zusammenfassung
Das also ist das so ernste Bild des Überrestes. Dieses Portrait des Propheten zeigt den allgemeinen Zustand, in den die Masse des zurückgekehrten Überrestes gefallen war:
Hohes Bekenntnis, verbunden mit einer schlechten Lebenspraxis
Moralische Gefühllosigkeit und geistliche Blindheit
Äußerlicher Dienst für den Herrn ohne wirkliche Hingabe zum Herrn
Müdigkeit und Verachtung für den Dienst des Herrn
Geziemt es uns nicht, uns selbst in das Licht zu stellen, inwiefern dies auch ein wahres Bild unseres eigenen Zustandes ist?
Der Zustand der Führer
Wir haben schon gesehen, dass die letzte Botschaft Gottes vor dem Kommen des Herrn an den nach Kanaan zurückgekehrten Überrest dessen moralischen und geistlichen Zustand betraf. Wir haben ebenfalls die allgemeinen Vorwürfe besehen, die gegen die Masse des Überrestes vorgebracht wurden und den niedrigen Zustand offenbarten. Aber über diese grundsätzlichen Anklagen gegenüber dem ganzen Volk hinaus enthält diese letzte Botschaft einige besondere Vorwürfe gegenüber den Priestern bzw. den Führern des Volkes überhaupt. Diese Dinge werden im zweiten Kapitel des Propheten Maleachi behandelt.
Bevor wir diese Tadel kurz anschauen, tun wir gut daran zu beachten, in welch ernster Art und Weise das zweite Kapitel eingeleitet wird. „Wenn ihr nicht hört und wenn ihr es nicht zu Herzen nehmt, meinem Namen Ehre zu geben, spricht der Herr der Heerscharen, so werde ich den Fluch unter euch senden und eure Segnungen verfluchen“ (2,1).
Zuhören und zu Herzen nehmen
Das mindeste, was das Volk hätte tun können, als Gott zu ihm über seinen moralischen und geistlichen Zustand sprach, war zuzuhören und zu Herzen zu nehmen, was Gott zu sagen hatte. Menschen, die den Worten Gottes nicht zuhören wollen, sind in der Tat ein hoffnungsloser Fall – seien sie Gläubige oder Sünder. Es abzulehnen zuzuhören, bringt die züchtigende Hand des Herrn für sein Volk mit sich. Sein Erntesegen wurde zerstört und verdorben.
Aber müssen wir nicht auch fragen, wie es um das Volk Gottes heute steht? Müssen wir nicht bekennen, dass die geistliche Verfassung des Volkes Gottes sehr niedrig ist? Und dass das schlimmste und verhängnisvollste Zeichen des Verfalls ist, dass es nur wenig Hinweise darauf gibt, dass das Volk Gottes „hört“ und „zu Herzen nimmt“, obwohl die Hand des Herrn in Züchtigung auf ihm liegt?
Ein niedriger Zustand in der Christenheit – und auch „unter uns“
Haben wir selbst den Propheten unser Ohr geliehen? Lehrern, die unseren Verstand belehren, folgen wir vielleicht gerne. Aber die Propheten, die sich an unser Gewissen wenden, vernachlässigen oder verwerfen wir. Die bekennende Christenheit mag „sich selbst Lehrer aufhäufen, indem es ihnen in den Ohren kitzelt“ (2Tim 4,3). Aber sie werden die Propheten steinigen (vgl. 2Chr 24,21), die sie vor ihren Sünden warnen. Und wenn die Propheten kein Gehör finden, gibt es auch kein „kein zu Herzen nehmen“ der Botschaft der Propheten.
Wo wir hinschauen, werden wir mit dem niedrigen Zustand des Volkes Gottes konfrontiert. Die Spaltungen, die Streitigkeiten, die Bitterkeit unter seinem Volk – alles ist heute offenbar. Und doch, wie wenig werden diese Dinge zu Herzen genommen, wie wenig Trauer finden wir vor dem Herrn! Wie wenig bekennen wir einander! Wie wenig nehmen wir die Betrübnis und unsere Beschämung zu Herzen, die Unehre für den Herrn! Es hat den Anschein, dass wir wesentlich mehr darauf bedacht sind, Recht zu bekommen, als dass wir einfach unser Versagen zugeben.
Versagen bringt die züchtigende Hand des Herrn auf sein Volk
Müssen wir nicht anerkennen, dass als Folge dieses Verhaltens die Hand des Herrn in Zucht auf seinem Volk liegt? So gibt es zwar viele Predigten, aber wenig Segen unter Sündern. Es gibt viel Belehrung und Dienst, aber wenig Wachstum unter den Gläubigen. Der Segen wird weitestgehend zurückgehalten.
Wenn wir diese ernsten Warnungen der einführenden Verse in Erinnerung halten, mögen wir doch diese letzte Botschaft an die Führer in Israel „hören“ und „zu Herzen nehmen“! Wir sollten darin eine Stimme vernehmen, die zu uns selbst spricht, und zwar mit einem unzweideutigen Klang.
Zunächst stellt der Prophet das schöne Bild vor, wie Gott die Priesterschaft am Anfang eingeführt hat. Wir werden nur dann eine wirkliche Bewertung unseres Zustandes am Ende einer Zeitepoche vornehmen können, wenn wir ihn mit dem Zustand zu Beginn vergleichen. Nur so erfahren wir das Ausmaß unseres Abweichens von dem, was nach den Gedanken Gottes ist.
Die ursprünglichen Gedanken Gottes über die Priesterschaft
Zu Beginn waren die Priester gekennzeichnet durch:
Leben (2,5)
Frieden (2,5)
Furcht des Herrn (2,5)
das Gesetz der Wahrheit im Mund (2,6)
Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen (2,6)
ein Lebenswandel in Frieden und Geradheit (2,6)
Segen für andere, indem man „viele von ihrer Ungerechtigkeit zurückbrachte“ und sie in der Erkenntnis belehrte (2,6.7)
Das waren die Gedanken Gottes für jemanden, der „ein Bote des Herrn der Heerscharen“ in der dunklen Welt sein sollte.
Im Licht dieses schönen Bildes fährt der Prophet fort, den damals aktuellen Zustand derer zu entfalten, die bekannten, „Boten des Herrn“ zu sein. Fünf verschiedene Anklagen muss er gegen sie vorbringen.
Die Beziehung zum Herrn war verkehrt
Die Beziehung der Priester zu dem Herrn stimmte nicht: „Ihr aber seid abgewichen vom Weg“, sagt der Prophet (2,8). Am Anfang „fürchtete er mich“ und „wandelte mit mir“, konnte der Herr sagen.
