Behandelter Abschnitt Gal 5,2-6
„Siehe, ich, Paulus, sage euch, dass, wenn ihr beschnitten werdet, Christus euch nichts nützen wird. Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der beschnitten wird, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr seid abgetrennt von Christus, so viele ihr im Gesetz gerechtfertigt werden wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen. Denn wir erwarten durch den Geist aus Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit. Denn in Christus Jesus vermag weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirkt“ ( Gal 5,2-6).
Die hier verwendete Sprache ist sehr hart, doch die Ehre Christi sowie die Erlösung von Sündern standen auf dem Spiel. Christus wird nicht auf Kosten seines Platzes als Erretter den Platz eines Helfers einnehmen. Jede Abhängigkeit von gesetzlicher Gerechtigkeit, ob moralisch oder zeremoniell, macht Christus für uns nutzlos. Wir brauchen nichts anderes als Erlösung. Wie oft hören wir den Satz: „Ich weiß, dass ich nichts aus mir selbst tun kann.“ Doch dies bringt Christus nur in die Stellung eines Helfers, und ein Helfer ist Er tatsächlich für Tausende, die nie gerettet werden.
Allen zehn Aussätzigen wurde gleichermaßen durch Christus geholfen, doch nur einer hatte den Glauben, sich zu seinen Füßen niederzuwerfen und so die Erlösung zu erlangen. Wenn du teils auf dich und teils auf Christus blickst, wird „Christus [dir] nichts nützen“. Welchen Nutzen bringt Christus den Tausenden, die seinen Namen tragen? Der Apostel, der jeden Vorteil für die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi aufgab, konnte diese Frage durchaus stellen. Christus war wirklich alles für ihn. Auch konnte er durchaus jedem Menschen wiederum bezeugen, „der beschnitten wird, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist“.
Die heilige Erhabenheit des Gesetzes, die reiche Gnade des Evangeliums und die Herrlichkeit Christi verbieten gleichermaßen den nutz- und sinnlosen Versuch, unseren eigenen unvollkommenen Gehorsam zusammen mit Christus zur Grundlage unserer Erlösung zu machen. Ein solcher Versuch bedeutet, um es mit der Sprache des Apostels zu sagen, ein Zunichtemachen des Werkes Christi am Kreuz, als ob dies ein unnötiges Werk gewesen wäre, und so aus der Gnade zu fallen – den festen Felsen der Gnade Gottes in Christus Jesus zu verlassen und ihn gegen den sandigen Grund unserer eigenen Gerechtigkeit einzutauschen. Es ist in der Tat eine furchtbare Sache für einen Christen, in Sünde zu fallen; doch selbst für einen solchen ist Vorsorge getroffen in der reichen Gnade des Evangeliums. „Wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten. Und er ist die Sühnung für unsere Sünden“ (1Joh 2,1).
Aus der Gnade zu fallen bedeutet jedoch, das Vertrauen wieder auf das Fleisch zu setzen und das Vertrauen auf Christus aufzugeben. Es bedeutet, das Evangelium zu einem bloßen Abhilfe schaffenden Gesetz zu machen – sodass man eine Religion gründet, die den Menschen in seinem natürlichen Abstand zu Gott lässt, ohne sein Gewissen zu reinigen oder ihm Frieden mit Gott zu schenken. Der Mensch als Sünder braucht Erlösung, und diese bringt ihm die Gnade Gottes. Aus der Gnade zu fallen bedeutet, die Gewissheit der Errettung durch den Glauben an Christus Jesus zu untergraben und somit die Errettung als eine große Ungewissheit hinzustellen, die erst am Tag des Gerichts genau bestimmt werden kann, anstatt sie jetzt als von Gott zu empfangen und auf deren Grundlage in Frieden mit und Nähe zu Gott zu frohlocken.
Solche, die so „aus der Gnade gefallen“ sind, verlassen nicht nur die Wahrheit des Evangeliums in Bezug auf die gegenwärtige Rechtfertigung vor Gott durch den Glauben an Christus. Sie geben auch die wahre christliche Hoffnung auf, indem sie das Erlangen von Gerechtigkeit zu ihrer Hoffnung machen, anstatt die gegenwärtige Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus zum sicheren Anker der Erwartung der Herrlichkeit zu machen. „Denn wir“, schreibt der Apostel stellvertretend für alle Gläubigen, „erwarten durch den Geist aus Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit“. Wenn wir die Wahrheit der gegenwärtigen Annahme in dem Geliebten verfälschen, untergraben wir die gesegnete Hoffnung, auf die wir durch den Geist zu warten berechtigt sind – nämlich die Herrlichkeit.
Wir finden viele Christen, die die Rechtfertigung als etwas Zukünftiges ansehen, anstatt zu sehen, dass sie sie schon besitzen und sich auf dieser Grundlage in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes zu erfreuen. Der Herr selbst ist unsere „Gerechtigkeit“, und unsere Hoffnung gründet sich auf diese Gerechtigkeit. Was für eine herrliche Hoffnung ist es, dass gerade die auf diese Weise Gerechten „. . . leuchten [werden] wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters“ (Mt 13,43).
Alles rühmen des Fleisches verliert sich dort, wo Glaube an Christus ist. Die Beschneidung, das Kennzeichen im Fleisch des irdischen Volkes Gottes, „nützt“ nicht mehr als die Vorhaut. Ein neues Lebensprinzip ist notwendig. Dies ist der Glaube, der durch den Geist Gottes im Herzen gewirkt wird. In diesem Glauben liegt ein kraftvolles Prinzip: Er wirkt „durch die Liebe“. Das Gesetz konnte weder Leben noch Gerechtigkeit schaffen. Es mochte Liebe gegenüber Gott und den Menschen befehlen, doch es war machtlos, seine eigene Ausführung zu bewirken – doch der Glaube wirkt durch die Liebe zu Gott und Menschen.