Behandelter Abschnitt Gal 5,13-15
„Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder; nur gebraucht nicht die Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch, sondern durch die Liebe dient einander. Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘ Wenn ihr aber einander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht voneinander verzehrt werdet“ ( Gal 5,13-15).
Es gibt bei uns immer die starke Tendenz, in den Angelegenheiten Gottes auf das zu sinnen, „was der Menschen ist“ (Mt 16,23). Wir bilden uns Konstruktionen und ziehen unsere eigenen Schlussfolgerungen aus den Gedanken Gottes, die nicht unsere Gedanken sind, sondern unendlich viel höher und gesegneter (siehe Jes 55,8.9), und mindern dadurch deren Wert. Man sehe sich beispielsweise die Freiheit an: Wie groß ist der Unterschied zwischen den menschlichen und den göttlichen Gedanken zu diesem Thema. Nach Meinung des Menschen ist Freiheit Willkür – wenn der menschliche Wille keiner Kontrolle mehr unterliegt, ist schlimmster Niedergang und Abfall vom Glauben die Folge.
Die Juden hatten in ihrer schlimmsten Gefangenschaft, sowohl zeitlich als auch geistlich, die Kühnheit zu sagen: „Wir sind Abrahams Nachkommen und sind nie jemandes Knechte gewesen; wie sagst du: Ihr werdet frei werden?“ (Joh 8,33). Wie ernst ist die Antwort Jesu an diese Prahler ihrer eigenen Freiheit: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Knecht“ (Joh 8,34). Der Apostel Petrus zeigt sehr deutlich, dass in den Tagen, in denen wir leben, die lautesten Proklamierer der Freiheit selbst elende Sklaven des Verderbens sind (2Pet 2,18.19).
Wir sind zur Freiheit berufen, doch nicht zur Freiheit für die Regungen des Fleisches, sondern zum Dienst. Christen werden oft dahin geleitet, ihre Anbetung und ihren Dienst mit ihrer Erlösung zu verbinden. Die Wahrheit ist jedoch, dass sie freigemacht sind, um anzubeten, Gott und ihren Geschwistern zu dienen, ja, allen Menschen zu dienen, soweit sie dies vermögen. Das Evangelium ist das Gesetz der Freiheit, das Gesetz der Liebe. Und wie einfach und gesegnet ist das Gesetz der Liebe: Die Liebe hat eine bezwingende Kraft – das Gesetz dagegen eher eine beschränkende Kraft. Das Gesetz der Freiheit ist nicht „Du sollst nicht“, sondern seine Sprache ist „Den Weg deiner Gebote werde ich laufen, wenn du meinem Herzen Raum gemacht haben wirst“ (Ps 119,32).
Bevor die Frage unserer individuellen Annahme zur Ruhe gebracht ist, ist dem Herzen kein „Raum gemacht“. Wir sind von der Sünde befreit durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist, um Diener Gottes zu werden. Echte Freiheit und wahre Heiligkeit sind untrennbar miteinander verbunden. „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und dem Tode“ (Röm 8,2). Wenn wir selbst wirklich frei sind, anstatt andere zu richten, dann sind wir frei, für sie einzutreten, indem wir die Gnade kennen, in der wir selbst stehen.
Ein gesetzlicher Geist ist immer ein fehlerfindender Geist. Wenn wir uns mehr in der Atmosphäre der Gnade aufhalten würden, sollten wir weniger im Bereich des Richtens sein. Doch in dem Moment, in dem wir gesetzlich werden, beißen und fressen wir einander, anstatt einander Gnade darzureichen und einander fortschreitend zu ermutigen, sodass wir mit leichteren Tritten durch diese öde Wüste zu gehen vermögen.