Aber nun waren sie von dem Weg des Lebens und des Friedens abgewichen. Das ernste Ergebnis war, dass die Priester nicht mehr „viele von ihrer Ungerechtigkeit zurückbrachten“, sondern „viele straucheln gemacht hatten im Gesetz“. Sich selbst hatten sie zudem verächtlich gemacht beim ganzen Volk (2,8.9).
Die Beziehung untereinander war verkehrt
Ihre Beziehung untereinander stimmte nicht: „Warum handeln wir treulos einer gegen den anderen?“, muss der Prophet fragen. Können wir darauf keine Antwort geben? Weil ihre Beziehung zu ihrem
Herrn nicht stimmte. Wie jemand gesagt hat: „Satan trennt zunächst den Menschen von Gott, und dann spaltet er uns untereinander.“ Der Prophet möchte dieses Übel korrigieren, indem er die Priester daran erinnert, dass sie einen Vater und einen Gott haben (2,10).
Auch in unseren Tagen ist es so: Nur wenn wir das Volk Gottes als eins verstehen – als Kinder einer Familie, von der Gott der Vater ist; und als Glieder des einen Leibes, von dem Christus das Haupt ist – werden wir fähig sein, treu miteinander umzugehen. Aber leider folgte dem Abweichen vom Herrn Streit, Zwist, Bitterkeit und Untreue untereinander.
Die Beziehung zur Welt war verkehrt
Ihre Beziehung zur Welt stimmte nicht: „Juda hat treulos gehandelt . . . und ist mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt“ (2,11). Nun werden die Anklagen in ihrer Art allgemeiner. Es geht nicht mehr allein um die Priester, die angesprochen werden, sondern Juda insgesamt wird nun in diesen gemeinsamen Vorwurf in Bezug auf die Weltlichkeit eingeschlossen. Diese Weltförmigkeit zeigt sich durch die weltlichen Beziehungen intimsten Charakters. Obwohl alle von diesem Vorwurf betroffen waren, wird er doch direkt mit dem Versagen der Priester verbunden.
Die Anordnung dieser Anklagen ist sehr ernst und lehrreich: Zunächst stimmte die Beziehung der Führer mit ihrem Herrn nicht mehr – sie wichen vom Weg ab. Dann handelten sie untereinander untreu. Schließlich muss der Prophet feststellen: Während die Hirten miteinander rangelten, schweiften die Schafe vom Weg ab. Die Streitigkeiten unter den Führern führten das Volk Gottes dazu, in die Welt abzudriften und unheilige Verbindungen einzugehen.
Die Beziehung innerhalb der Familien war verkehrt
Ihre Familienbeziehungen stimmten nicht: Die Priester und Männer werden angeklagt, dass sie treulos mit ihren Ehefrauen umgegangen sind (2,14). Wenn unsere Beziehung zu Gott nicht mehr stimmt, werden wir in jeder anderen Beziehung ebenfalls versagen. Wenn wir unheilige Verbindungen mit der Welt eingehen, wird es nicht lagen dauern, bis wir auch den unheiligen Wegen der Welt in den intimsten Beziehungen des Lebens folgen werden.
Um dem entgegenzuwirken, erinnert der Prophet das Volk an die Einheit und Unauflösbarkeit der ehelichen Beziehung. Denn unter seinem Volk suchte Gott „einen Samen Gottes“. Wie wichtig ist dieser Grundsatz! Wenn die Kinder heilig sein sollen, sollen ihre Eltern heilig leben.
Die Ausübung von Selbstdisziplin und Zucht war nicht Gott gemäß
Ihre Zuchthandlungen und die Selbstdisziplin stimmten nicht: Sie handelten treulos gegen ihre Ehefrauen, indem sie diese mit belanglosen Vorwürfen entließen. Der Prophet muss ihnen daher vorhalten: „Denn ich hasse Entlassung, spricht der Herr, der Gott Israels“ (2,16). Der Überrest handelte jedoch vollkommen anders, denn wir lesen: „Und er bedeckt mit Gewalttat sein Gewand“. Unter dem Deckmantel, die göttliche Ordnung aufrecht zu halten, handelten sie mit größter Gewalttat.
Während sich dieser Abschnitt direkt mit Männern beschäftigt, die ihre Frauen zu Unrecht wegstoßen, kann man diesen Grundsatz weitergehender anwenden. Dieses Prinzip kann sehr gut in Verbindung mit dem „hinaus tun“ (1. Korinther 5,13) eines Bösen aus der Mitte des Volkes Gottes betrachtet werden. Es ist eine ernste Warnung, einen Bruder gewaltsam loswerden zu wollen, ohne einen angemessenen und schriftgemäßen Grund für eine solche Vorgehensweise zu haben.
Unter dem Überrest hatten Männer ihre Frauen weggeschickt, nicht weil diese gesündigt hätten, sondern weil die Männer ihre egoistischen Interessen und Begierden stillen wollten. Gab es nicht leider auch unter dem himmlischen Volk Gottes manch augenfälliges Beispiel davon, dass bekannte, gottesfürchtige Personen nicht wegen einer Sünde hinaus getan wurden, sondern einfach, weil die Forderungen einer Partei ihren Ausschluss verlangten?2
Treulos – Untreu
Wenn man diese ernsten Anklagen liest, wird man innerlich durch das wiederholte Vorkommen des Wortes „treulos“ getroffen. Es kommt in den Versen 10, 11, 14, 15 und 16 vor. In jedem dieser Vorkommen könnte man auch „untreu“ übersetzen. Nachdem die Priester vom Weg abgewichen waren, waren sie in jedem Bereich untreu geworden. Sie waren einander untreu geworden, untreu den eigenen Brüdern; sie waren in ihren Beziehungen zu der Welt untreu geworden; sie waren im Bereich des eigenen Hauses untreu geworden; und schließlich waren sie in der Ausübung der Zucht untreu geworden.
Welch ein trauriges Bild stellt uns diese letzte Botschaft von dem Überrest des Volkes Gottes vor. Äußerlich befand er sich in der richtigen Stellung. Und äußerlich führten sie den Dienst des Herrn weiter aus.
Mit Einsicht in die Gedanken Gottes sehen wir unseren eigenen Zustand darin
Wenn wir überhaupt Einsicht in den Dingen Gottes haben, ist es so leicht, unter dem Volk Gottes heute das Gegenstück dieses Überrestes zu erkennen. Ist es nicht wahr, dass es unter denen, welchen viel Licht gegeben worden ist, ein gravierendes Abweichen „vom Weg“ gab? Und das auch auf Seiten vieler Führer?
Abweichen von Gott hatte Meinungsverschiedenheiten unter den Führern des Volkes zur Folge – Untreue einer dem anderen gegenüber. Eifersucht, Neid, Streit, übles Nachreden haben viel zu oft die Führer in ihrer Gesinnung einander gegenüber geprägt. Dies wiederum war dann der Anlass für viele, sich in die Welt zu begeben, unheilige Verbindungen mit der Welt einzugehen. Und das hatte zur Folge, dass unheilige, weltliche Gewohnheiten in das Familienleben des Volkes Gottes hineinkamen. Wenn wir in unseren Familien, in unseren Häusern versagt haben, ist dann unsere Unfähigkeit im Haus Gottes in der rechten Weise zu handeln und zu regieren überhaupt verwunderlich? „Wenn aber jemand dem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie wird er für die Versammlung Gottes Sorge tragen?“ (1Tim 3,5).
Gibt es in diesen Anklagen nicht ausreichend Anlass, uns auf unsere Knie zur Demütigung, zum Bekenntnis und ins Flehen zu bringen? Mögen wir die Stimme Gottes hören, die zu unseren Gewissen spricht! Und mögen wir diese letzte Botschaft zu Herzen nehmen!
Die Tür zur Buße
Wir haben bereits gesehen, wie ernst der Prophet den niedrigen moralischen Zustand des Überrestes offen legt. Es war ein Zustand, der die züchtigende Hand des Herrn auf das Volk brachte und regelrecht schrie nach Gericht.
Dementsprechend wird der Überrest in Maleachi 3,1-5 vor dem Kommen des Herrn in gerichtlicher Herrlichkeit gewarnt. Ermüdet durch die Verwirrung, die ihre eigene Torheit bewirkt hatte, rief das Volk aus: „Wo ist der Gott des Gerichts?“ (2,17).
Gott beantwortet die Unverschämtheit seines Volkes mit der Gerichtsankündigung
Auf diese Frage erhielt das Volk eine sofortige Antwort: „Siehe, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite. Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr sucht“ (3,1). Der Prophet fügte allerdings hinzu: „Wer aber kann den Tag seines Kommens ertragen, und wer wird bei seinem Erscheinen bestehen?“ (3,2). Dann sprach der Herr selbst: „Und ich werde euch nahen zum Gericht“ (3,5). Wenn der Herr kommen wird, wird Er ein schneller Zeuge gegen das Böse und die Übeltäter sein.
Wir sehen, dass der Überrest nicht nur in Bezug auf seinen niedrigen Zustand angeklagt wird, sondern auch vor dem kommenden Gericht gewarnt wird, das dieser Zustand mit sich bringt. Gott ist jedoch nicht einfach ein Gott des Gerichts. Er ist auch ein Gott der Barmherzigkeit. So hat Er schon immer in seinen Wegen vor dem Ausüben von Gericht dem Gnade angeboten, der Buße tut.
Gottes Handeln ist immer auf der Unveränderbarkeit seiner Natur gegründet
An dieser Stelle wollen wir noch einmal betonen, dass Gottes Handeln – sei es in Gericht oder Barmherzigkeit -auf die Unveränderlichkeit seiner Natur gegründet ist. Daher wird der unveränderliche Charakter Gottes, bevor Er zur Buße aufruft, offiziell erklärt: „Denn ich, der Herr, ich verändere mich nicht; und ihr, Kinder Jakobs, ihr werdet nicht vernichtet werden“ (3,6). Die Heiligkeit Gottes verändert sich nicht. Daher muss Er sein Volk züchtigen, wenn es sündigt. Aber auch die Ratschlüsse der Gnade und des Segens Gottes ändern sich nicht. Daher wird sein Volk nicht vernichtet.
Nachdem Gott einen warnenden Ruf erschallen ließ, rief Er sein Volk in Übereinstimmung mit seinen unveränderbaren Handlungsgrundsätzen zur Buße auf. „Kehrt um zu mir, so will ich zu euch umkehren, spricht der Herr der Heerscharen“ (3,7).
Darüber hinaus ermutigt der Herr das Volk zur Umkehr, indem Er ihnen die Segnungen vorstellt, die auf die Buße folgen würden:
Zwei Segensverheißungen
Sie selbst würden reich gemacht werden. Sogar die Fenster des Himmels würde Gott für das Volk öffnen und seinen Segen, weit über ihr Aufnahmevermögen, über sie ausschütten (3,7–10).
Sie würden zu Zeugen des Herrn vor der Welt: „Und alle Nationen werden euch glücklich preisen“ (3,11.12).
Der Herr ruft das Volk nicht nur zur Buße auf, Er zeigt ihm auch den Weg dorthin. Es ist gut, dass wir uns des niedrigen Zustandes bewusst werden und diesen vor dem Herrn bekennen. Aber die Beschäftigung mit unserem eigenen Bösen führt nicht in sich selbst zur Wiederherstellung. Es ist nicht die Schlechtheit des Menschen sondern die Güte Gottes, die den Menschen zur Buße leitet (Römer 2,4).
Der Herr in dreifachem Charakter
Ich bin überzeugt, dass der Weg zur Widerherstellung in der Wertschätzung alles dessen liegt, was Gott für sein Volk ist. Der Herr stellt sich daher seinem Volk in einer dreifachen Weise in dem einleitenden Kapitel der Weissagung vor:
Die souveräne Liebe des Herrn (1,2)
Der festgesetzte Ratschluss des Herrn (1,5.11)
Die gewaltige Macht des Herrn (1,14)
Lasst uns diese drei großen Wahrheiten kurz betrachten:
Die souveräne Liebe des Herrn
Die Weissagung beginnt mit der erhabenen Erklärung: „Ich habe euch geliebt, spricht der Herr“. Diese großartige Äußerung ist reich an Belehrung:
Gottes Liebe hängt nicht von uns ab
Diese Zusage Gottes sichert uns zu, dass sich seine Liebe zu uns nicht verändern wird, welcherart auch immer der Zustand des Volkes Gottes sein mag. Israel mag von dem Herrn abweichen und sogar in Götzendienst fallen, in Gefangenschaft gehen. Das Volk mag wiederhergestellt werden und wieder in einen niedrigen, moralischen Zustand fallen. Aber der Herr sagt durch den Propheten Jeremia: „Ja, mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt“ (Jeremia 31,3). So mögen auch Jünger fallen und den Herrn verlassen, ja Ihn sogar verleugnen. Und doch bleibt bestehen: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende“ (Joh 13,1).
Auch hinter der Zucht des Herrn steht Liebe
Wie ernst auch der Herr zu uns wegen unseres niedrigen moralischen Zustandes sprechen muss; wie scharf Er auch mit uns deswegen handeln muss: Hinter seinen Zurechtweisungen und seinen Züchtigungen steht immer die Liebe. Die Hand, die uns schlagen muss, wird durch ein liebendes Herz bewegt.
Die Liebe ist der Maßstab für alles Versagen
Die Liebe des Herrn ist der wahre Maßstab für alles Versagen. Wir können das Ausmaß unseres Versagens nur dann wahrhaft beurteilen, wenn wir es an der Höhe seiner Liebe messen. Das ist sowohl in Bezug auf das Versagen Israels als auch in Bezug auf das Versagen der Versammlung wahr. Es gilt für einen persönlichen Fall genauso wie für einen allgemeinen Zusammenbruch. Ich kann mein persönliches Versagen nur dann richtig bewerten, wenn ich es in dem Licht der persönlichen Liebe dessen sehe, „der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20).
Wie schlimm ist die Kirchengeschichte, wie groß ihr Ruin, wenn ich das alles in dem Licht der großen Wahrheit sehe, dass „Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat“. Wie verachtenswert sind die Spaltungen, unsere Streitigkeiten, unsere Bitterkeit gegeneinander, das Schlechtmachen des anderen, um uns selbst zu erhöhen; das Missdeuten der Handlungen von anderen, das Missverstehen der Worte des anderen, die Unterstellung schlechter Motive bei anderen – wenn wir die zu Herzen gehenden Worte des Herrn hören: „Wie ich euch geliebt habe, liebet auch ihr einander“ (Joh 13,34). Welch eine schockierende Kleinheit verraten unsere Worte und Taten oft, wenn wir daran denken, dass „Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat“ (Eph 5,2).
Die Liebe ist zugleich der Weg zur Wiederherstellung
Die Liebe des Herrn ist nicht nur der Maßstab unseres Versagens. Sie ist auch der Weg für die Wiederherstellung. War es nicht ein Blick der Liebe, der Petrus wiederherstellte? Petrus hatte den Herrn mit Eiden und Flüchen verleugnet. „Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an“ (Lk 22,61). Können wir nicht sagen, dass es ein Blick unendlicher Liebe war? Petrus entdeckte durch diesen Blick, dass seine Verleugnung des Herrn die Liebe des Herrn zu ihm nicht verändert hatte. „Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Liebe zerbrach ihn. Unsere Sünden brachen das Herz unseres Retters. Aber seine Liebe bricht unsere Herzen.
Wie konnte Joseph verbleibenden Zweifel seiner verirrten Brüder zerstreuen, die ihn so schändlich behandelt hatten? Wir lesen: „Und er tröstete sie und sprach zu ihren Herzen“ (1Mo 50,21). Er bestätigte ihnen seine Liebe.
Die Tür der Hoffnung
Und wie wird der Herr schließlich sein abtrünniges Volk wiederherstellen? Wir lesen in Hosea die zu Herzen gehenden Worte des Herrn: „Darum siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen reden“ (Hos 2,14). In Umständen der Wüste wird Gott zum Herzen des Volkes Israel sprechen und ihm eine Tür der Hoffnung öffnen. Dort, wenn seine Liebe ihr Werk vollbracht hat, wird das Volk wieder singen wie in den Tagen, als es aus dem Land Ägypten kam (2Mo 15).
Können wir nicht auch sagen, dass der Herr heute in diesen traurigen Tagen mit seinem Volk auf dieselbe Weise handelt? Wie viele haben den Verlust von Geliebten zu beklagen, deren Angesicht sie hier auf Erden nicht mehr wieder sehen werden. Die Ehefrau beweint ihren Ehemann, die Kinder weinen um ihren Vater, die Mutter beweint ihren Sohn. So hat der Herr für viele Herzen diese Welt in eine Wüste verwandelt. Er hat uns in die Wüste gelockt. Aber durch dieses Handeln hat Er uns zu sich selbst gelockt, damit Er inmitten unserer Tränen zu unseren Herzen sprechen kann. Und durch sein Sprechen zu unseren Herzen zeigt Er uns seine Liebe, verbindet unsere Wunden und macht uns fähig zu singen.
Im Licht dieser großen Liebe können wir unseren niedrigen Zustand richten. Und durch die bezwingende Macht der Liebe sollen wir von jetzt an nicht mehr uns selbst leben, sondern Ihm, der für uns starb und auferstand.
Der festgesetzte Ratschluss des Herrn
Der Herr erinnert sein Volk nicht nur an seine Liebe. Es verlangt Ihn auch danach, es durch die Entfaltung seines Ratschlusses der Liebe wiederherzustellen. Das führt uns zu der zweiten großen Wahrheit, die durch den Propheten entfaltet wird. Wir lesen: „Groß ist der Herr über das Gebiet Israels hinaus“ (1,5). Und weiter: „Denn vom Ausgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Nationen; und an jedem Ort wird geräuchert, dargebracht werden meinem Namen, und zwar reine Opfergaben. Denn mein Name wird groß sein unter den Nationen, spricht der Herr der Heerscharen“ (1,11).
Auf die Erklärung der Liebe des Herrn antwortet der Überrest scharf: „Worin hast du uns geliebt? (1,2). Der Herr beantwortet diese geistliche Blindheit, indem Er einen Beweis seiner Liebe gibt. Er nimmt das Volk mit zurück an den Anfang und erinnert es an die souveräne Liebe, die den Vater des Volkes, Jakob, auserwählte. Und dann wird der Überrest in die Zukunft mitgenommen, um ihm zu zeigen, dass Liebe den Ratschluss gefasst hat, aus Israel das Zentrum des Segens der Erde zu machen: „Groß ist der Herr“, aber es geht über das Gebiet Israels hinaus. Und die Erfüllung dieses großen Ratschlusses wird die Liebe des Herrn sichtbar machen.
Auch der Überrest wird die Liebe des Herrn einmal erkennen
In den Tagen des Propheten Maleachi sagte der Überrest, dass er die Liebe des Herrn nicht sehen könne. Sie fragen: „Worin hast du uns geliebt?“ Aber der Herr antwortet ihnen, dass es einen Tag geben wird, wenn der Überrest diese Liebe erkennen wird. „Eure Augen werden es sehen, und ihr werdet sprechen: Groß ist der Herr über das Gebiet Israels hinaus.“ Edom mag versuchen, Widerstand zu leisten. Aber das wird vergeblich sein. Es wird „Gebiet der Gottlosigkeit“ genannt werden. Aber „der Herr ist groß über das Gebiet Israels hinaus“.
Sind auch wir versucht in unseren Tagen, aufgrund der Rauheit des Weges die Liebe des Herrn in Frage zu stellen und zu fragen: „Worin hast du uns geliebt?“ Dann wollen wir unsere Seelen erneut an die souveräne Liebe des Vaters erinnern, die uns in Christus vor Grundlegung der Welt erwählt hat. Und wir wollen an seinen festgesetzten Ratschluss denken, dass Er sich selbst in der Versammlung durch Christus Jesus in alle Ewigkeit verherrlichen wird (Eph 1,3-14). Wir sollten nicht die vorübergehenden, zeitlichen Leiden auch nur für einen Augenblick unsere Sicht der Liebe trüben lassen, die uns auserwählte, bevor die Zeit begann. Denn sie wird uns ewig segnen, auch wenn es die Zeit nicht mehr gibt.
Die Macht Satans und die Einmischung des Fleisches und der Welt ruinierten das Zeugnis des irdischen Volkes Gottes. Genauso haben diese Dinge das Zeugnis des Volkes Gottes heute zerstört. Dennoch werden sich am Ende die Ratschlüsse Gottes durchsetzen – sei es für das irdische oder das himmlische Volk Gottes. Und die herrlichen Ergebnisse werden sein, dass „der Herr groß ist“ und sein „Name groß sein wird“ (1,5.11). Wir werden gesegnet werden, aber Er wird gepriesen sein. Und genauso, wie sein Name groß sein wird inmitten der Nationen auf der Erde, wird sein Name groß sein inmitten der himmlischen Heerscharen. Denn wir lesen: „Und sein Name wird an ihren Stirnen sein“ (Off 22,4). Unsere Namen mögen im Himmel eingeschrieben sein – aber nur ein Name wird im Himmel gesehen werden.
Die gewaltige Macht des Herrn
Was die Liebe ausgedacht hat, wird in Macht vollbracht werden. So stellt uns der Prophet die gewaltige Macht des Herrn vor: „Denn ich bin ein großer König, spricht der Herr der Heerscharen, und mein Name ist gefürchtet unter den Nationen“ (1,14). Der Herr ist groß an Majestät und groß an Macht. Er hat unzählige Heerscharen zur Verfügung. Das Kapitel beginnt mit der zu Herzen gehenden Erklärung: „Ich habe euch geliebt, spricht der Herr“. Und es schließt mit der erhabenen Aussage: „Ich bin ein großer König, spricht der Herr.“ Liebe und Macht verbinden sich, um Gottes Ratschlüsse auszuführen.
Wie ernst ist der Zustand des Überrestes im Licht der Liebe des Herrn zu seinem Volk, wenn er auf den Ratschluss des Herrn bezogen wird, seinen Namen zu verherrlichen und sein Volk zu segnen. Und wenn der Zustand angesichts der Macht des Herrn betrachtet wird, die sich zugunsten seines Volkes offenbart. Der Zustand des Volkes war so tief, dass sie die Liebe des Herrn nicht erkannten, seinen Namen entweihten und den mit Verachtung behandelten, der „ein großer König“ und „der Herr der Heerscharen“ war.
Auch unser niedriger Zustand ist offenbar geworden
Ist nicht auch der niedrige Zustand des Volkes Gottes heute vollkommen entblößt, wenn er in dem Licht der souveränen Liebe gesehen wird, die uns auserwählt hat? In der erhabenen Zukunft, die uns erwartet? Und angesichts der überragenden Größe seiner Kraft an uns (vgl. Eph 1)? Geziemt es uns nicht, zurück zu unserem Herrn zu gehen und in seiner Gegenwart unseren moralischen und geistlichen Zustand in dem Licht dieser großen Wahrheiten zu überprüfen? Aber ist es nicht ebenso notwendig, die Art und Weise unserer Lebensführung – den innerlichen und den äußerlichen Lebenswandel – zu überprüfen? Auch die Dinge, die unsere Zuneigungen erhalten und unsere Gedanken fesseln? Die Worte, die wir aussprechen, und die Gesinnung, in der wir sie von uns geben?
Müssen wir nicht die Dinge, die wir tun, und auch die Motive, aus denen wir sie tun, neu in sein Licht bringen? Wenn wir uns so in dem Licht seiner Liebe, seines Ratschlusses und seiner Macht selbst prüfen, werden wir bekennen müssen, dass es vieles in unserem Leben gibt, das sehr armselig und schäbig aussieht.
Wir wollen allerdings auch nicht den Mut aufgeben. Denn gerade der Maßstab für unser Versagen ist das Mittel zur Wiederherstellung. Aber nur für diejenigen, die sich durch diesen Maßstab üben lassen. Wenn wir uns mit der Liebe beschäftigen, die uns auserwählt hat, und mit der herrlichen Zukunft, die uns erwartet, sowie mit der gewaltigen Macht, die in uns wirkt, werden wir von allem, was wir sind, befreit werden. Dann erfreuen wir uns allein in dem, was Er selbst ist.
Die Bewährten des Herrn
Wir haben gesehen, dass sich der Herr in dieser letzten Botschaft mit seinem Volk und seinen Führern konfliktreich auseinandersetzen muss. Anlass ist ihr niedriger moralischer und geistlicher Zustand. Darüber hinaus haben wir gelesen, dass der Herr ihnen eine Tür der Buße öffnet. Er verbindet sie mit der Verheißung unmittelbaren Segens, wenn sie von diesem Weg der Wiederherstellung Gebrauch machen.
Der Prophet macht jedoch zugleich sehr deutlich, dass es für die Masse des Volkes keine Hoffnung für eine Wiederherstellung gibt. Sie waren moralisch empfindungslos und geistlich blind geworden. Zufrieden mit einer korrekten Stellung und dem äußerlichen Einhalten religiöser Vorschriften, waren sie vollkommen ahnungslos über ihren eigenen niedrigen Zustand – geistlich blind in Bezug auf alles, was der Herr für sie war.
Die unverschämten Fragen des Volkes
Als Gott sie an seine Liebe erinnerte, antworteten sie: „Worin hast du uns geliebt?“ (1,2). Als Er sie für das Verachten seines Namens rügte, antworteten sie: „Womit haben wir deinen Namen verachtet? (1,6). Als Er sie tadelte, dass sie Ihm unreines Brot darbrachten, antworteten sie: „Womit haben wir dich verunreinigt?“ (1,7). Als sie angeklagt wurden, dass sie den Herrn ermüdet hatten, sagten sie: „Womit haben wir ihn ermüdet?“ (2,17). Als Er ihnen vorwerfen musste, dass sie Ihn beraubt hatten, sagten sie: „Worin haben wir dich beraubt?“ (3,8). Als Er ihnen sagen musste: „Eure Wortes sind trotzig gegen mich gewesen“, antworteten sie: „Was haben wir miteinander gegen dich beredet?“ (3,13). Und als Er sich anflehte, dass sie zu Ihm zurückkehren möchten, sagten sie: „Worin sollen wir umkehren?“ (3,7).
Ein niedriger Zustand an sich ist schon sehr ernst. Diesen jedoch nicht zuzugeben, macht die Lage vollkommen hoffnungslos. Das war der schreckliche Fall bei dem Überrest in den Tagen Maleachis.
Ist der Zustand heute ein wirklich anderer?
Aber ist es mit dem Volk Gottes wirklich anders in unseren Tagen? Wir können die nicht ertragen, die uns warnen. Wie es immer war, so auch heute: Wir steinigen die Propheten. Wie ungeduldig gehen wir mit der der geringsten Andeutung um, bei uns könnte etwas nicht in Ordnung sein. Wie jemand gesagt hat: „Der Stolz des menschlichen Herzens kann es nicht leiden, dass ihm Sünde vorgehalten wird. Noch mehr lehnt er es ab, Sünde zuzugeben.“
Wie schnell sind wir dabei, andere zu verurteilen. Und wie langsam sind wir dabei, uns selbst zu verurteilen. Hierin liegt die vollständige Hoffnungslosigkeit für jede allgemeine oder gemeinsame Wiederherstellung heute. Wir sind damit zufrieden, dass wir eine korrekte Stellung eingenommen haben. Das äußerliche und ordnungsgemäße Beobachten des religiösen Lebens reicht uns aus. Aber wir lehnen es ab zuzugeben, dass wir falsch gehandelt haben, oder dass wir sogar falsch liegen. Daher gibt es keine allgemeine Widerherstellung, keine Genesung, keine Heilung.
Keine Wiederherstellung für die Masse – aber Ermutigung für den Einzelnen
Wenn es auch für die Masse keine Wiederherstellung gibt, heißt das nicht, dass es für den Einzelnen keine Ermutigung gäbe. In der Geschichte des Volkes Gottes finden wir die hingebungsvollsten Männer Gottes in den dunkelsten Tagen. „Samuel diente dem Herrn“ (1Sam 3) in Tagen, als die Priesterschaft verunreinigt war, die Opfergaben wurden verachtet, und die Lampe Gottes erlosch.
Es war auch nicht in den glorreichen Tagen des Königs Salomo, sondern in den Tagen des Abfalls unter König Ahab, dass Elia ein helles Zeugnis für Gott ablegte. So war es auch in den Tagen Maleachis, dass es solche gab, die inmitten der vorherrschenden Hoffnungslosigkeit nicht nur äußerlich korrekt handelten, sondern auch moralisch angenehm für den Herrn waren. Sie trafen sich mit der Anerkennung und Empfehlung des Herrn als ein kleiner Überrest inmitten eines Überrestes (3,16).
Vers 16: Kennzeichen des kleinen Überrestes
Die besonderen Kennzeichen dieses kleinen Überrestes sind moralische Merkmale. Es ist nicht ihre äußerliche Stellung, so richtig sie auch ist, um die es geht. Es handelt sich auch nicht um den äußerlichen Dienst, der die Anerkennung des Herrn erhält, wie eifrig man auch handeln mag. Es ist der moralische Zustand des kleinen Überrestes, den der Herr anerkennt und der diese Gläubigen so wertvoll in seinen Augen macht.
Natürlich ist die richtige Stellung keineswegs unwichtig für den Herrn. Genauso wenig wie der Dienst für Ihn. Aber in dem letzten Stadium der Geschichte des Volkes Gottes, wenn das äußerliche Zeugnis wahrhaft ruiniert ist, sucht der Herr vor allem anderen einen moralischen Zustand, der Ihm entspricht.
Die Furcht des Herrn
Das erste kennzeichnende Merkmal dieses Überrestes ist, dass sie „den Herrn fürchten“ (3,16). Das steht in einem auffallenden Gegensatz zu der religiösen Masse, von der dieser Überrest umringt war. Die Masse legte ein hohes, religiöses Bekenntnis ab. Aber sie zeigt durch ihren niedrigen praktischen Zustand nur zu deutlich, dass sie jede Furcht des Herrn abgeworfen hatte. Der Herr führt viele schwere Sünden, die nach Gericht rufen, im Einzelnen auf. Aber sie alle werden in dieser einen, großen Sünde zusammengefasst: Sie „fürchten mich nicht, spricht der Herr der Heerscharen“ (3,5).
Der Herr musste sagen, als Er auf die Masse schaute: „Wo ist meine Furcht?“ (1,6). Als Er aber auf diesen gottesfürchtigen Überrest schaute, konnte Er mit Freuden anerkennen, dass sie „den Herrn fürchten“ (3,16).
Der Mensch, der den Herrn fürchtet, wird durch den Herrn und nicht durch einen Menschen regiert. Er gehorcht dem Herrn mehr als Menschen. Er bezieht alles auf den Herrn, denn er steht vor dem Herrn, der vor ihm in allen seinen Wegen steht. Ein solcher erlaubt dem Menschen nicht, wie hoch seine Stellung und Gabe auch immer sein mag, zwischen sich und den Herrn zu kommen. Mit einem Wort: Ein solcher gibt dem Herrn dessen richtigen, nämlich den höchsten Platz. Und genau das ist so wertvoll in den Augen des Herrn.
Gemeinschaft im Nachdenken über das Wort Gottes
Das zweite Kennzeichen ist, dass „sie sich miteinander unterredeten“. Das ist Gemeinschaft. Aber es ist nicht einfach die Gemeinschaft einer richtigen Stellung, sondern vielmehr die Gemeinschaft eines richtigen moralischen Zustands. Es war die Gemeinschaft derjenigen, die „den Herrn fürchten“. Die vorherrschende Verunehrung des Herrn und der niedrige moralische Zustand derer, von denen dieser Überrest umgeben war, trieben diese Wenigen zusammen. Auf der anderen Seite war ihre Seele geübt. Die ihnen gemeinsame Furcht des Herrn führte sie in eine heilige und glückliche Gemeinschaft zusammen.
Ist es in diesen letzten Tagen nicht eine Gemeinschaft, die diesen Charakter trägt, die einen solchen Wert in den Augen des Herrn hat? Das ist nicht vergleichbar mit einer Gemeinschaft, die mit einer richtigen kirchlichen Stellung beginnt und endet. Auch nicht mit einer organisierten Gemeinschaft, die vor allem evangelistische Aktionen plant und durchführt sowie ein vielleicht großartiges missionarisches Unternehmen in Angriff nimmt. Das ist auch keine Gemeinschaft zur Verteidigung einer großen Wahrheit, oder um ein neues Zeugnis zu beginnen. Nein – es ist eine leise, verborgene Gemeinschaft, die sich durch einen glücklichen Gedankenaustausch zwischen Seelen ausdrückt, die durch ihre gemeinsame Beziehung zum Herrn zusammengeführt worden ist.
Die Achtung des Namens des Herrn
Das dritte Kennzeichen ist, dass sie „seinen Namen achten“. Sie versuchten nicht, ihre eigenen Namen zu verherrlichen. Sie wollten die Ehre des Namens des Herrn aufrechterhalten. Während ihre Umgebung den Namen des Herrn verachtete, wachten diese gottesfürchtigen Seelen eifersüchtig über die Ehre seines Namens.
Das waren die Kennzeichen derer, die in Tagen des Ruins die gnädige Anerkennung des Herrn besaßen. In ihnen selbst gab es nichts, was in der Welt ihrer Tage Aufsehen erregte. Sie waren nicht durch eine große Gabe bekannt, die ihnen einen hervorstechenden Platz vor Menschen gab. Sie waren auch nicht bekannt aufgrund irgendeines großen Wohlfahrtswerkes, das Beifall in der Welt hervorgerufen hätte. Sie besaßen weder außergewöhnliche intellektuelle Kraft noch Wundergaben, die sie vor ihren Zeitgenossen groß gemacht hätten. Sie befanden sich auch nicht in einer klar strukturierten Organisation, die ihnen einen Platz inmitten der Parteien und Systeme von Menschen hätten geben können.
Verse 16–18: Die Antwort des Herrn
Und in der Tat fehlten bei ihnen solche Werte, die bei Menschen in hohem Ansehen stehen. Stattdessen besaßen sie moralische Eigenschaften, die in den Augen des Herrn von großem Wert sind. Und der Herr drückte sofort seine Anerkennung für diejenigen aus, die Ihn inmitten der vorherrschenden Verdorbenheit fürchteten und seinen Namen achteten (3,16–18).
Das Aufmerken des Herrn
„Der Herr merkte auf“. Man könnte auch sagen: Der Herr beobachtete es. Von diesen Gläubigen nahm die große Masse keine Kenntnis. Und wenn sie diesen Überrest sah, verachtete sie ihn. Aber für den Herrn waren sie in keiner Weise unbedeutsam. Er „merkte auf“ und beobachtete sie. Sein Auge konnte mit Freude auf ihnen ruhen. Der gottesfürchtige Lebenswandel dieses kleinen Überrestes hatte in den Augen des Herrn einen großen Wert.
Das Hören des Herrn
Der Herr „hörte“. Er beobachtete den gottesfürchtigen Lebenswandel dieses Überrestes und seine Wege nicht nur mit Freude. Er war auch ein freudiger Zuhörer, wenn diese Gläubigen einen heiligen Umgang miteinander hatten.
Ein Gedenkbuch für Gläubige – sie sind Eigentum des Herrn
„Ein Gedenkbuch wurde vor ihm geschrieben für die, die den Herrn fürchten und die seinen Namen achten.“ Sie fürchteten den Herrn, und der Herr gedachte ihrer. Sie achteten seinen Namen, und Er wird ihre Namen nicht vergessen. Aber es war „vor Ihm“, dass dieses Buch geschrieben wurde, nicht vor der Welt. Ein gottesfürchtiger Lebenswandel, ein frommer Umgang, eine Gott geweihte Eifersucht für den Namen des Herrn: Das sind keine Eigenschaften, die den Namen eines Menschen auf die Heldenrollen dieser Welt bringen werden. Diese hat nur ein Kurzzeitgedächtnis für solche Menschen. Aber diese Gläubigen sind dem Herzen des Herrn lieb und teuer. Er schätzt ihr Gedächtnis hoch ein und schreibt ihre Namen in sein Gedenkbuch.
Sein Eigentum
„Und sie werden mir, spricht der Herr der Heerscharen, zum Eigentum sein an dem Tag, den ich machen werde.“ Dieser Überrest erfuhr nicht nur die verborgene Anerkennung in Tagen des Ruins. Er wird durch den Herrn die öffentliche Anerkennung an dem Tag der Herrlichkeit ehrend erfahren. An einem Tag des Ruins waren sie tatsächlich schon wertvoll in seinen Augen – sein Eigentum, seine Edelsteine3, wenn auch noch nicht öffentlich sichtbar. In kommenden Tagen werden sie jedoch Edelsteine sein, in verherrlichter Weise sichtbar werden. „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1Joh 3,2).
Schutz vor Gericht
„Und ich werde sie verschonen, wie ein Mann seinen Sohn verschont, der ihm dient.“ Das Gericht stand unmittelbar davor, über das Böse und die Übeltäter hereinzubrechen, ungeachtet der Größe ihres religiösen Bekenntnisses. Dieser kleine Überrest dagegen hatte die Zusicherung Gottes, dass sie verschont würden. Inmitten derer, die nach außen hin bekannten, einen Platz besonderer Nähe zum Herrn einzunehmen und Ihm in richtiger Weise zu dienen, nahm dieser Überrest einen Platz ein, der wahrhaft nah am Herzen des Herrn war. Sein Dienst war Ihm deshalb auch tatsächlich angenehm. So konnte der Herr sagen: „Ich werde sie verschonen, wie ein Mann seinen Sohn verschont, der ihm dient.“ Dann wird offenbar werden der Unterschied zwischen dem, der Gott dient, und demjenigen, der Gott nicht dient.
Während also diese letzte Botschaft Gottes in unzweifelhaften Worten den niedrigen Zustand der Masse des bekennenden Volkes Gottes verkündete, unterscheidet sie sehr sorgfältig Einzelne, die durch Gott hingegebenen moralische Kennzeichen geprägt waren. Ihnen bringt der Herr eine Botschaft der Anerkennung, des Trostes und der Ermutigung. Diese Einzelnen besaßen nicht nur das Bewusstsein der Anerkennung des Herrn als ein gegenwärtiges Teil, um ihren Glauben zu unterstützen und sie auf ihrem Weg aufzumuntern, sondern ihnen wurde auch das Kommen des Herrn als eine umgehende Hoffnung verkündigt – in der Tat als ihre einzige Hoffnung.
Verse 19–21: Der Zustand der Masse lässt keine Hoffnung zu . . .
Dieser kleine Überrest konnte nicht erwarten, dass das Böse abnehmen würde oder dass die Masse der Bösen geringer würde. Er wusste, dass die Welt nicht besser werden würde, bis das Kommen des Herrn mit „allen Übermütigen und allen Tätern der Gottlosigkeit“ abrechnen würde (3,19).
Nein, sie hielten nicht nach einer großen Erweckung Ausschau, oder nach einer allgemeinen „Heilung“ unter dem Volk Gottes, bis „die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen [würde] mit Heilung in ihren Flügeln“ (3,20).
Sie erwarteten auch keine neue Botschaft von Gott oder neues Licht, um die zunehmende Hoffnungslosigkeit zu lindern, bis der Herr kommen würde und als die Sonne der Gerechtigkeit die Wolken der Finsternis vertreiben würde.
Sie hielten auch nicht Ausschau nach einem Wiedererstehen von Wunderkräften, nach einem öffentlichen Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes, bis der Herr in seiner Allmacht eingreifen würde, um sie fähig zu machen, ihre Feinde unter ihren Fußsohlen zu zertreten (3,21).
. . . und dennoch konnte der Einzelne dem Herrn treu sein
Auf jeder Seite waren diese gottesfürchtigen Gläubigen umgeben von einer großen Masse an religiösen Bekennern, die sich ihrer äußerlich richtigen Stellung und der ordnungsgemäßen Abfolge religiöser Riten rühmten, die aber dennoch moralisch empfindungslos und geistlich blind waren. Diese einzelnen Treuen waren schwach, verachtet, praktisch unbekannt in der Welt, verachtet und verspottet. Aber sie verfolgten ihren niedrigen und abgesonderten Weg, indem sie in der Furcht des Herrn ihr Leben führten. Sie achteten eifersüchtig den Namen des Herrn und warteten auf sein Kommen.
Wenn wir von dieser letzten Botschaft Gottes an sein altes Volk überhaupt Nutzen ziehen wollen: Müssen wir diese Weissagung dann nicht als eine letzte Botschaft an uns selbst lesen? Wie ich zu Beginn dieser Abhandlung schon bemerkt habe, gleichen die Zustände, die in diesen letzten und ersten Tagen sowohl in der Christenheit im Allgemeinen als auch unter dem heutigen Volk Gottes ganz speziell vorherrschen, in so auffälliger Weise den Zuständen der Tage Maleachis.
Auch heute gibt es noch diesen Weg der Treue
Sind wir nicht erneut von einem großen, religiösen Bekenntnis umgehen? Gibt es nicht auch heute4 solche, die sagen, dass sie reich sind und reich geworden sind und nichts bedürfen (Off 3,17)? Und doch sind sie moralisch empfindungslos in Bezug auf ihren niedrigen, moralischen Zustand, geistlich blind im Hinblick auf alles, was der Herr für sie besitzt, um ihren so tiefen Bedürfnissen zu begegnen. Unterscheidet der Herr nicht inmitten dieses religiösen Bekenntnisses erneut einige wenige, die seine Anerkennung besitzen, weil ihre Merkmale ihnen eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den Gottesfürchtigen der Tage Maleachis geben?
Zu ihnen kann der Herr sagen: „Du hast eine kleine Kraft, und du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet“ (Off 3,8). Wie bei den Wenigen in der Zeit Maleachis ist es nicht ihre richtige Stellung oder irgendwelche großen „Werke“ oder ein besonderes Zeugnis vor der Welt, das sie auszeichnet. Es sind vielmehr ihre moralischen Merkmale, die ihnen die Anerkennung des Herrn geben.
Der Herr bekennt sich zu denen, die treu sind
Wie bei „ihren“ Vorbildern in der Zeit Maleachis werden sie dem kommenden Tag öffentlich in Macht und Herrlichkeit erscheinen. Die ganze Welt wird erkennen, dass der Herr sie geliebt hat (Joh 17,23). Und wie der Überrest der Tage Maleachis vor dem kommenden Gericht bewahrt werden wird, werden auch die Gläubigen aus Philadelphia bewahrt werden „vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen“ (Off 3,10).
Und schließlich ist das Kommen des Herrn die einzige Hoffnung, die den Gläubigen in Philadelphia vorgestellt wird, wie es auch die einzige Hoffnung der Gottesfürchtigen war, denen Maleachi weissagte. „Ich komme bald; halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme! (Off 3,11).
Eine letzte Botschaft an uns – an Herz und Gewissen
Können wir abschließend nicht sagen, dass sich in diesen letzten und ernsten Tagen – in diesen dunklen Tagen des Abfalls – die letzte Botschaft Gottes für sein Volk an das Gewissen wendet und das Herz anspricht? Es gibt keine weitere Botschaft, die neues Licht für ein höheres Verständnis hervorbringt. Das Licht ist gegeben und die Wahrheit wieder entdeckt worden.
Aber die ernste Frage, die sich uns stellt, ist: Wie haben wir auf das Licht reagiert? Was ist unser moralischer Zustand? Mögen unsere Gewissen in dem Licht dieser letzten Botschaft bloßgelegt worden sein. Wir sollten uns in der Gegenwart Gottes selbst richten, damit wir zu solchen zählen, zu denen der Herr sagen kann: „Du hast eine kleine Kraft, und du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.“ So werden wir wahrhaftig das Kommen des Herrn erwarten. Dann werden wir auf seine Zusage, „Ja, ich komme bald“ wirklich antworten können: „Amen; komm, Herr Jesus! (Off 22,20).
An dieser Stelle sei noch einmal wiederholt, dass Hamilton Smith zu Beginn des letzten Jahrhunderts geschrieben hat, als sich die moralischen Zustände noch deutlich von den heutigen unterschieden.
1 Es sei darauf hingewiesen, dass der Schreiber dieser Bibelbetrachtung von 1862–1943 in England gelebt hat. Er bezieht sich also auf Zustände, die schon damals existiert haben.↩︎
2 Hamilton Smith spielt hier möglicherweise auf den Ausschluss von Edward Cronin in Kennington (London) an. Dieser hatte an einem Ort (Ryde) mit Geschwistern das Brot gebrochen, die formal nicht mit den übrigen Zusammenkommen in England Tischgemeinschaft des Brotbrechens hatten – auch nicht mit Kennington, dem Heimatzusammenkommen von Cronin. Da in Ryde das Zusammenkommen „in Gemeinschaft“ war, das bekanntermaßen durch Weltförmigkeit und Laschheit gekennzeichnet war, bracht Bruder Cronin – zumindest in einer unweisen Vorgehensweise – das Brot mit Geschwistern, die bewusst getrennt von diesem „anerkannten“ Zusammenkommen zusammenkamen.
Durch großen Druck von Geschwistern unter anderem des Zusammenkommens in der Park Street (London, wo auch J. N. Darby das Brot brach), wurde Bruder Cronin schließlich in Kennington ausgeschlossen – übrigens gegen den Widerstand von anderen Brüdern wie W. Kelly (Blackheath, London). Durch weitere Verwicklungen führten diese Vorgänge zu einer englandweiten Trennung, durch die auch Brüder wie J. N. Darby und W. Kelly getrennt wurden. Ausschlüsse parteiischer und unnötiger Art sowie damit verbundene Trennungen hat es danach im Verlauf der weiteren Kirchengeschichte immer wieder gegeben. Insofern könnte sich Hamilton Smith auch auf eine spätere Handlung ähnlichen Musters beziehen.↩︎
3 In der englischen „King James“-Übersetzung wird Maleachi 3,17 übersetzt: „Sie werden mein sein, sagt der Herr der Heerscharen, am Tag, wenn ich meine Edelsteine machen/hervorbringen werde.“↩︎